von Cornelia Hüsser • 01.11.2025
Der diesjährige Spooktober wartete ausnahmsweise nicht mit Horror-Literatur auf – jedenfalls nicht im wörtlichen Sinne. Immerhin stieg bei Ramuz der eine oder andere Zombie aus dem Grab. Ansonsten gab es neu Übersetztes aus Japan, Manisches aus Mexiko und Kitschiges aus dem Diogenes-Verlag.

Amane weiss, dass sie anders ist: Ihre Eltern hatten Sex, um sie zu zeugen, anstatt wie alle anderen auf die Fortschritte in der künstlichen Befruchtung zu vertrauen. Doch während ihre Mutter verzweifelt am alten Konzept von «Liebe» festhält, will Amane sich vollkommen in die Gesellschaft integrieren, in der Sex und Romantik im Verschwinden begriffen sind. Mit ihrem Mann zieht sie in die Stadt Experimenta. Dort können sogar Männer mithilfe künstlicher Gebärmütter Kinder austragen – und sämtliche Bewohnerinnen und Bewohner kümmern sich gemeinsam um den Nachwuchs.
Einmal mehr serviert uns Sayaka Murata ein Gedankenexperiment, von dem man zunächst denkt, dass es ganz interessant sein könnte. Relativ schnell wird die Sache dann etwas unangenehm. Und zum Schluss artet es natürlich komplett aus.
Mancher Dialog wirkt hier leider etwas gestelzt und scheint mehr der Darlegung von Positionen zu dienen. Andererseits haben die Figuren auch jegliche zwischenmenschlichen Sensoren deaktiviert … Jedenfalls kehre ich immer wieder mit einer gewissen Faszination zu der Autorin zurück. Ein bisschen Verstörung, warum nicht?
2015/2025 • 267 Seiten • Aufbau Verlag • Bestellen

In der brütenden Hitze der mexikanischen Provinz streunen Jugendliche durchs Dickicht – und stossen auf eine Leiche. Es ist la Bruja, die Hexe, von den Dorfbewohnern so gefürchtet wie fasziniert umkreist. Sie sind entweder überzeugt, die Alte heile mit ihren Tränken Krankheit und Leid, oder dass sie es mit dem Teufel höchstpersönlich treibe. Und jeder hat vom Schatz gehört, den sie in ihrer Hütte verstecken soll …
«Saison der Wirbelstürme» blickt aus der Sicht verschiedener Figuren auf das Leben einer Frau, deren Schicksal unabwendbar war – und zeichnet damit das Bild einer Gesellschaft, die in Perspektivlosigkeit, Gewalt und abergläubischem Wahn versinkt. Die Vulgarität der Sprache passt zur Erzählung, ebenso ihre Distanziertheit und das manische Tempo; allerdings gleicht es mit jedem überlangen Satz einem Kraftakt, ihn zu Ende zu lesen.
2017/2020 • 240 Seiten • Wagenbach • Bestellen

Die Bewohnerinnen und Bewohner eines Bergdorfes steigen aus ihren Gräbern und kehren zurück in ihre Häuser: In diesem neuen, paradiesgleichen «Dorf im Himmel» scheint alles perfekt und makellos. Es gibt keine Müdigkeit mehr, keine Trauer und keine Krankheit. Obwohl sie es nicht müssen, nehmen die Menschen ihren Alltag wieder auf; in diesem Leben tun sie es, weil sie es wollen. Und doch stellen sie nach einiger Zeit, befreit von allen Sorgen, fest, dass ihnen etwas fehlt.
In diesem Roman stellt Ramuz Alltag und Utopie einander gegenüber und wirft zentrale Fragen auf: Was bedeutet Glück – und wie lange kann es erfüllend bleiben, wenn es selbstverständlich geworden ist? Ist Glück die einfache Erfüllung von Wünschen, oder kann es erst entstehen, wenn man im Gegenteil Schmerz und Leid durchlebt hat? Wie gewohnt in einfacher und gleichzeitig poetischer Sprache hat Ramuz eine schöne Parabel erschaffen, schlicht, aber lesenswert.
1941/2025 • 128 Seiten • Limmat Verlag • Bestellen

Sie kennen sich von Kindesbeinen an – und als sie älter werden, verliebt sich Hannes in Polina. Er komponiert eine Melodie für sie, die seine ganze Sehnsucht umfasst. Doch das Leben nimmt unvorhergesehene Wendungen, Hannes gibt das Klavierspielen auf und ihre Wege trennen sich. Erst nach Jahren der Leere erkennt er, dass er Polina wiederfinden muss. Und der Weg dazu ist ihre Melodie.
Ja, in «Für Polina» wird genauso dick aufgetragen, wie man vermuten würde. Der Plot ist schon arg verkitscht und tragisch, um nicht zu sagen: überkonstruiert. Darin bewegen sich stereotype Charaktere wie das leidende Genie, der sonderliche Eremit oder die liebesbedürftige Erfolgsfrau. Man kann dem Autor aber zugute halten, dass sich sein Protagonist immerhin einigermassen selbstreflektiert gibt. Die Sache liest sich süffig, nebenbei lernt man noch etwas über Klaviere. Wirklich bewegt hat mich an der Geschichte aber nichts.
2025 • 304 Seiten • Diogenes • Bestellen