von Michael Bohli • 22.08.2024
Viele der in Manga Yomimono vorgestellten Reihen bieten in dieser Ausgabe neue Überraschungen und Wendungen. Das sorgt für grosse Emotionen und Lesespass, Alternative Rock inklusive.
Eine gutmütige Stiefmutter, nach Popkultur süchtige Vampire, Gedächtnisverlust und Rennstrecken in der Apokalypse: Was die heute vorgestellten Manga-Reihen alles bieten, ist niemals gewöhnlich. Egal, ob du auf Romance, Action oder Grusel stehst, alles ist vorhanden, inklusive der Liebe zur alternativen Musik.
Gewisse Reihen brauchen etwas länger als einzelne Seiten um zu überzeugen. Für mich ist der Fantasy-Manga «Das Geheimnis von Scarecrow» ein solches Beispiel. Die Schweizer Zeichnerin Gin Zarbo verdichtet im zweiten Band die Geschichte und liefert neue Figuren, Fraktionen und besseres Worldbuilding – ich finde gefallen daran.
Nach dem Angriff des Monsters Grimm auf die Bergarbeiter finden sich Prinzessin Engell und Scarecrow in deren Dorf wieder. Dort zeigt sich nicht nur, dass das Monster mit dem jungen Kämpfer Leto verwandt, sondern dieser ein Mischling aus Mensch und Biest ist. Hält er Antworten auf Scarecrows Vergangenheit bereit und kann er eventuell sogar Engell mit ihrem Buch weiterhelfen?
Für jede Antwort, die Gin Zarbo in diesen Kapiteln liefert, stellt sie diverse neue Fragen auf. Was hat das Monster für eine Verbindung zu Scarecrow? Woher kommt Engells heilende Kraft? Woraus sind die Crows entstanden? Punkte, die angedeutet, aber nicht geklärt werden. Das macht neugierig, die Welt von «Das Geheimnis von Scarecrow» belebter und das Fantasy-Feeling stärker. So kann es weitergehen, die Zeichnungen überzeugen eh.
160 Seiten • Altraverse • 978-3-96358-562-3 • Bestellen
Nach der Lektüre des sechsten Bands habe ich in dieser Kolumne meinen Unmut über das Erzähltempo von «Homunculus» Publik gemacht, mit dieser Ausgabe hat sich das Blatt gewendet. Der Thriller von Hideo Yamamoto hat neue Informationen zu den Vergangenheiten von Nakoshi und Ito bereitgestellt und gewisse Mysterien verstärkt.
Das intensive Gespräch im Restaurant löst bei Ito verdrängte Erinnerungen an seine Kindheit aus und offenbart, warum sein Homunculus als Zierfisch erscheint. Fragen zu Gender und Geschlecht beschäftigen ihn seit vielen Jahren – und auch für Nakoshi ist das Erscheinungsbild zentral. Er macht sich nach dem Treffen auf die Suche nach alten Fotos, die sein ursprüngliches Gesicht zeigen. Ob die Antworten Ruhe bringen werden?
Kurz gesagt; nein. Egal wie viel Nakoshi in seinem Leben wühlt, schöner wird es nicht. Die Enthüllungen im siebten Band von «Homunculus» sind heftig und Hideo Yamamoto offenbart viele Abgründe bei seinen Charakteren. Jetzt macht auch die langsame Erzählweise und die zahlreichen Panels, welche die Zeit wie einfrieren, wieder Sinn. Die Schattierungen verstärken die Gefühle, die Leere des Lebens hallt in den ganzzeitigen Zeichnungen nach.
336 Seiten • Egmont Manga • 978-3-7555-0360-6 • Bestellen
Die Stiefmutter ist immer die böse, dieses Klischee wurde uns allen durch zahlreiche Märchen und Filme eingetrichtert. Was aber, wenn das gar nicht zutrifft? Wie etwa bei Abigail Friedkin, die sich plötzlich wandelt und ihre Tochter Prinzessin Blanche verwöhnen möchte. Das fällt ihrem Mann Sabrian und dem gesamten Hofstaat auf und stösst nicht nur auf Verständnis. Denn hinter den Kulissen wird fleissig intrigiert.
Der Webtoon «Not-Sew-Wicked Stepmom» gehört zum Isekai-Genre und zeigt uns die Abenteuer von Modedesignerin Lee Lily, welche in einem Fantasy-Märchenland wiedergeboren wird. Ilu implementiert alle Eigenheiten solcher Geschichten in ihrer Reihe, spielt zugleich mit den Normen der Märchen. Das birgt unerwartete Wendungen und Reaktionen der Charaktere, während Themen wie Liebe, Zusammengehörigkeit und Freundlichkeit im Zentrum stehen.
Von Moguraeng illustriert, wirkt «Not-Sew-Wicked Stepmom» sanft und süss, besonders die Figuren sind knuffig gezeichnet (Clara!) und die emotionalen Ausdrucksweisen witzig anzusehen. Mit vielen Details bei den Outfits und den Gegenständen wird das Märchengefühl verstärkt, die Farbpallette passt zum Thema. Diese Lektüre lässt dich gut fühlen, verzichtet auf Härte und unterhält sehr gut.
288 Seiten • C-Lines • 978-3-551-63003-2 • Bestellen
In der Dämonenwelt geht es schlimm zu und her? Welt gefehlt, Vampir Staz vertreibt sich als Boss die Zeit lieber mit japanischen Games und Manga, als für seine Vorherrschaft zu kämpfen. Als eines Tages die Schülerin Fuyumi versehentlich in der Unterwelt landet, muss er aber zu ihrer Rettung aufbrachen. Denn als Geist (ja, sie wurde von einer Pflanze gefressen) droht sie aus dieser Welt zu verschwinden.
Yuuki Kodamas Shonen-Reihe «Blood Lad» hat sich seit der ursprünglichen Veröffentlichung eine grosse Fangemeinde erarbeitet und mit diesem ersten Doppelband der neuen «Extreme Edition» wird klar wieso. Die Geschichte ist temporeich, die Mischung aus Spannung und Humor sehr gelungen und die üblichen Klischees werden geschickt und selbstironisch umgangen.
Dass die weiblichen Charaktere meist mit ihren Oberweiten auffallen und nicht mit ihren Handlungen, ist leider auch Shonen-typisch. Das Charakterdesign stimmt aber abgesehen von Fuyumi und die Zeichnungen haben die Wildheit der Geschichte gut im Strich verinnerlicht. Ein Start, der Freude macht.
368 Seiten • Tokyopop • 978-3-8420-9161-0 • Bestellen
Eine Amnesie wäre bereits genügend schlimm, aber nein, bei der Familie Ichinose kommen weitere Schrecken hinzu. Alle Mitglieder der Sippschaft haben eine hässliche Vergangenheit, kommen zusammen nicht klar und dann wird nach einigen Tagen der Vater ausgetauscht. What? Tsubasa ist verwirrt und will der Wahrheit auf den Grund kommen.
Dass sich taizan5 geschickt an mysteriöse Geschichten mit emotional brutalen Wendungen heranarbeitet, zeigt sein bisheriges Werk. Im zweiten Band von «The Ichinose Family’s Deadly Sins» passiert genau das, der Mystery-Manga wird sogar mit einer Portion Science-Fiction angereichert. Was anfänglich nach einer Aufarbeitung persönlicher Fehltritte aussah, wird zum grossen Rätsel.
Die Zeichnungen wechseln zwischen groben Darstellungen von Gesichtern und Doppelseiten mit enormem Detailierungsgrad. Der dicke Strich von taizan5 nimmt den realen Emotionen etwas die Schärfe, zugleich leben die Figuren besonders durch ihre ausdrucksstarken Augen. Hier wirst du mitgerissen, von den Schicksalen und Ereignissen.
192 Seiten • Hayabusa • 978-3-551-62455-0 • Bestellen
Wenn Mangaka persönliche Vorlieben in ihrer Geschichte unterbringen, kann das super funktionieren. «Touring After the Apocalypse» ist so ein Fall, versteht es Sakae Saito perfekt, im dritten Band der Reihe ihre Leidenschaft für Motorsport und Motorradfahren mit dem apokalyptischen Setting zu verbinden.
Youko und Airi sind nach Tsukuba unterwegs, um dort einer Nachricht von Youkos Schwester nachzugehen. Ein Update bei Airi steht an! Mehr Spass bietet das Mobility Resort Motegi, in dem die laute Vergangenheit des Motorsports nicht nur in den Vorstellungen der beiden neu belebt wird. Die Rennstrecke ist weiterhin befahrbar, welch verlockendes Angebot.
Spass, Abenteuer und die Möglichkeit, Japans urbane Gebiete zu entdecken – auf diesen drei Pfeilern baut die knuffig erzählte Reihe «Touring After the Apocalypse» auf. Die schön ausgestalteten Zeichnungen lassen uns wie Tourist:innen fühlen, die Abenteuer der zwei Freundinnen sind nach den Herausforderungen mit Sturm und Rattenplage wieder ruhiger. So macht eine menschenleere Welt Freude.
194 Seiten • Carlsen Manga • 978-3-551-80050-3 • Bestellen
Bei diesem Girls Love-Manga ist einiges anders. Nicht nur wurde «The Guy She Was Interested in Wasn’t a Guy at All» zuerst als vier Seiten lange Häppchen via Twitter veröffentlicht, auch die Gestaltung mit grüner Farbe hebt sich angenehm von sonstigen Genre-Werken ab. Der erste Sammelband ist eine Wonne.
Besonders für Menschen unter euch, die bei der Musik gerne in die gitarrenreichen Gefilde des Alternative Rock und Grunge eintauchen. Schülerin Aya Osawa liebt Bands wie Nirvana, hält dies aber vor ihren Klassenkameradinnen versteckt – schliesslich will sie nicht weird sein. Als sie auf einen Plattenladen stösst, dessen Mitarbeiter dieselben Bands abfeiert, ist es um sie geschehen. Doch hinter der Maske versteckt sich kein Junge, sondern Mitschülerin Mitsuki Koga!
Liebe ausserhalb der Norm, Leidenschaft für alternative Kulturen und der Ruf des Herzens: Sumiko Arai erzählt mit «The Guy She Was Interested in Wasn’t a Guy at All» eine bestärkende und schöne Geschichte über Selbstermächtigung. Die Annäherungen der beiden Frauen geschieht langsam, die hübsch gestalteten Figuren und Seitenlayouts verstärken die Emotionen. Aya und Mistuki sind zum Verlieben, ihr gemeinsamer Weg lässt uns alle mitfühlen.
184 Seiten • Hayabusa • 978-3-551-62429-1 • Bestellen
Abschlussband
Das ging schnell! Nachdem die Hauptserie sich in neun Doppelbänden ausgebreitet hatte, ist die Rückkehr nach zwei schmalen Bänden bereits abgeschlossen. Haro Aso liefert mit «Alice in Borderland – Retry» eine Coda, einen erweiterten Epilog und ein fieses Game, das sich über alle Kapitel zieht. Der Schluss der Herausforderung ist aber anders als gedacht.
Wie gewohnt, ist «Herz Neun» keinesfalls eine geradlinige Sache, Ryohei und seine unfreiwilligen Mitspieler:innen kommen erst mit der Zeit den wahren Hintergründen des Games auf die Schliche. Das ist für einige bereits zu spät und der Hass wurde gesät. Als Ryohei eine Todeskarte zugeteilt bekommt, scheint auch seine Reise brutal zu Ende zu kommen.
Trotz der Kürze schafft es Haro Aso das gewohnte Gefühl von «Alice in Borderland» wieder aufkommen zu lassen. Das Spiel ist brutal, durchtrieben und für die Leserschaft nicht sofort zu durchschauen. Dass Ryohei erneut so etwas durchleben muss, ist heftig, das definitive Ende aber ein gutes. Das freut Fans, das lässt über die minimal gehaltenen Zeichnungen hinwegsehen.
176 Seiten • Hayabusa • 978-3-551-62159-7 • Bestellen
Manga Yomimono
Yominono; japanisch für Lesestoff. Das bieten wir mit dieser Beitragsreihe, regelmässige Lesetipps und Kurzkritiken zu aktuellen Veröffentlichungen im deutschsprachigen Markt. Damit euer Manga-Feuer nie ausgeht.
Alle bisherigen Ausgaben findet ihr hier.