von Michael Bohli • 18.11.2024
Brutale Geschichten können mein Herz nie so berühren, wie emotional sanfte Erzählungen. Das beweisen die Comics in dieser Ausgabe von Manga Yomimono.
«Alma» wird mit dieser Kolumne beendet, «Homunculus» näher sich dem Abschluss und «Gannibal» dreht durch. Wer es sanfter mag: «VEIL» ist zurück und der Start von «My Girlfriend’s Child» ist eine grosse Empfehlung.
Die Erkenntnis, bloss eine Manhwa-Nebenfigur mit Herzproblemen zu sein, hat Dan-oh schwer getroffen – aber sie gibt nicht auf. Gemeinsam mit Tipps der Mensafee versucht sie, die vorbestimmten Kapitel aufzubrechen und ihr Dasein in der Romance-Story in die Hand zu nehmen. Doch ein Unfall scheint den Plan zu durchkreuzen.
Die sprunghaft erzählte Geschichte ist nicht ganz einfach zu verfolgen, was in der strukturellen Natur von «July Found by Chance» liegt. Zusätzlich fand ich die Figuren bei den Zeichnungen von Muryu nicht gut unterscheidbar – was den Spass an der Lektüre aber nicht verhindert.
Die Mischung aus Metaerzählung, Romance und Selbstermächtigung ist gelungen und wirkt erfrischend anders (zumindest für mich, da ich selten Drama-Manhwa lese). Der grosszügige Umgang mit dem Platz auf den Seiten, die angenehme Farbgebung und die energetische Hauptfigur lassen mich dranbleiben.
256 Seiten • Manhwa Cult • 978-3-98949-001-7 • Bestellen
Ist es Wahn, Selbsttäuschung oder kann Nakoshi die Abgründe der Menschen erkennen? Er ist sich selbst nicht mehr im Klaren, was sein Leben darstellt und das Wiedersehen mit seiner Ex-Freundin Nanako offenbart den Horror seiner Vergangenheit. Oder ist die Frau ohne Gesicht jemand anderes?
«Homunculus» dreht sich gefühlt seit einigen Bänden im Kreis, neue Erkenntnisse liefert Hideo Yamamoto spärlich. Das liegt an der Erzählweise des Mangaka, der einzelne Szenen auf viele Panels und Seiten ausweitet und mit Repetitionen, Nahaufnahmen und dialogfreien Passagen arbeitet.
Horror und Überdrüssigkeit, so fühlte sich die Lektüre des neunten Bandes der New Edition für mich an. Ist es bloss meine Ungeduld, die auf eine Auflösung hofft, oder lässt sich Yamamoto zu viel Zeit? Das Finale wird es zeigen.
336 Seiten • Egmont Manga • 978-3-7555-0362-0 • Bestellen
Abschlussband
Bei Alma angekommen wurde die Weltordnung von Ray über den Haufen geworfen – sind die letzten Menschen gar keine Menschen, sondern Klone, die seit vielen Jahren gegen die Roboter kämpfen. Was macht das Leben aus, gibt es eine Seele und für was kämpfen wir eigentlich?
Der vierte und letzte Band von «Alma» bringt die Science-Fiction-Geschichte zu einem nachdenklichen Abschluss. Hier geht es nicht um den absoluten Sieg des Guten, sondern um die Erkenntnis, was zu Leben bedeutet.
Ergänzt um eine zusätzliche Kurzgeschichte aus dem «Alma»-Universum und vielen Skizzen von Shinji Mito ist dieser Manga schnell gelesen und für Fans von Mitos Zeichnungen ein lohnender Kauf. Die Story regt zum Nachdenken an, die Gestaltung ist ansprechend und sauber.
192 Seiten • Manga Cult • 978-3-75730-345-7 • Bestellen
Haare; was dreht sich in unserem Leben nicht alles darum. Beim Horror-Manga «PTSD Radio» geht es nicht um Frisuren und Symbole, sondern spirituelle Rituale, Geister der Vergangenheit und mörderische Situationen. Diverse Geschehnisse verdichten sich mit der Zeit, eine alte Gottheit ist zurückgekehrt.
Masaaki Nakayama macht den ersten Band seiner Reihe zu einem Rätselraten. In kurzen Abschnitten werden Figuren und Szenen vorgestellt, gruslige Momente heraufbeschworen und Fäden gesponnen. Wie das alles zusammenkommen, wird erst gegen Ende offenbart und «PTSD Radio» liest sich dadurch anders.
Wie Häppchen oder Radio-Jingles wirken die Kapitel, geschickt wird eine unheimliche Stimmung aufgebaut und in den Zeichnungen gibt es viele schwarze Fläche und Schatten. Der Kontrast zwischen den weichen Figuren und den brutalen Handlungen funktioniert, Gruselfans werden reizvoll unter Strom gesetzt.
160 Seiten • Tokyopop • 978-3-7593-0258-8 • Bestellen
Triggerwarnung: Sexuelle Gewalt
Dass die Goto-Familie das kleine Dorf terrorisiert und beherrscht, scheint nicht zu ändern sein. Daigo Agawas Mission ist in einem Blutbad untergegangen, die Hoffnung wurde begraben. Doch wie kam es zur Macht von Gin Goto und wann begannen die kannibalistischen Opferfeste?
Der zehnte Band von «Gannibal» unterbricht die Hauptgeschichte mit einer langen Rückblende und liefert Informationen zur Machtergreifung von Gin. Zimperlich geht Masaaki Ninomiya mit seinen Figuren nicht um und liefert wahren Horror.
Nackte Haut, Vergewaltigungen, Hass und Schrecken kommen auf den Seiten zusammen, die expliziten Zeichnungen zeigen alles. Zurückhaltung kennt Ninomiya nicht und die Brutalität von «Gannibal» hat ein neues Level erreicht. Die Reihe bleibt spannend und aufwühlend, aber auch extrem.
192 Seiten • Hayabusa • 978-3-551-62348-5 • Bestellen
Kann es sein, dass «Demons Night Parade» im ersten Band zu wenig Eigenheiten vorweisen kann, um sich in Herz und Hirn festzukrallen? Nach der Lektüre des Mystery-Manga verpuffte die Wirkung der Lektüre rasch und die Arbeit von Kei Miyakozuki fühlte sich unspektakulär an.
Die Story wäre nett, geht es um die Schülerin Takami, die bei einer Mutprobe das Geistermädchen Itsuki an sich bindet und in unsere Welt zurückholt. Von da an versuchen die beiden, gefährliche Gespenster und Dämonen von ihren bösen Plänen abzubringen. Dabei offenbaren sich diverse Verbindungen zwischen den beiden.
Das ist witzig, dramatisch, überdreht und besonders Itsuki macht als Figur Spass. Vieles an «Demons Night Parade» wirkt aber auch bekannt und die Zeichnungen von Shinsen Ifuji, welche in der Wirkung zwischen detailliert und modern leer wechseln, unterstreichen das.
226 Seiten • Hayabusa • 978-3-551-62476-5 • Bestellen
Zwar ist im ersten Band von «My Girlfriend’s Child» Winter, die Reihe schaffte es trotzdem, mein Herz zu wärmen und meine Gefühle zu berühren. Auf sensible und lebensnahe Weise schildert Mamoru Aoi in ihrem Shojo-Drama das Leben von Schülerin Sachi, die ihren Freund Takara liebt und mit ihm regelmässig Sex hat.
Eines Tages stellt Sachi fest, dass sich in ihrem Körper etwas verändert hat. Ist sie etwa schwanger? Wenn ja, was bedeutet das für ihre Beziehung und ihr Leben? Grosse Fragen mit schwierigen Entscheidungen, die sich viele Frauen im jungen Alter stellen müssen. Ohne zu überdramatisieren, bietet der Manga treffende Einblicke in solche Situationen.
«My Girlfriend’s Child» verbindet die nötige Ernsthaftigkeit mit Wärme, Mamoru Aoi schreibt ihre Charaktere auf sympathische Weise und liefert Zeichnungen, welche mit viel Weissraum und Details den Emotionen genügend Raum lassen. Eine grosse Leseempfehlung; doch ich frage mich, warum der Titel die männliche Perspektive einnehmen muss?
192 Seiten • Carlsen Manga • 978-3-551-80376-4 • Bestellen
Eine gross angelegte Geschichte voller Spannung und Drama gibt es bei «VEIL» nicht zu entdecken – aber das stört überhaupt nicht. Denn wie beim ersten Band liefert Kotteri! mit den nächsten Kapiteln elegant und optisch betörend wirkende Episoden aus dem Leben der blinden Emma und dem Polizisten Alexander.
Das gemeinsame Leben, intime Momente und Gefühle werden auf den Seiten künstlerisch ansprechend dargestellt, die kurze Szenen dienen als Kapitel und zeigen jeweils andere Facetten aus der Beziehung der unterschiedlichen Menschen.
Der zweite Band von «VEIL» ist – wie der erste – eine sehr ansprechende Mischung aus Artbook, Modebuch und Romance-Manga. Die Einzelbilder von Kotteri! zu betrachten bereitet viel Freude, die Interaktionen zwischen Emma und Alexander zu erleben macht Spass. Ob in den Zeichnungen, der Buchgestaltung oder den Inhalten, hier gibt es viel Schönheit zu entdecken.
128 Seiten • Carlsen Manga • 978-3-551-73016-9 • Bestellen
Manga Yomimono
Yominono; japanisch für Lesestoff. Das bieten wir mit dieser Beitragsreihe, regelmässige Lesetipps und Kurzkritiken zu aktuellen Veröffentlichungen im deutschsprachigen Markt. Damit euer Manga-Feuer nie ausgeht.
Alle bisherigen Ausgaben findet ihr hier.