Eugène: Brief an meinen Diktator

von Cornelia Hüsser • 11.12.2024

Verlag: die Brotsuppe
Erscheinungstermin: 08.11.2024
192 Seiten • Hardcover
ISBN: 978-3-03867-098-8

Ein Junge kommt mit sechs Jahren in die Schweiz. Das rumänische Regime begleitet ihn trotzdem ein Leben lang. In einem offenen Brief wendet sich Eugène, viele Jahre später, an Nicolae.

Es ist das Jahr 1974: Eugènes Eltern fliehen aus Rumänien in die Westschweiz. Um sein Volk im Land zu halten, hat sich Präsident Nicolae Ceaușescu einen simplen, aber effektiven Trick überlegt: Familien dürfen niemals zusammen ausreisen. Ehepaare dürfen das Land nur einzeln verlassen; haben sie Kinder, müssen diese im Land bleiben, damit ihre Rückkehr sichergestellt ist. Trotzdem gelingt es dem Paar, Eugène und seinen Bruder ein Jahr später zu sich nach Lausanne zu holen.

Eugène ist zu diesem Zeitpunkt sechs Jahre alt. Er wächst in der Schweiz auf, studiert Literatur und arbeitet als Journalist. Fasziniert verfolgt er 1989 – aus sicherer Ferne – den Volksaufstand in Bukarest, den (Schein-)Prozess und die Hinrichtung Ceaușescus und seiner Frau Elena. Doch noch im Grab verfolgt der Ceaușescu Eugène. Einer Tradition aus der Zeit des Regimes folgend, richtet er sich in einem offenen Brief an seinen Diktator.

 

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Er erzählt Nicolae – ja, man ist hier per Du – vom Einfluss, den er selbst auf einen Heranwachsenden jenseits des Eisernen Vorhangs ausgeübt hatte. Von Freunden der Eltern, die selbst auf Besuch Angst von Spitzeln hatten; von Klassenkameraden und ihren Kommentaren; und von der ungebrochenen Neugier, die Eugène und zwei seiner Freunde schliesslich zu einem denkwürdigen Trip ins sommerliche Bukarest von 1989 veranlasste.

Ja, die Grausamkeit und der Grössenwahn von Ceaușescus Diktatur wird in diesem Brief deutlich. Doch es gibt auch höchst unterhaltsame Szenen – zum Beispiel, wenn die Freunde in ihrem jugendlichen Leichtsinn Lobeshymnen auf den Präsidenten ins rumänische Hotelzimmer rufen, in der Annahme, dass nebenan ein Spitzel sitzen und sie belauschen müsse. Und nicht zuletzt wird auch der Zusammenbruch des Regimes kritisch betrachtet.

Der «Brief an meinen Diktator» liest sich leicht und jagt einem gleichzeitig einen Schauer über den Rücken. Es steckt voller historischer und kultureller Bezüge – betrachtet aus einer höchst persönlichen Perspektive. Sehr berührend ist auch der Grund, diesen Brief überhaupt zu verfassen, der am Ende des Textes deutlich wird – und den Autor sogar zu Dankbarkeit veranlasst. Es ist ein Brief, der nur von einer Person mit der gerade richtigen Nähe und gerade richtigen Distanz hat geschrieben werden können – und gerade deshalb äusserst lesenswert.