von Cornelia Hüsser • 10.02.2024
Verlag: Kein & Aber
272 Seiten • Hardcover
Erscheinungstermin: 29.01.2024
ISBN: 978-3-0369-5029-7
Zwei Frauen und mehr als ein Jahrhundert Geschichte zwischen ihnen: Die angehende Kunsthistorikerin Gina vertieft sich in das Leben von Jo van Gogh-Bonger, der Schwägerin Vincent van Goghs. Und entdeckt dabei eine Welt voller Liebe, Kunst und Wahn.
Es ist eine Frau, die im Mittelpunkt von Simone Meiers neuem Roman «Die Entflammten» steht, und das zu recht: Ohne Johanna van Gogh-Bonger – genannt Jo – wäre Vincent van Gogh vermutlich nie berühmt geworden. Die Schwägerin des Malers setzte nach seinem Tod alles daran, sein Werk zugänglich und bekannt zu machen. Mit Überzeugung und Beharrlichkeit baute sie sich ein Netzwerk auf in einem Milieu, das bis heute von Männern dominiert wird.
In diese Biografie taucht die Erzählerin Gina ein. Als Kind entdeckt sie das «Selbstbildnis mit verbundenem Ohr» und ist fasziniert; heute studiert sie Kunstgeschichte und schreibt an einem Aufsatz über die Frau, die mehr als ein Jahrhundert vor ihr gelebt hat. Zunächst alternieren die Kapitel zwischen ihrem eigenen und Jos Leben; nach und nach sieht sie Jo aber plastisch vor sich, unterhält sich mit ihr und wird wiederum von ihr ausgefragt.
Es ist einfacher, mit einem toten Künstler zu arbeiten als mit einem lebendigen.
Gemeinsam ist ihnen, dass die Männerfiguren in ihrem Leben unterschiedliche Grade an Lebenstauglichkeit aufweisen. Sie trinken zu viel, leiden an fehlender Anerkennung und handeln kopflos: Vincent lässt sich mehrmals einweisen, Theo, sein Bruder und Jos Ehemann, geht an der Syphilis zugrunde, die er sich bei regelmässigen Bordellbesuchen geholt hat. In Ginas Erzählstrang sind die Konsequenzen zwar weniger drastisch – ihr Vater war als Autor nur einmal erfolgreich und versucht sich nun verzweifelt an einem zweiten Roman –, dafür aber auch weniger interessant. Böse gesagt: Den Vater hätte es eigentlich nicht gebraucht.
Es geht um die Frauen, einer wie Vater ist bloss eine Ursache.
Meier findet eine stimmige Sprache für die jeweiligen Figuren, Zeiten und Situationen. Das ist mal tiefsinnig, mal melodramatisch und nicht selten humorvoll. «Eine Frau wie ein Stück Brot, unscheinbar und zugleich lebensnotwendig», das sind Ginas Gedanken, als sie zum ersten Mal auf Jo stösst. «Protest ist immer nötig, es gibt keine verantwortungsvolle Gesellschaft» Jos Kommentar zur Tomatensuppe, die 2022 aus aktivistischer Hand ihren Weg auf Vincents Sonnenblumen findet.
Es steckt unglaublich viel in «Die Entflammten»: Historische Fakten und Fiktionen, Betrachtungen über die Gesellschaft, ein wenig Namedropping und nicht zuletzt eine Art «female gaze» auf den Kunstbetrieb an sich. Verpackt ist das Ganze in hochwertige Unterhaltungsliteratur – stellenweise etwas ausschweifend, insgesamt aber ein grosser Lesespass.