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Augenpulver #26: Bücher im August

von Cornelia Hüsser • 31.08.2025

Ein Mann, der nicht mehr schlafen kann, eine unterirdisch brennende Landschaft oder 20’000 Elefanten in Berlin: Die literarischen Settings im August waren vielfältig. Und gar nicht so realitätsfern, wie sie auf den ersten Blick aussehen.

Gaea Schoeters: Das Geschenk ★★★★☆

Elefanten tummeln sich an der Spree! Doch die Tiere sind nicht etwa aus dem Zoo ausgebüxt, sondern wurden Deutschland vom Präsidenten von Botswana «geschenkt». Damit rächt er sich für das Einfuhrverbot von Jagdtrophäen – denn diese sind nicht nur Lebensgrundlage für arme Regionen; die grosse Elefantenpopulation stellt auch zunehmend eine Bedrohung für die menschliche Bevölkerung dar.

Die Drohung von Ex-Präsident Masisi ist real – die Handlung in Gaea Schoeters neuem Roman ein Gedankenexperiment. Sofort werden die Elefanten vom (fiktiven) Bundeskanzler sowie seinem Gegenspieler politisch instrumentalisiert, und die eine oder andere Figur dürfte stark an reale Persönlichkeiten denken lassen. Eine unterhaltsame, zeitgeistige Satire auf die deutsche Politlandschaft.

2025 • 144 Seiten • Zsolnay • Bestellen

Timon Karl Kaleyta: Heilung ★★★☆☆

Ein Mann kann nicht mehr schlafen. Er ist mit seinen Kräften am Ende und fürchtet, alles zu verlieren – seine Ehe, seinen Status, sein Leben. Seine Frau schickt ihn ins San Vita, ein mysteriöses Sanatorium, in dem er wieder zu sich selbst finden soll …

Timon Karl Kaleyta beschreibt einen Menschen, der sich ohne eigenen Antrieb durch das Leben schieben lässt und unfähig ist, dem Kern seiner Probleme auf den Grund zu gehen. Entscheidungen trifft er impulsiv, und er manövriert sich dadurch in einen höchst skurrilen, überkonstruierten Handlungsverlauf – was zwar einigermassen unterhaltsam ist, aber nicht besonders viel Tiefe hat. Der wunde Punkt wurde angepeilt, aber man schlittert schlussendlich doch knapp daran vorbei.

2024 • 208 Seiten • Piper • Bestellen

Dorothee Elmiger: Einladung an die Waghalsigen ★★★☆☆

In einem Kohleabbaugebiet ist vor Jahren ein unterirdisches Feuer ausgebrochen – und lodert noch immer. Die Stadt darüber ist im Verschwinden begriffen. Die Schwestern Margarete und Fritzi wollen diesen Zustand nicht hinnehmen und machen sich auf die Suche nach der Geschichte des Orts. Konkret suchen sie nach einem grossen Fluss, den es hier einst gegeben haben soll …

«Einladung an die Waghalsigen» erzählt diese Geschichte nicht linear, sondern besteht aus vielen kleinen, einigermassen chronologischen Vignetten, die sich zu einem Ganzen zusammenfügen lassen. Dies gelingt hier noch nicht ganz so einnehmend wie in Elmigers zehn Jahre später erschienenen Roman «Aus der Zuckerfabrik». Die eigentliche Handlung ist knapp, leider auch die Hintergründe des Ortes oder der Figuren. Vielmehr nimmt man aus dem Buch ein allgemeines Gefühl von Perspektivlosigkeit und trotzenden Optimismus’ mit – was auch seinen Reiz hat.

2010 • 144 Seiten • DuMont • Bestellen

Flurin Jecker: Lanz ★★★★☆

Wie schreibe ich einen Blog? Für dieses Thema hat sich der 14-jährige Lanz in der Schulprojektwoche entschieden. Nicht etwa, weil er Blogger werden will, sondern weil sich auch Lynn dafür angemeldet hat – und Lynn sehr viel interessanter ist als alle Schulprojekte. Mit dem Blog gibt er sich darum zunächst keine grosse Mühe – doch dann macht etwas Klick, und er breitet sein Leben ohne Zurückhaltung aus.

«Lanz» ist ein Coming-of-Age-Roman einer nicht untypischen Schweizer Jugend: Scheidungskind, Aufwachsen in der dörflichen Einöde und die universellen Probleme mit dem Erwachsenwerden. Lanz ist ein unterhaltsamer Erzähler, und Flurin Jecker trifft sehr akkurat den Ton eines Jugendlichen in den späten 2000er / frühen 2010er Jahren. Ich kann verstehen, wenn ältere und jüngere Leser:innen diesen Ton als bemüht empfinden – für mich hat es eine Art retrospektive, aber irgendwie positiv konnotierte Ungläubigkeit ausgelöst. Eine Empfehlung wird ausgesprochen vor allem für meine lieben Mit-Millenials.

2024 • 144 Seiten • Nagel & Kimche • Bestellen

Rebekka Endler: Witches, Bitches, It-Girls: Wie patriarchale Mythen uns bis heute prägen ★★★☆☆

Wo liegen die Wurzeln des Patriarchats? Welche misogynen Mythen bestimmen bis heute unser Denken und Handeln – wenn auch unbewusst? In ihrem neuen Buch macht sich die Autorin von «Das Patriarchat der Dinge» auf Spurensuche.

Dabei beschäftigt sie sich mit Themen wie der Kanonisierung in Kunst und Literatur, mit den verschiedenen feministischen Wellen, dem Mythos von Hexen oder der gegenwärtigen Rape- und Cancel Culture. Das breite Spektrum ermöglicht zwar keine «Deep Dives» und springt schnell zwischen Themen hin und her, liefert damit aber auch gute Gedankenanstösse und viele Beispiele. Ein spannendes Buch insbesondere für jene, die sich neu in der Thematik bewegen.

2025 • 464 Seiten • Rowohlt • Bestellen