Levin Westermann: Zugunruhe

von Cornelia Hüsser • 30.07.2024

Verlag: Matthes + Seitz
192 Seiten • Hardcover
Erscheinungstermin: 07.03.2024
ISBN: 978-3-7518-0962-7

Die Zugunruhe beschreibt die Rastlosigkeit von Vögeln im Vorfeld ihrer Migration: Sie ist, romantisiert ausgedrückt, eine Sehnsucht nach der Ferne. Levin Westermann hingegen bleibt mit seinem Roman hier, in der Schweiz und in Deutschland. Eine Naturbetrachtung.

Wer häufig in, um oder über Olten pendelt, dürfte unter Zugunruhe zunächst vielleicht etwas anderes verstehen. Mit unserem liebsten öffentlichen Verkehrsmittel hat Levin Westermanns Roman allerdings wenig zu tun (obwohl er tatsächlich an einem Bahnhof beginnt). «Die Landschaft zur Sprache bringen» hatte der Erzähler auf der Website eines Projekts gelesen, für das er nun einen Text schreiben wollte.

In der Folge streift er durch verschiedene Landschaften, lässt sich und seine Gedanken treiben. Überall trifft er auf Spuren, die der Mensch seit Jahrhunderten hinterlässt: Er formt die Landschaft nach seinen Bedürfnissen, nutzt und unterwirft sie – und zerstört sie dabei nicht selten nachhaltig. Kriege und Wohlstand, Pandemien und die Klimaerhitzung schreiben sich in seine direkte Umgebung ein. Dass er seinen Lebensraum mit anderen Lebewesen teilt, blendet er gekonnt aus.

«Zugunruhe» ist ein Buch der inneren Bewegungen. Gleichzeitig eröffnet der Gedankenstrom eine ganze Welt. Von der Frage, wie über Landschaft zu schreiben ist, geht er über zum Wesen des Menschen, zu Machtverhältnissen, zu Unterwerfung und Gewalt an Tieren. Der Text tastet sich langsam vor, versucht, zu verstehen. Verdeutlicht werden die Erkenntnisse durch Fotografien aus dem Fundus des Autors, ergänzend zur essayistischen Herangehensweise.

Trotz allem wirkt der Text nicht anklagend, sondern vielmehr mitfühlend. Der Erzähler reflektiert das menschliche Verhalten und verspürt dabei nicht selten Wut – und Scham. Anders als mit kognitiver Dissonanz ist unser Verhalten kaum zu erklären. Und doch soll sie keine Ausrede sein.

Levin Westermann lebt als freier Schriftsteller in Biel, wo auch weite Teile des Romans stattfinden.