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Augenpulver #22: Bücher im April

von Cornelia Hüsser • 03.05.2025

Wackelkontakte, Folterkammern, spontane Erblindungen: Die Themen im April waren vielseitig und bewegten sich zwischen abgründig und höchst unterhaltsam. Und wem das alles zu viel oder zu wenig ist, dem legen wir weiterhin unser Magazin Riz Casimir ans Herz.

Toxische Pommes: Ein schönes Ausländerkind
★★★★☆

Ihre Eltern flohen mit ihr vor dem Jugoslawienkrieg nach Österreich. In diesem Buch verarbeitet Toxische Pommes ihr Aufwachsen in Wiener Neustadt – mit all dem bürokratischen Blödsinn, dem ihre Eltern ausgeliefert waren, innerer Zerrissenheit, Trotz und dem Gefühl, nirgendwo richtig hineinzupassen.

Das tut die Autorin mit bissigem Humor, ohne dabei anklagend zu sein. Denn was sie vor gut 30 Jahren erlebt hat, hat sich bis heute nicht wirklich verbessert – sei es in Politik oder Gesellschaft. Vor allem aber spürt man aus dem Buch eine grosse Liebe für ihre Eltern hinaus, zu denen sie nicht immer das einfachste Verhältnis hatte (und auch daran ist Österreich nicht unschuldig). Ein sehr lesenswerter Lebensweg zum perfekt integrierten Ausländerkind.

2024 • 208 Seiten • Zsolnay • Bestellen

José Saramago: Die Stadt der Blinden ★★★☆☆

Ein Mann wartet an einer roten Ampel – und ist plötzlich blind. Sein Augenarzt steht vor einem Rätsel, und noch am gleichen Abend erblindet auch er. Wie eine Seuche verbreitet sich das Phänomen in rasantem Tempo, sodass der Staat die Blinden in einer leerstehenden Psychiatrie unterbringen muss. Und dort sind sie nicht nur einander, sondern auch dem Terror des Wachpersonals ausgeliefert …

«Die Stadt der Blinden» ist ein spannendes Gedankenexperiment über eine Gesellschaft, die von Angst beherrscht wird. Zwar gibt es Solidarität, vielmehr herrschen aber Gewalt und Egoismus vor. Sprachlich dicht, verlangt der Text viel Aufmerksamkeit, um insbesondere den Dialogen folgen zu können. Es ist ein Stück Arbeit, und auch das Lesen der Gewaltexzesse bereitet keinen Spass. Treffend ist das Buch aber auf alle Fälle.

1995 • 400 Seiten • Hoffmann und Campe • Bestellen (E-Book)

Édouard Louis: Monique bricht aus ★★★★☆

Édouard Louis kehrt zurück zur Geschichte seiner Mutter. Nachdem sie sich von ihrem gewalttätigen Mann befreit hatte, dachte sie, dass nun alles besser würde. Doch mit ihrem neuen Partner scheint sich alles zu wiederholen – bis sie ihren Sohn anruft, der ihr hilft, nun endlich neu anzufangen. Alleine.

Wie immer erzählt Louis’ Roman nicht nur von seiner eigenen Familie; der Text steht für die Lebensrealität einer ganze Klasse. Es ist ein politisches Statement, persönlich und eindringlich. Beeindruckend ist hier auch die Selbstreflexion des Autors, wenn er auf sein eigenes Verhalten in der Vergangenheit zurückblickt. Ein lesenswertes und positiv stimmendes Buch.

2025 • 160 Seiten • Fischer • Bestellen

Wolf Haas: Wackelkontakt ★★★☆☆

Franz Escher Steckdose hat einen Wackelkontakt. Während er auf den Elektriker wartet, liest er ein Buch über den Mafia-Kronzeugen Elio Russo. Dieser hat so viele Leute verraten, dass er trotz Zeugenschutz um sein Leben fürchtet. Nicht einmal in seiner Zelle findet er Schlaf – und liest zur Ablenkung ein Buch. Es handelt von Franz Escher, der auf den Elektriker wartet, weil seine Steckdose einen Wackelkontakt hat …

Wie in einem Escher-Gemälde nimmt Wolf Haas’ neuer Roman Biegung um Biegung, man landet von der einen Geschichte nahtlos in der anderen. Das ist sehr unterhaltsam gemacht, ohne überkonstruiert zu wirken (jedenfalls nicht mehr, als es Krimis eben sind). Die (Neben-)Figuren mögen etwas überspitzt sein, aber schlussendlich wird hier sowieso infrage gestellt, was real ist und was nicht. Clever, spannend und kurzweilig.

2025 • 240 Seiten • Hanser • Bestellen

Angela Carter: Die blutige Kammer ★★★☆☆

Frauen haben in Märchen traditionellerweise kein einfaches Los. In Angela Carters Kult-Nachdichtungen werden die Rollenverhältnisse allerdings umgedreht – oder gleich gänzlich gesprengt. Die Schöne wird zum Biest, dem Blaubart das nächste Opfer gestohlen und der Erlkönig mit dem eigenen Haar erwürgt.

Der Band versammelt 10 Geschichten, die sich in Länge und Sprache stark unterscheiden. Manche sind durchaus feministisch, andere einfach nur verstörend, fast immer geht es um menschliche Abgründe und Sex. Das Nachwort von Mithu Sanyal gibt noch einmal vertiefte Einblicke in Carters Werk.

2025 • 237 Seiten • Suhrkamp • Bestellen