von Michael Bohli • 12.05.2025
Verlag: Edition Bücherlese
200 Seiten • Hardcover
Erscheinungstermin: 15.04.2025
ISBN: 978-3-03981-011-6
Wie entsteht eine Person? Durch sich selbst oder das Umfeld? Gina Bucher geht diesen Fragen in ihrem Roman «Schattenfänger» mit vielseitiger Perspektive nach.
Die in Zürich lebende Autorin Gina Bucher schreibt Sachbücher, Essays und Geschichten, mit dem Roman «Schattenfänger» zeigt sie eine ungewohnte Sicht auf unseren Alltag in der Schweiz. Nicht nur bildet sie das Quartierleben auf geschickte Weise ab, sie behandelt zugleich Fragen über Gesellschaft und Individualität.
Was macht ein Mensch? Das eigene Sein oder die multiple Wahrnehmung der Zivilisation? Werden wir erst durch die Spiegelung unserer Mitmenschen zu einem Individuum und was passiert, wenn wir nicht selbst mit anderen interagieren? Wer gibt uns Wert und wer darf urteilen?
Die sommerliche Temperatur beschleunigt die Meinungsbildung, zumindest in dem Quartier, in dem Jo Graber lebt. Der ältere Herr agiert zurückgezogen, nimmt selten an Aktivitäten teil und praktisch niemand aus der Nachbarschaft kennt ihn wirklich. Rasch kommen Gerüchte auf, schnell werden aus Leerstellen Behauptungen.
Als beobachtet wird, dass ein junges Mädchen bei Herr Graber ein- und ausgeht, wird Misstrauen zur vorherrschenden Emotion. Wo kann in einer solchen Situation die Wahrheit gefunden werden? «Schattenfänger» versteift sich nicht auf Klarstellung, sondern bleibt bis zum Schluss ein Buch der multiplen Wahrnehmung.
Gina Bucher schafft das, in dem sie die Ich-Perspektive auf diverse Menschen, die das Leben von Job Graber tangieren, aufteilt. Kinder, Pensionierte, Arbeitskolleg:innen und mehr erzählen von ihren Situationen und lassen uns an Gedankengängen teilhaben.
Zwar wirken diese Stimmen nicht durchweg komplett authentisch, die Lektüre legt dank der Struktur aber eigene Gedankengänge und Vorurteile offen. Zugleich kann «Schattengänger» als berechtigter Aufruf für mehr Gemeinschaft und Empathie gelesen werden, ein Buch gegen den destruktiven Individualismus in der Leistungsgesellschaft also.