Martin Oesch: Fleischeslust

von Cornelia Hüsser • 29.10.2025

Verlag: Edition Moderne
200 Seiten • Softcover
Erscheinungstermin: Oktober 2025
ISBN: 978-3-03731-282-7

Würste, Schnitzel, Leberli: Das Metzgerhandwerk erfüllte Erwin einst mit Stolz – doch der Beruf ist nicht mehr das, was er einmal war. Ausserdem wird er seit einiger Zeit von Albträumen geplagt, in denen ihn all die Tiere heimsuchen, die er in seinem Leben geschlachtet hat. Im Rahmen des Literaturfestivals «Zürich liest» stellt Martin Oesch seinen Comic «Fleischeslust» vor.

Es werden gerade zusätzliche Stühle aufgestellt, als wir mit regennassen Kleidern die Buchhandlung Never Stop Reading im Zürcher Niederdorf betreten: Die Buchvernissage findet grossen Andrang. An den Wänden sind Originalzeichnungen zu erspähen, zwischen den Büchern gibt es Postkarten und Risodrucke mit Motiven aus «Fleischeslust» von Martin Oesch zu entdecken – wahlweise saftige oder albtraumhafte Auslagen von Fleisch, Szenen aus dem Schlacht- und Metzgerbetrieb.

Mit einem Albtraum beginnt auch der Comicband. Seit Jahrzehnten führt Oeschs Hauptfigur Erwin zusammen mit Ehefrau Margrit eine Metzgerei im Stadtzentrum. Vieles hat sich in dieser Zeit verändert: Industriell verarbeitetes Fleisch ist nun viel günstiger zu haben als das vom Metzger, die Restaurants importieren ihre Ware aus dem Ausland und die Kundschaft hat plötzlich Angst vor Nitritpökelsalz. Eine Nachfolge für den Laden zu finden, scheint unter diesen Umständen unmöglich, und einem Optiker will Erwin die Räumlichkeiten mit Sicherheit nicht überlassen.

In seinem ersten Albtraum wird Erwin zusammen mit Schafen, mit denen er eben noch fröhlich über die Weide gesprungen ist, zum Schlachthof gefahren. Er warnt sie, will sie vor dem Tod bewahren, doch sie haben keine Wahl. Schweissgebadet wacht Erwin auf und beginnt in der Folge, sich und die Fleischindustrie als solches zu hinterfragen. Was ist traditionelles Handwerk wert? Wie übernehmen wir Verantwortung für Tierwohl und Landwirtschaft? Und wer gibt ihm, Erwin, das Recht, über Leben und Tod zu entscheiden?

Mit intensivem Rosa rückt Oesch das Fleisch vor das sterile Blau der Metzgerei. Eine prall gefüllte Auslage mit Schinken, Salami, Speck & Co. soll der Kundschaft Lust auf Fleisch machen. Und rosa sind bezeichnenderweise auch die Menschen in dieser Geschichte; denn die «Fleischeslust» wird auch in ihrem zweiten Sinne noch zum Thema, nämlich in Form von Margrit – die sich in der eingeschlafenen Ehe ein neues Abenteuer wünscht.

Die Lesung wird mit passenden Hintergrundgeräuschen und Musik untermalt. Der Wecker klingelt Erwin aus seinen Träumen, das Autoradio knistert alte Hits aus den Lautsprechern. Auf der Fahrt zur Kadaverstelle erklingt passenderweise «Circle of Life» von Elton John.

Oesch, selbst gelernter Metzger, hinterfragt mit seinem Comic Konsumverhalten und Ambivalenzen. In einem Themenfeld, dessen Diskussionen oft von Schwarz-Weiss-Denken geprägt sind, rückt er eine Figur mit ganz persönlichen Gewissensbissen in den Vordergrund – und konfrontiert uns damit, dass wir alle Verantwortung tragen. «Fleischeslust» ist damit ein Band, der keine eindeutigen Antworten liefert. Sehr wohl schafft er es aber, die richtigen Fragen zu stellen.