von Cornelia Hüsser • 13.07.2023
Verlag: Reprodukt
336 Seiten • Softcover
Erscheinungstermin: Juni 2023
ISBN: 978-3-95640-375-0
Sole Otero ist eine junge feministische Stimme aus Argentinien. Mit «Naphthalin» ist erstmalig ein Comic von ihr in deutscher Übersetzung erschienen – und er spielt während einer der grössten Krisen in der Geschichte des Landes.
Rocío ist 19 Jahre als und weiss eigentlich, was sie beruflich will: Seit sie als Kind von ihrer Grossmutter eine Kamera geschenkt bekommen hat, fotografiert sie leidenschaftlich gerne. Ihre Familie jedoch kann dem nicht viel abgewinnen – in diesem Land braucht man ein ordentliches Studium, um es zu etwas zu bringen. Fotografieren ist eine nette Freizeitbeschäftigung, mehr nicht.
Als ebenjene Grossmutter – Vilma – stirbt, erbt Rocío ihr Haus. Die Atmosphäre der Räume lässt sie in Vilmas Leben eintauchen; sie erkennt, dass Familienmitglieder aus allen Generationen, auch Vilma selbst, persönliche Wünsche und Bedürfnisse zurückstecken mussten. Grund waren stets gesellschaftliche Zwänge: Eine aussereheliche Schwangerschaft, die falsche Partnerwahl oder gar Homosexualität brachten Schande über die ganze Familie.
Ob sich das heute, im Jahr 2001, geändert hat? Auch Rocío wird in Sachen Berufswahl noch immer von ihrer Familie unter Druck gesetzt. Derweil bahnt sich im Land eine massive Wirtschaftskrise an, die verheerende soziale Folgen nach sich ziehen wird. Noch kann Rocío das nicht wissen. Sie lässt sich durch die Vergangenheiten ihrer Familie treiben. Und: Sie fasst Mut, ihre Zukunft selbst in die Hand zu nehmen.
Im Band wechseln sich Sequenzen aus Vilmas Vergangenheit und Rocíos Gegenwart – mit traumwandlerischen Visionen, die sie von ihrer Grossmutter hat – ab. Eine markante Farbgebung setzt die Zeiten voneinander ab. Und ein politischer Unterton schwebt stets mit, wenn auch nur leise: Während man zuschaut, wie Vilma sich immer mehr ins Haus zurückzieht und die Aussenwelt aussperrt, flattert heute die Tageszeitung mit einer Schlagzeile zum Peronismus direkt auf Rocíos Küchentisch.
«Naphthalin» ist ein autofiktionaler Comic, der das Leben mehrerer Generationen in Argentinien einfängt, ohne lautstark Kritik üben zu wollen. Vielmehr rückt er die Menschen und ihre persönlichen Herausforderungen, denen sie sich stellen müssen, ins Zentrum. Eine ganz normale, aussergewöhnliche Generationengeschichte.