von Michael Bohli und Cornelia Hüsser • 18.10.2024
Liest du oft Comics? Mit den Büchern der Edition Moderne aus Zürich wird deine Leidenschaft für die neunte Kunst entfacht. Wir waren beim Verlag zu Besuch.
Der 1981 von David Basler, Richard Behnd und Wolfgang Bortlik gegründete Verlag Edition Moderne steht bis heute für intelligente und erwachsene Comics. In Zürich beheimatet und seit 2024 von Marie-France Lombardo und Julia Marti als Co-Verlegerinnen geführt, werden jedes Jahr überraschende, packende und optisch herausragende Graphic Novels, Comics und Cartoons publiziert.
Da wir bei Phosphor seit vielen Jahren die Bücher der Edition Moderne lieben, mussten wir in der Verlagsbuchhandlung vorbeischauen und mit Julia und Marie-France über Comics, die Werte des Verlags und die aktuelle Situation sprechen.
Zusätzlich verlosen wir 2 Goodie-Sets mit wunderbaren Postkarten und einem Tote-Bag des Verlags. Die Verlosung ist beendet.
Phosphor: Habt ihr in eurer Kindheit viel gelesen?
Marie-France: Ja, sehr viel Belletristik, aber wenig Comics. Diese meist nur als «Lustiges Taschenbuch».
Julia: Ich habe auch viel gelesen und als Teenager die Indie-Comics entdeckt. Dass vieles davon aus dem eigentlichen «Underground» stammt, habe ich erst später erfahren. Als Teenager war ich von «Persepolis» begeistert. Ich habe Grafik Design und Illustration studiert und die Vernetzung mit anderen Comic-Leser*innen und -Macher*innen während meiner Studienzeit war wichtig für mich.
Marie-France: Mein italienischer Vater brachte mir «Topolino» (Mickey Maus auf Italienisch) näher, und «Persepolis» kam durch den Medienrummel auch bei mir an. Sonst war ich aber eine schlechte Comic-Leserin. Meine Feuertaufe hat in diesen Räumlichkeiten stattgefunden.
Ihr agiert im deutschsprachigen Markt. Spürt ihr Unterschiede beispielsweise zum französischen Sprachraum?
Marie-France: David Basler hatte den Verlag 1981 auch mit der Motivation gegründet, französischsprachige Comics in die Deutschschweiz zu bringen. Wir bedienen die deutschsprachige Schweiz, Deutschland und Österreich als Markt; für die restlichen Sprachteile sind wir hierzulande keine Konkurrenz. Ein wirklicher Austausch zwischen den Regionen findet nicht statt – es sei denn, ein Buch wird übersetzt.
Julia: Als ich beim Verlag begann, wollte ich dies ändern, da es sich aus meiner Sicht anbietet, mit Schweizer Autor:innen gebietsübergreifend zu arbeiten und direkt in mehreren Sprachen und Sprachregionen zu verlegen. Da die Westschweiz aber ökonomisch und produktionstechnisch anders funktioniert und die Vorlaufzeiten sehr lang sind, ist das nicht so einfach. Übersetzungen werden oft erst nach der originalen Veröffentlichung realisiert, wie etwa bei «Starkes Ding» von Lika Nüssli.
Zusätzlich halten wir als Comic-Verlag im deutschsprachigen Raum eine Position zwischen «Everybody’s Darling» und «Underdog» inne. Zur Belletristik sind wir keine direkte Konkurrenz, viele finden toll, was wir machen. Gleichzeitig würden wir uns wünschen, dass das Comic-Schaffen im deutschsprachigen Raum sichtbarer ist.
Wie verhält es sich mit den Verlagen aus dem deutschsprachigen EU-Raum?
Marie-France: Nebst dem Avant-Verlag und Reprodukt gibt es wenige, die in Sachen Programm oder Grösse direkt mit uns verglichen werden können. Für Kenner:innen sind die Verlagsprofile unterschiedlich genug – ebenso ist es für das Medium Comic sehr gesund, wenn es mehr als nur einen Verlag gibt. Das hilft uns bei der Präsenz in Buchhandlungen.
Julia: Wir arbeiten gerne mit anderen Verlagen zusammen, beispielsweise mit einem gemeinsamen Messestand. Da tauscht man sich auch aus. Pro Jahr veröffentlichen wir zirka zwölf Bücher, davon sind die Hälfte Übersetzungen. Logisch bietet der deutschsprachige Raum mehr als zwölf gute Projekte pro Jahr – umso wichtiger ist es, dass andere Verlage diese aufgreifen können.
Wieso verlieren viele Menschen im Erwachsenenalter die Lust an Comics?
Marie-France: Im deutschsprachigen Raum werden Comics selten mit hochstehenden Inhalten in Verbindung gebracht. Das Vorurteil, dass illustrierte Bücher etwas für Kinder sind, hält sich hartnäckig. Zusätzlich fehlen Comics oder Graphic Novels im Schulsystem komplett, was in Frankreich anders ist.
Julia: Geschichtlich hat sich das in den Ländern unterschiedlich entwickelt. In Frankreich waren gezeichnete Inhalte bereits früh ein wichtiger Teil der Kultur. Das Lesen von Comics wird bei uns unterschätzt. Dabei muss es gelernt werden und unterscheidet sich stark von Reintext. Viele bibliophile Menschen sind in Bezug auf Comics ziemlich hilflos und wissen nicht recht, wie sie einsteigen sollen. Darum fehlt in der Masse der Diskurs zum Thema, der bei anderen Kulturformen wie dem Film stattfindet.
Die Reaktionen sind oft verhalten, wenn jemand von seiner Leidenschaft für Comics erzählt.
Marie-France: Das stimmt, deswegen wurde der Begriff «Graphic Novel» etabliert. Ein Versuch, vom «schmutzigen» Wort «Comic» wegzukommen. Wir benutzen die Wörter allerdings synonym, auch wenn die grafische Literatur in den Köpfen der Leute oft etwas anderes darstellt; wichtige Inhalte für Erwachsene zum Beispiel.
Julia: Comic ist sehr nahe am deutschen Wort «komisch» – es ist lustig, unterhaltsam und etwas seltsam. Bei der Edition Moderne gibt es lustige Bücher, aber auch sehr ernste und komplexe. Graphic Novels sind nicht als Serie angelegt, stark von der Autorenschaft geprägt (oft textet und zeichnet eine Person alles) und vielfach sehr umfangreich.
Im Feuilleton werden insbesondere Comics zu Personen oder historische Ereignissen besprochen. Ich vermute, dass Personen, die selten Comics lesen, wenn sie einen schlechten Comic lesen, sich komplett vom Medium abwenden. Das ist verrückt, denn wenn dir ein Film nicht gefällt, stellst du auch nicht die gesamte Filmindustrie in Frage. Die Sicht auf die Comics muss sich emanzipieren, eine Sensibilität muss erarbeitet werden – auch im eigenen Umgang mit dem Angebot und der Vielfalt.
Für was steht die Edition Moderne?
Julia: Grundsätzlich für Comics und Graphic Novels und Cartoons, also humoristische Bücher mit einzelnen Gags. Gesellschaftliche Fragen, soziokulturelle Elemente und politische Aspekte sind eng mit den Publikationen der Edition Moderne verknüpft. Eine Auseinandersetzung mit der Welt findet statt und wir legen grossen Wert auf ein ausgeglichenes Programm. Sehr wichtig ist uns das Buch als gestaltetes Objekt; Papier, Form und Farbe. Wir investieren viel Energie in die Optik.
Marie-France: Wir produzieren Bücher für erwachsene Lesende, bei uns gibt es keine Kindercomics. Das unterscheidet uns von anderen Verlagen, und wir versuchen mit unserem Programm, die Lücke der sehr unterschiedlich gestalteten Inhalte zu reifen Themen zu schliessen. Das Spektrum reicht von klassischen Comics bis avantgardistischen Darstellungen.
Julia: Wir suchen nach einer Präzision zwischen Inhalt und Form. Da spielt es weniger eine Rolle, ob uns die Zeichnungen isoliert gefallen. Die wahre Wirkung entfaltet sich bei der Lektüre und dem Zusammenspiel mit dem Text. Ein Comic muss als Gesamtkunstwerk überzeugen.
Habt ihr persönliche Highlights aus der Vergangenheit des Verlags?
Marie-France: Für mich ist «MENSCHEN VERTRAUEN» von Tommi Parrish ein erzählerisches und zeichnerisches Meisterwerk. Parrish hat sehr menschliche Figuren geschaffen, von denen man sich angewidert fühlt, diese aber gleichzeitig empathisch versteht.
Julia: «Persepolis» von Marjane Satrapi. Das Buch ist einer der Gründe, warum ich heute hier bin und es hat nichts von seiner Qualität eingebüsst; nicht nur in Bezug auf die politische Aktualität, sondern auf den Erzählstil. Ebenfalls sehr gut gefällt mir «Fürchten lernen» von Nando von Arb, das wie eine Katharsis funktioniert.
Ihr habt es bereits angesprochen: Die Gestaltung eurer Bücher ist sehr wichtig und eigenständig. Wieso?
Julia: Ich bin Buchgestalterin und kam für diesen Job zur Edition Moderne. Da wir die Kompetenz im Verlag nutzen können, ist es für uns wichtig, die Bücher passend zu gestalten. Wir stellen das jeweilige Buch vor das Branding des Verlags.
Marie-France: Wichtig ist auch, Geschichten in ihrer ureigenen Form zeigen zu können. Wie etwa das Buch von Nando von Arb, das es nur in dieser Form gibt: Handzeichnungen als lose Blätter, die bei uns als Hardcover zusammenkamen. Die Entscheidung für eine Form ist auch immer eine finanzielle. Was ist machbar, wie teuer darf es werden und wer ist die Zielgruppe? Solche Entscheidungen werden oft lange vor der Detailgestaltung (z.B. Schriftwahl, Covermotiv) getroffen. Alleinstellungsmerkmale – wie etwa die geprägten Schuppen auf dem Cover bei «Hort» von Marjipol – wecken auch die Leselust.
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Wie geht es dem Verlag etwas mehr als ein Jahr nach der Rettungsaktion?
Marie-France: Das Crowdfunding hat uns etwas Luft und Zeit verschafft. Der Kontext hat sich nicht verändert, die Lage bleibt schwierig. Was uns bleibt, ist, das gesammelte Geld sinnvoll einzusetzen und unseren Job gut zu machen. Schade ist natürlich, dass viele kleine, unabhängige Buchhandlungen, bei denen man unsere Bücher findet, ebenfalls finanzielle Schwierigkeiten haben.
Julia: Der Kauf eines Buches eines unabhängigen Verlags in einer unabhängigen Buchhandlung muss als politischer Akt verstanden werden. Es ist eine klare Positionierung gegen Grossverteiler, wie auch das Shoppen lokaler Lebensmittel oder Kleidung. Das geht oft vergessen.
Was sind kommende Highlights?
Marie-France: Wir arbeiten aktuell intensiv am Frühlingsprogramm 2025 und an der Vorschau, die im Dezember erscheinen wird. Ich freue mich auf alle fünf Frühlingstitel.
Julia: Wir werden am kommenden Fumetto Festival in Luzern mit einem Autor vertreten sein. Wir kuratieren gemeinsam eine Ausstellung zum Buch, wie 2024 mit Elizabeth Pich. Ich freue mich auch auf die Buchvernissage zu «Louise» am 24. Oktober 2024 im Karl der Grosse in Zürich. Das wird ein tolles Event mit einer spannenden Diskussion zwischen den Autorinnen Dinah Wernli und Martina Clavadetscher. Nicht zu vergessen ist auch die dritte Auflage von «Fürchten lernen», ein schöner Erfolg – das Buch wird aber nicht noch einmal kleiner (lacht).
Das klingt super! Danke für eure Zeit und das Gespräch.
Alle unsere Texte zur Edition Moderne findet ihr hier.
Edition Moderne — Avantgarde seit 1981!
Der einzige Comic-Verlag in der Deutschschweiz wird seit von Marie-France Lombardo und Julia Marti als Co-Verlegerinnen geführt und 2021 zum Verlag des Jahres (Preis des Schweizer Buchhandels) gekührt und mit einem Swiss Design Award (Bundesamt für Kultur) ausgezeichnet.