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Im Interview: Lea Catrina

von Cornelia Hüsser • 10.05.2023

Das älteste Museum des Kantons Aargau öffnet seine Tore für die Kultur: Nach dem Konzert im März durfte man nun einen Abend mit der Bündner Schriftstellerin Lea Catrina geniessen. Sie las aus ihrem soeben erschienenen Roman «MY BOY».

Phosphor: Wir befinden uns hier in einem (natur-)historischen Museum, dessen Ziel es ist, Altes zu bewahren. Ist das Schreiben für dich auch ein Bewahren von Gedanken?

Lea Catrina: Ja, insbesondere mit meinem neuen Roman. Ich habe jetzt für längere Zeit in Kalifornien gelebt, was ein wichtiger Teil von meinem Leben war. Obwohl das Buch nicht autobiografisch ist, ist es für mich Momentaufnahme der Themen, die mich in dieser Zeit beschäftigt haben. Überhaupt – wenn ich alte Bücher lese, empfinde ich sie immer als kleine Zeitmaschinen. Sie sind etwas Magisches.

Von Kalifornien kommst du jetzt zurück in die Schweiz – wie fühlt es sich an?

Wenn man zurückkommt, hat man immer das Gefühl, es habe sich nichts verändert. Das ist aber etwas Schönes, weil man sich zu Hause fühlt und es einem Sicherheit gibt. Das Leben in Kalifornien war ganz anders, sei es kulturell, sprachlich oder im Alltag. In der Schweiz sind die Menschen distanzierter, dafür gibt es hier andere Dinge, die ich sehr schätze. Wir sind sehr privilegiert.

Alte Bücher sind wie kleine Zeitmaschinen.

Hat denn der Ort, an dem du gerade lebst, auch einen Einfluss auf deine kreative Arbeit?

Ja. Der Ortswechsel hat mich sehr befreit, da ich aus dem gewohnten Kontext ausbrechen konnte. Auch die Kontraste zwischen den beiden Welten – sei es Kalifornien/Schweiz oder reich/arm – schwingen im Buch mit.

«MY BOY» ist dein zweiter Roman. Hat sich dein Schreibprozess verändert?

Sehr, wenn auch nicht bewusst. Für «Die Schnelligkeit der Dämmerung» hatte ich mir mehr Zeit gelassen. Ich bin den Roman mit sehr idealistischen Vorstellungen zur Schriftstellerei angegangen. Bei «MY BOY» wusste ich bereits, was auf mich zukommen würde, und für die erste Hälfte brauchte ich ziemlich lange. Die zweite Hälfte habe ich dafür innerhalb weniger Wochen fertiggestellt. Insgesamt ist der Text viel organischer entstanden.

Dein Buch hat nicht nur ein tolles Cover, sondern ist auch im Innern schön gestaltet. Wie wichtig sind dir Optik und Haptik?

Satz und Coveridee kamen von einer Gestalterin. Sie hat den Roman gelesen und sofort erfasst, wie das Buch aussehen soll. Ich finde, sie hat den Kern wunderbar getroffen. Und ich wollte schon immer ein Buchcover haben, das ich mir als Poster an die Wand hängen würde – das ist hier definitiv der Fall!

Das Schreiben auf Mundart ist etwas sehr Intimes.

Du schreibst auch auf Mundart. Fühlt sich das anders an?

Definitiv. Das Schreiben auf Mundart hat mich nervös gemacht, weil es etwas sehr Intimes ist – man hört sofort, woher jemand genau kommt. Gerade Graubünden hat viele unterschiedliche Dialekte, die man den Regionen zuordnen kann. Diesen Ton richtig zu treffen, ohne zu viele Klischees einzubauen, war eine Herausforderung.

Im Band «Öpadia» hat Martina Caluori den Lyrik-Teil verfasst, die Prosa stammt von mir. Und so haben wir auch die Dialekte aufgeteilt: Martina schrieb in der Churer Mundart, ich habe diverse andere Bündner Dialekte eingearbeitet. Wir hatten jeweils verschiedene Sprachexperten hinzugezogen. Es war ein recht aufwändiges Projekt.

Wirst du die Mundartliteratur trotzdem noch einmal angehen?

Ich habe tatsächlich schon drei Geschichten, die ich umsetzen möchte. Ich habe oft die Rückmeldung erhalten, dass solche Texte – um auf die Eingangsfrage zurückzukommen – etwas Bewahrendes haben, weil die Menschen bald nicht mehr so sprechen werden. Auf diese Weise kann ich etwas festhalten, das sich im Verschwinden befindet. Das ist etwas Schönes und ein guter Grund, weitere Mundart-Projekte anzugehen.

Zum Abschluss: Wofür brennst du?

Ganz spontan: Ich liebe Lyrik und Gedichte. Das ist für mich die Königsdisziplin. Wenn mich ein Gedicht trifft, dann trifft es mich richtig und begleitet mich noch lange.

Über Lea Catrina

Lea Catrina ist eine Schweizer Autorin. Sie ist in Flims, Graubünden, aufgewachsen und lebt aktuell in San Francisco, Kalifornien. Ihr Debütroman «Die Schnelligkeit der Dämmerung» erschien 2021, «MY BOY» folgte 2023.

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