Victor Jestin: Der Tanzende

von Cornelia Hüsser • 11.05.2023

Verlag: Kein & Aber
208 Seiten · Hardcover
Erscheinungstermin: 28.02.2023
ISBN: 978-3-0369-5898-9

Abend für Abend zieht es ihn in den gleichen Club – nicht etwa, weil er neue Bekanntschaften schliessen will, sondern um zu tanzen. Nur hier fühlt er sich frei. Und dabei merkt er nicht, wie das Leben an ihm vorbeizieht.

Arthur ist zehn Jahre alt, als er das La Plage zum ersten Mal betritt. Sofort fühlt er sich unwohl. Ein Schulkamerad darf hier seinen Geburtstag feiern, doch Arthur schafft es nicht, sich zur Musik zu bewegen. Er ist wie erstarrt, weiss nicht, wie er sich verhalten soll in der ungewohnten Umgebung. Und ungewohnt ist nicht nur die Tanzfläche; Arthur ist ein Aussenseiter, er wurde nur eingeladen, damit gleich viele Jungen wie Mädchen anwesend sind.

Work, dance, sleep, repeat

Erst als Jugendlicher betritt er den Club ein nächstes Mal. Er hat einen Entschluss gefasst: er will teilnehmen am Leben, jemand sein. Er besucht einen Tanzkurs, schaut sich Moves ab, formt seinen Körper – bisher Modell Lauch – im Fitnessstudio. Immer öfter zieht es ihn ins La Plage. Die Tanzfläche wird zu seinem neuen Lebensmittelpunkt.

Sein neu gewonnenes Selbstbewusstsein beschränkt sich allerdings auf genau diese. Während die Menschen in seinem Umfeld wegziehen, neue Jobs annehmen oder Familien gründen, verspürt er keinerlei Motivation, etwas an der bequemen Routine seines Alltags zu verändern: arbeiten am Empfangstresen des Fitnessstudios, tanzen im Club, schlafen – und wieder von vorne. Die Jahre ziehen ins Land.

Einsam in der Disco

Victor Jestin zeichnet das Psychogramm eines jungen Mannes, der nirgends seinen Platz findet. Arthur weiss nicht, wie man auf Menschen zugeht und sich unterhält. Er hat keine Hobbys, keine beruflichen oder schulischen Ambitionen, keine Ansichten oder Überzeugungen. Seine Wohnung ist kahl, sein Leben ereignislos, seine einzigen «Freunde» die Angestellten des Clubs. Arthur ist im Grunde ein guter Mensch, nur leider unsympathisch, uninteressant und stumpf.

Eins sei gesagt: an dieser Tatsache wird sich bis zum Schluss des kurzen Bandes nichts ändern. Jestin gönnt seinem Protagonisten keine Erlösung. Dafür lässt er seine Leser:innen regelrecht spüren, wie einer verzweifelt nach einem Lebensinhalt sucht und daran scheitert. Es ist ein Roman über Ängstlichkeit, Verbissenheit und Einsamkeit – tragisch und traurig.