von Cornelia Hüsser • 05.05.2024
Von sommerlichen Temperaturen bis zu Schneefall hat der April alles gegeben. Und auch literarisch war einiges dabei: Lyrik, Satire, eine blutige Dystopie – you name it.
Denn neben dem einen oder anderen Filmfestival blieb auch im April noch ausreichend Zeit zum Lesen – vor, nach oder zwischen den Screenings. Sieht man von zwei Challenge-Büchern ab, über die hier ein Mäntelchen des Schweigens* gebreitet wird, ist die Bilanz durchweg positiv.
«Hold Your Own» bemächtigt sich des antiken Mythos des Teiresias – einer zweigeschlechtlichen Figur, von den Göttern geblendet und prophetisch begabt. Übertragen in die moderne Zeit bildet der Zyklus Kindheit, Jugend, Frau- und Mannsein ab. Vielmehr als ein Spiel mit Identität sind die Gedichte aber eine Kritik an der neoliberalen Gesellschaft: politisch, zynisch und gnadenlos ehrlich.
2014 • 128 Seiten • Picador • Bestellen
Während die chinesisch-amerikanische Schriftstellerin Athena Liu längst für ihre Romane gefeiert wird, fristet June Hayward ein Dasein in Bedeutungslosigkeit. Sie ist einfach nicht divers genug für den Markt – so ihre eigene Überzeugung. Als Athena unerwartet stirbt, sieht sie ihre Chance aber endlich gekommen: Sie stiehlt ihr gerade fertiggestelltes Manuskript für einen neuen Roman, über den sie sonst mit keiner Menschenseele gesprochen hat …
«Yellowface» ist eine höchst unterhaltsame Satire über die Verlagswelt, die versucht, ihre Autor:innen mittels Narrativen in Produkte zu verwandeln – sodass wir, die Leser:innen, uns mit ihnen identifizieren und sie konsumieren. So verschiebt sich Junes Rechtfertigung laufend, damit wir sie ihr abkaufen; man fühlt mir ihr, wenn sie Mitleid verlangt, und ist abgestossen, wenn aus ihr herausbricht, was sie wirklich denkt. Ein intelligenter, selbstironischer Pageturner.
2024 • 384 Seiten • Eichborn • Bestellen
In einem Amerika der nahen Zukunft können sich Häftlinge privat geführter Gefängnisse entscheiden, anstelle der Haft in Gladiatorenkämpfen gegeneinander anzutreten. Tausende von Zuschauern verfolgen das tägliche Gemetzel am TV. Besonders begeistert sind die Fans von Loretta Thurwar und Hurricane Staxxx, zwei Gladiatorinnen, die in derselben «Chain» kämpfen. Das ultimative Ziel: nach einer ausreichenden Anzahl Kämpfe die Freiheit erlangen. Doch dann entschliesst sich die Regie, die Regeln zu ändern.
Mit dem brutalen Setting schafft der Autor eine wütende Kritik an der amerikanischen Gefängnis- sowie Unterhaltungsindustrie, in denen Menschen wie Ware behandelt werden. Die Kämpfe sprechen niederste Instinkte an, unterhalten die Masse und kontrollieren sie gleichzeitig durch eine Atmosphäre der Angst. Dass diese Dystopie gar nicht so abwegig ist, illustrierten zahlreiche Fussnoten, in denen der Autor Verbindungen zu realen Fällen von (Polizei-)Gewalt macht. Das Buch hätte etwas kürzer, die Charaktere nahbarer sein dürfen – es ist aber auf jeden Fall eine spannende Mischung aus Fakten und Fiktion.
2024 • 480 Seiten • Hoffmann & Campe • Bestellen
Ein Mann sitzt allein am Tresen: Der will in Ruhe sein Feierabendbier geniessen. Eine Frau sitzt allein am Tresen: Wartet sie auf jemanden? Die ist bestimmt einsam. Oder hat sie ihr Leben nicht mehr im Griff? Sicher ist sie verzweifelt und will angemacht werden.
Der öffentliche Raum gehörte historisch den Männern – und tut es noch immer, indem Frauen sofort ins Kreuzfeuer von Vorurteilen geraten, wenn sie denselben Raum für sich beanspruchen. In ihrem Essay analysiert Lou Zucker die Gründe dafür und sucht nach Lösungen, wie wir den Gender-Fun-Gap überwinden können. Und ich bin überzeugt: Die meisten Frauen werden sich an der einen oder anderen Stelle wiedererkennen.
2023 • 36 Seiten • Maro Verlag • Bestellen
Ausserdem gelesen: Der grösstmögliche Beweis für Liebe • Das Leben ist die grösstmögliche Ruhestörung • Wie der Hase läuft
*Wer das Mäntelchen des Schweigens doch mutig lüpfen will, der findet hier und hier unsere Zitate des Grauens.