von Cornelia Hüsser • 31.08.2024
Es gibt diese Bücher, für die ein (so meine Behauptung) gezielter Social-Media-Hype erzeugt wird. Meist erscheinen sie im Sommer. Meist haben sie ein blaues Cover. Meist sind sie flott zu lesen – nicht allzu tiefschürfend, nicht bissig, nicht zynisch –, halt einfach ganz nett. Meist lese ich sie nicht, und diesen Sommer weiss ich auch wieder, warum.
Mit nur einem alten Koffer und ein paar Klamotten verlässt Ida ihre Stadt – wahrscheinlich für immer. Ihre Mutter ist tot, nichts hält sie mehr hier. Spontan zieht es sie nach Rügen, so weit weg wie möglich. Dass sie hier bald so etwas wie ein neues Zuhause findet, ahnt sie noch nicht. Und auch dieses Glück droht wieder zu zerbrechen.
Was man in «Windstärke 17» bekommt: eine junge Frau, die am Boden zerstört ist und sich von einem gutaussehenden und reichen, aber unnahbaren Mann sowie zwei weiteren Personen aus ihrem Loch ziehen lassen muss, während sie sich kompliziert und anstrengend und undankbar aufführt. Was man nicht bekommt: halbwegs tiefschürfende Gedanken, echte Gefühle oder ein Minimum an Selbstwirksamkeit der Protagonistin. Alles schreit «Klischee!». Sprachlich ist der Roman weder unterirdisch noch interessant, mit seinen vielen Wiederholungen ist er immerhin flott wegkonsumiert. Verstehen muss man den Hype aber nicht.
2024 • 256 Seiten • DuMont • Bestellen
A ist eine attraktive Frau – so attraktiv, dass ihre Mitbewohnerin aussehen möchte wie sie und sich langsam, aber offensichtlich verwandelt. Unterstützung bekommt A keine, nicht einmal von ihrem Partner C, der lieber Pornos schaut. Schliesslich gerät A in die Fänge einer Sekte, die mit einer ungesunden Mixtur aus Schönheitidealen, Ernährungswahn und Realityshows hantiert …
… was interessant klingt, aber schlussendlich ein prätentiöses Machwerk ohne wirklichen Plot oder nachvollziehbare Charaktere ist. Die seitenlangen Beschreibungen von Werbespots sind anstrengend, die Figuren und ihre Beziehungen könnten einem nicht egaler sein, der Unterhaltungswert strebt gegen Null. Da lese ich lieber die Bedienungsanleitung meines Dampfkochtopfs.
207 • 352 Seiten • Kein & Aber • Bestellen
(Ab jetzt geht es bergauf.)
Claire Keegan: Kleine Dinge wie diese ★★★★☆
Wer in New Ross etwas auf sich hält, lässt seine Wäsche im Kloster waschen. Doch was sich dort hinter der ehrwürdigen Fassade verbirgt, will niemand so genau wissen. So auch der Familienvater und Kohlehändler Billy Furlong – bis er eines Tages schlicht nicht wegschauen kann.
Claire Keegan schreibt auf wenigen Seiten eine berührende (Weihnachts-)Geschichte mit Tiefgang. «Kleine Dinge wie diese» erzählt von Bescheidenheit, Komplizenschaft und Mitschuld. Davon, wie man die Augen verschliesst, um mit dem eigenen Leben fortfahren zu können – was nur allzu menschlich, aber nicht richtig ist. Ein ruhiges Buch mit viel Wucht.
2024 • 112 Seiten • Steidl • Bestellen
Eigentlich sollte Valeria nur Zigaretten für Ihren Mann besorgen – kauft sich dann aber verbotenerweise ein schwarzes Notizheft. Als sie mit dem Schreiben beginnt, ahnt sie noch nicht, welche Konsequenzen das haben würde. Die Reflexion, das Auseinandersetzen mit ihrem Innenleben – wofür sie als Ehefrau, Mutter und Angestellte bisher nie Zeit hatte – löst ungekannte Sehnsüchte und Ängste aus.
«Das verbotene Notizbuch», erstmals veröffentlicht 1952, hinterfragt die Rolle der Frau im häuslichen Kontext. Weil das Geld knapp ist, geht Valeria ebenfalls arbeiten; doch auch Kindererziehung und Haushalt bleiben (of course) allein an ihr hängen. Mit zunehmender Introspektion beginnt sie aber, die Forderungen ihrer Familie zu übergehen. Ein Akt der Selbstermächtigung, realistisch, berührend und intim.
1952/2021 • 302 Seiten • Insel • Bestellen
1749: Wie jeden Sommer zieht Antoine zusammen mit den anderen Männern des Dorfs auf die Alp Derborence. Dass seine Frau Thérèse schwanger ist, weiss er noch nicht. Dann begräbt ein gewaltiger Bergsturz die Alp unter sich. Keiner der Männer scheint überlebt zu haben – bis Antoine zwei Monate später im Dorf auftaucht.
Hatte der Teufel – schliesslich heisst der Berg Les Diablerets – seine Finger im Spiel, und ist der Rückkehrer nur ein Gespenst, dessen Seele keinen Frieden findet? Ramuz erzählt auf wenigen Seiten von tiefen Ängsten, Verzweiflung, Hoffnung und Sehnsucht. Ein atmosphärischer und kurzweiliger Roman.
2021 • 200 Seiten • Limmat • Bestellen
Sexualisierte Gewalt ist allgegenwärtig – so gut wie jede Frau, trans und non-binäre Person hat sie schon erlebt. Ermöglicht wird das durch unsere Rape Culture, eine Gesellschaft, die es Männern erlaubt, übergriffig zu sein, indem sie Taten verharmlost, Täter aus der Verantwortung entlässt und Opfer abwertet und mitschuldig macht.
Agota Lavoyer erklärt, welche gesellschaftlichen Strukturen dazu führen, dass die Rape Culture aufrechterhalten wird. Sie wirft einen messerscharfen Blick auf zahlreiche Beispiele aus der Popkultur, untermauert ihre Aussagen mit Forschungsergebnissen und Statistiken. Das ist aufwühlend und macht wütend – motiviert aber auch, mit offenen Augen durch die Welt zu gehen und das toxische Konstrukt zu entlernen.
2024 • 288 Seiten • Yes Publishing • Bestellen