von Michael Bohli • 06.08.2023
Verlag: Edition W
320 Seiten • Hardcover
Erscheinungstermin: 13.03.2023
ISBN: 978-3-949671-06-7
Von den Nazis verboten, heute wieder lesbar: «Seine Exzellenz der Android» von Leo Gilbert ist ein satirischer Roman über künstliche Intelligenz, Bürgertum und die menschliche Überheblichkeit.
Nicht erst seit ChatGPT und «Black Mirror» wird reichlich über die Möglichkeiten von künstlicher Intelligenz gesprochen. Bereits 1907 erschien ein Roman im deutschsprachigen Raum, der einen fabrizierten Menschen heraufbeschwort. Geschrieben von Leo Silberstein-Gilbert, beschreibt «Seine Exzellenz der Android» eine Realität, in der ein Physiker einen vollkommenen Androiden konstruiert.
Frithjof Andersen hat es nicht nur geschafft, eine optisch perfekte Kopie eines Mannes herzustellen, auch dessen Aussprache und Bewegungen sind nicht von Mitmenschen zu unterscheiden. Was zuerst im Kreis des Bürgertums als Amüsement abgetan wird, entwickelt schnell ein Eigenleben. Entgegen Andersens Plan reisst der Android nach der Fertigstellung die Kontrolle an sich und schickt sich an, Österreich politisch und wirtschaftlich umzugestalten.
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Dass viele dieser Wendungen und Handlungen im Off passieren, ist unerwartet, allerdings wollte Leo Gilbert mit seinem Roman keine schreckliche Zukunft beschwören, sondern die damalige Gegenwart der Belle Époque kritisieren. «Seine Exzellenz der Android» ist eine satirisch-humoristisch erzählte Geschichte, die Kritik an der Bürgerlichkeit übt, den Liebesroman demontiert und die Arroganz der wohlhabenden Gesellschaften entlarvt.
Als Mischung aus «Frankenstein» und der Sprache Marcel Prousts liest sich Gilberts Buch gut, die Spuren der Romantik und die elegante Wortwahl verkörpern die behäbige Überheblichkeit der Oberschicht. Zwar sind die Frauen bloss Nebenfiguren und Liebesobjekte, dafür treffen die politischen Sprüche ins Schwarze.
Das Buch von Leo Silberstein-Gilbert hat bis heute viel Kraft und regt zum Nachdenken an. Sehr gut zeigt der Autor auf, wie Geld und Macht alle zu Marionetten verkommen lässt und hält mit seiner Maschinenfantasie der Gesellschaft den Spiegel vor.
Geboren als Leo Silberstein im rumänischen Galati, lebte Gilbert zeitweise in der Schweiz und studierte in Zürich. Nachdem «Seine Exzellenz der Android» von den Nazis verboten wurde, geriet das Buch lange in Vergessenheit. Dank den Bemühungen der Edition W gibt es die Geschichte mit leicht angepasstem Titel endlich als hübsche Neuauflage.