von Michael Bohli • 15.09.2024
Handwerker treiben Geister aus, ein Junge vermengt sich mit einer Kettensäge und eine junge Frau kommt ihrem Ich näher. Die 30. Ausgabe von Manga Yomimono steht für Krawall und Tiefsinn.
Regelmässig bin ich überrascht, wie feinfühlig und intelligent Mangaka gewisse Themen in ihren Reihen behandeln. Nein, «Chainsaw Man» würde ich nicht dazuzählen, aber der Einzelband «Is Love the Answer?» über Gender und Sexualität hat mich echt beeindruckt. Logisch, habe ich zusätzliche Empfehlungen für euch bereit.
In diese kurzen Geschichten verliebte ich mich: Kazue Kato hat den grusligen Roman «Strange Repairman Tales» von Fuyumi Ono als Manga adaptiert und präsentiert sechs Episoden über Geister in Häusern und Wohnungen. Unaufgeregt und ohne brachiale Auflösung wird die Spiritualität Japans zelebriert.
In einem alten Haus sind auf dem Dachboden Schritte zu hören, ein Brunnen lässt einen Garten ausdorren und in einer Garage sind die Schreie eines Jungen zu vernehmen. Unangenehme Situationen für die Bewohner:innen, die mit rationalen Mitteln nicht zu klären sind. In solchen Momenten tritt der Handwerker Obana auf den Plan, der kein Schamane ist, mit seiner Feinfühligkeit aber stets eine Lösung findet.
Durch Handwerk zur Ruhe: «Strange Repairman Tales» ist eine unaufgeregte und schöne Lektüre. Kazue Katos Stil zelebriert besonders bei den Hintergründen die Details und wirkt geschickt ausgearbeitet. Dazu passt der gelungene Druck mit Hardcover, Lesebändchen und buntem Schnitt. Schade bloss, ist das Format des Buches nicht grösser, gewisse Panels und Sprechblasen sind fast zu klein.
378 Seiten • Crunchyroll • 978-2-88921-390-0 • Bestellen
Das Ziel ist klar, Yatora will an der Kunstuniversität Geidai aufgenommen werden und studieren. Der Weg dahin ist aber nicht einfach, muss er innert 300 Tagen seine Malerei so perfektionieren, dass er die Aufnahmeprüfungen besteht. Ob die Vorbereitungsschule ihm das ermöglicht?
Der Druck, welcher auf den Schüler:innen der Klasse lastet, ist enorm, das Verständnis der Eltern nicht riesig. Aber die Euphorie und die Liebe zur Kunst scheinen das auszugleichen, wenn auch nicht alle Charaktere in «Blue Period» gleich mit der Situation umgehen. Tsubasa Yamaguchi scheut sich keinesfalls, das Schulsystem als erschöpfenden Ort darzustellen.
Da viele Momente im zweiten Band mit Humor aufgelockert werden und die Figuren alle ihre Macken haben, wird der Spass nie verdrängt. Zusätzlich macht die Geschichte Lust, sich selber kreativ zu betätigen und liefert theoretische Inputs, welche gekonnt in den Kapiteln untergebracht wurden.
192 Seiten • Manga Cult • 978-3-96433-312-4 • Bestellen
Denji hat es nicht einfach: Um die geerbten Schulden bei der Mafia abzubezahlen, geht er mit dem Teufel Pochita auf Monsterjagd. Als er von der Yakuza hintergangen wird und mit seinem Hund zum Chainsaw Man verschmilzt, wird er sofort von der Regierung angeheuert und muss Teufel abmurksen. Seine Teammitglieder Hayakawa und Power sind aber schwer auszuhalten.
Aber Denji hat eine grosse Motivation: Er will einmal in seinem Leben die Brüste einer Frau anfassen, dann kann er glücklich sterben. Ja, der Antrieb der Hauptperson ist infantil, der Sexismus nicht von der Hand zu weisen. Das Gute an «Chainsaw Man» ist aber, dass Tatsuki Fujimoto in seiner wilden Geschichte das Surreale umarmt.
Durchgeknallte Monster, die Regierungsorganisation mit Makima als Gruppenführerin, extremer Humor und hektoliterweise Blut bieten die ersten Kapitel und damit viel Spass. Der Start fällt rasant aus, die Zeichnungen sind nicht sehr detailreich gestaltet, der Stil passt aber gut zum Inhalt und Fujimoto liefert heftige Splashpages.
192 Seiten • Egmont Manga • 978-3-7704-2847-2 • Bestellen
Wer sagt eigentlich, was normal ist? Warum sollte es die Leute interessieren, wen du liebst, welche sexuelle Neigungen du hast und mit welchem Gender du dich identifizierst? Als Chika in der Schule mit Fragen und Vorurteilen zu Liebe und Sex konfrontiert wird, fällt ihr auf, dass sie sich aus all diesen Dingen nichts macht.
Nach dem Wechsel an eine Uni in Tokyo lernt sie durch gleichgesinnte Menschen mehr über sich selbst. Chika scheint asexuell zu sein und sich nichts aus Körperkontakt und intimen Beziehungen zu machen. Doch wie mit dieser Erkenntnis umgehen? Der wunderbar feinfühlig erzählte Einzelband «Is Love the Answer?» geht auf geschickte Weise dem Thema nach.
Uta Isaki hat eine kurze Geschichte über die Vielfalt der menschlichen Sexualität geschaffen, in deren Zentrum die Asexualtität mit all ihren Facetten steht. Was bei den Zeichnungen an Details fehlt, macht der Inhalt mit Nähe, Verständnis und wichtigen Infos wieder wett. Ein Manga-Plädoyer für Akzeptanz, Vielfalt und eine Welt ohne binäre Engstirnigkeit, eine grosse Empfehlung für alle.
Lasst euch nicht unterkriegen, lasst euch nicht in Normen drängen. Und Männer, behandelt Frauen nicht sexistisch!
258 Seiten • Hayabusa • 978-3-551-80365-8 • Bestellen
Nicht nur sind die vier Schüler:innen die letzten Menschen auf der Welt, Yasushi ist komplett durchgedreht und seine Schuldgefühle haben sich in suizidale Wahnvorstellungen gewandelt. Allein will er aber nicht abtreten, sondern die anderen mitnehmen. Ayaka liegt bereits abgestochen auf dem Boden, kann Makoto mehr Gewalt verhindern?
Dass die Dystopie rasch zu einem Albtraum wird, war bei der 5-bändigen Reihe von Edogawa Edogawa von Anfang an klar. Dass es nicht der sexistische, überhebliche Teruo ist, der den Untergang bringt, hat mich überrascht. Auch, dass es bereits im dritten Band blutig werden würde. Das macht den Ausgang der Story ungewiss, die Hintergründe bleiben weiterhin unerklärlich.
Da Edogawa einen langsamen Erzählstil vorweist, der simple Szenen auf viele Panels und Seiten mit wenig Dialog ausdehnt, passiert erstaunlich wenig und die Entwicklung der Geschichte von «Human Extinction» tritt auf der Stelle. Das macht sich bei einer Seitenzahl von 160 bemerkbar, mehr als 15 Minuten benötigst du für die Lektüre nicht.
160 Seiten • Hayabusa • 978-3-551-62428-4 • Bestellen
Shun, Ichika und Amaya gehören zu den Kindern Gottes, zu den wenigen überlebenden Schüler:innen der brutalen Games in den mysteriösen Würfeln. Aber was jetzt? Nach einigen Tagen der Ruhe werden alle erneut von einer merkwürdigen Gestalt zu den entscheidenden Spielen zurückbeordert. Dort soll in Sportwettkämpfen die Person erkoren werden, welche gottähnliche Fähigkeiten verdient.
Dass die Disziplinen mörderisch und tödlich sind, ist klar. Dazu liefert Muneyuki Kaneshiro im vierten Band von «As the Gods Will» neue Hinweise auf die Wahrheit hinter den Games. Sind die Würfel doch keine Raumschiffe von Ausserirdischen? Hat ein selbsternannter Experte des Themas Hintergrundwissen?
«Alice In Borderland» mit mehr Fetisch und abgedrehten Figuren, so lässt sich die Actionreihe kurzgefasst beschreiben. Kaneshiros Zeichnungen sind weiterhin rau und stellenweisen ungenau, der Inhalt labt sich an Schockmomenten und Extremsituationen. Wirkliche Tiefe gibt es nicht, als Snack für Horror- und Thriller-Fans eignet sich «As the Gods Will» aber.
196 Seiten • Panini Manga • 978-3-7416-3915-9 • Bestellen
Abschlussband • Triggerwarnung: Suizidgedanken
Gemeinsam mit Mika, Erdi und Hibino sind wir am Ende der Reise angelangt. Der Eingang zum Totenreich der Götter kommt näher, die letzten Fragen werden geklärt. Erdi möchte wissen, wer er genau ist und Hibino will die Erinnerungslast seiner Unsterblichkeit loswerden. Und was passiert eigentlich mit Mikas Gedanken für ihre beste Freundin, wenn sie nicht mehr hier ist?
Loslassen, Umsorgen, Weitermachen: Yuhki Kamatani führ ihre kurze Reihe «Hiraeth – Heimweh nach Endlichkeit» zu einem gefühlvollen Schluss. Was stürmisch mit Mikas Selbstmordversuch nach ihrem grossen Verlust begann, entwickelte sich zu einer humorvollen und lehrreichen Zeit. Nicht nur für die Figuren, auch für die Leserschaft.
Auf simple Weise schafft es Yuhki Kamatani, in ihren schönen und luftigen Zeichnungen Weisheiten zu Angst und Verlust unterzubringen. Gemeinsam mit Mika schöpfen wir in den letzten Kapiteln neuen Mut, lernen loszulassen und finden in den kleinen Dingen des Lebens Kraft. Ein passendes und schönes Ende.
192 Seiten • Carlsen Manga • 978-3-551-80019-0 • Bestellen
«Kei x Yaku – Gefährliche Partner» nach diesem ersten Band zu beurteilen, ist keine einfache Aufgabe. Die Reihe von Yoshie Kaoruhara startet mit einem rastlosen ersten Kapitel, in dem die beiden Hauptfiguren in einem absurden Story-Konstrukt aufeinandertreffen. Action gemischt mit Boys Love, Yakuza trifft auf die Polizei.
Das kann nicht gut gehen, sollte Ichirou Kunishita eigentlich als verdeckter Ermittler den Gangster Shirou Hanabusa überwachen. Der hat schräge Beziehungen zu Politiker am Laufen, auch auf sexuelle Art. Zusätzlich versucht Ichirou das Verschwinden seiner Mentorin Rion Nakaba aufzuklären – welche eine unerwartete Verbindung zu Shirou hatte.
Das Geplänkel zwischen den Mannen mischt sich mit erotischer Anziehung, Zweckgemeinschaften werden geschmiedet, eigene und gemeinsame Ziele verfolgt. All das liefert Yoshie Kaoruhara anfänglich auf unglaubwürdige, dann aber spassige und überraschende Weise ab. Die Zeichnungen sind minimal gehalten und die Figuren schwach ausgearbeitet, doch gemeinsam mit dem Inhalt ist auch hier eine Steigerung möglich. Viele Chilis gibt es noch nicht zu verteilen.
164 Seiten • Panini Manga • 978-3-7416-3933-3 • Bestellen
Manga Yomimono
Yominono; japanisch für Lesestoff. Das bieten wir mit dieser Beitragsreihe, regelmässige Lesetipps und Kurzkritiken zu aktuellen Veröffentlichungen im deutschsprachigen Markt. Damit euer Manga-Feuer nie ausgeht.
Alle bisherigen Ausgaben findet ihr hier.
