Liv Strömquists Astrologie

von Cornelia Hüsser • 01.05.2023

Verlag: avant-verlag
176 Seiten · Softcover
Erscheinungstermin: März 2023
ISBN: 978-3-96445-094-4

Ihr wolltet schon immer wissen, weshalb die richtig berühmten Leute Sternzeichen Löwe sind? Warum Taylor Swift ganz eindeutig und unbestreitbar Schütze ist? Und was Skorpione so unwiderstehlich macht? Womöglich nicht. Liv Strömquist klärt trotzdem auf.

Falls jemand Liv Strömquist noch nicht kennen sollte: das ist die schwedische Comiczeichnerin, die mit viel Hingabe und Intelligenz Themen wie die weibliche Anatomie im gesellschaftlichen Kontext, den Mythos des männlichen Genies oder Liebe in den Zwängen der Konsumgesellschaft illustriert. Ihre Arbeit basiert auf umfangreichen Recherchen und ist darum üblicherweise mit einem umfangreichen Quellenverzeichnis ausgestattet. Im Jahr des Hasen 2023 wagt sie sich aber in ein neues, wissenschaftlich maximal unfundiertes Gefilde vor: die Astrologie.

Ihr ihrem neuen Band – schlicht betitelt mit «Liv Strömquists Astrologie» – handelt sie jedes Tierkreiszeichen in einem eigenen Kapitel ab, indem sie bekannte Vertreter:innen desselben vorstellt. Dieses Vorgehen kennt man bereits aus ihren bisherigen Comics, in denen regelmässig Vertreter der Popkultur Modell für gesellschaftliche Phänomene stehen. Leider ist aber genau das der wunde Punkt des neusten Werks: während die zahlreichen Anekdoten zwar unterhaltsam sind, stehen sie doch für … nichts.

Dass Astrologie keine Wissenschaft ist – und weshalb sie, entgegen mütterlichem Rat, trotzdem ein Buch darüber gemacht hat – erklärt Strömquist übrigens in einem Zusatzkapitel. Dort nimmt sie unter anderem Bezug auf Adorno, dessen Analyse der Astrologie als Pseudowissenschaft man sich auch hier zu Gemüte führen kann:

Unterhaltsam sind Strömquists Geschichten rund um bekannte Persönlichkeiten dennoch. Sie laden ausserdem dazu ein, das eine oder andere Thema weiter zu vertiefen. So widmet sie mehrere Seiten dem Löwen Arthur M. Sackler, dessen Familiengeschichte (das sind die, die für die Opioidkrise in den USA verantwortlich waren) kürzlich im Sachbuch Imperium der Schmerzen ausführlich dargelegt wurde. Im Kino ist aktuell ein Film über die Künstlerin Nan Golding zu sehen, die diverse Proteste gegen die Sackler-Dynastie initiierte:

Doch es müssen nicht immer bleischwere Themen sein. Zu einem etwas unterhaltsameren Filmtipp leitet einen das Kapitel über die Waage. Eine solche ist nämlich die Ex-Eiskunstläuferin Tonya Harding, die von ausgewogenem Konkurrenzkampf überhaupt nichts hielt:

Das ist euch noch nicht verhaltenskreativ genug? Unter den Steinböcken stellt uns Strömquist Hilaria Baldwin vor – die sich offenbar als Spanierin ausgegeben hat, ohne eine zu sein. Angelehnt an einen wahren Fall, in dem sich die weisse Kulturwissenschaftlerin Rachel Dolezal als Schwarz ausgab, veröffentlichte Mithu M. Sanyal 2021 ihr Romandebüt Identitti – eine hochaktuelle und zeitgeistige Geschichte über Identitätspolitik, Postkolonialismus, Race, kulturelle Aneignung, soziale Konstrukte, White Privilege … und so weiter. Wärmste Empfehlung.

Abschliessend lässt sich sagen, dass dies der wohl bisher am wenigsten erkenntnisreiche Band von Liv Strömquist ist – es sei denn, ihr möchtet wissen, mit welchem Sternzeichen ihr besonders gut (oder schlecht) matcht. Wer viel Hintergrundwissen und ausführliche Reflexion erwartet hat, der wird allerdings enttäuscht sein. Möchte man sich zwischendurch ein paar unterhaltsame Anekdoten über lebende oder bereits bestattete (I see you, Fred Baur) Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens geben, ist man hier jedoch gut bedient.