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59. Solothurner Filmtage: Rundumblick

von Cornelia Hüsser und Michael Bohli • 25.01.2024

An den 59. Solothurner Filmtagen war der Überblick auf das heimische Filmschaffen mit der Sektion «Panorama» zentral. Sogar Musikvideos durften entdeckt werden.

Es muss nicht immer ein Wettbewerb sein, die Filmtage in Solothurn eignen sich auch abseits der preisverdächtigen Sichtungen für eine gute Zeit. Die Sektion «Panorama» bot 2024 eine umfassende Übersicht zum heimischen Filmschaffen, mit Dokumentationen und Spielfilmen. Zudem gab es die Vorauswahl zum «Best Swiss Video Clip» zu erleben.

FIKTION

Ein auf den ersten Blick alltägliches Frauenschicksal behandelt Elene Naveriani in «Blackbird Blackbird Blackberry». Die Protagonistin Etero lebt in einem kleinen Dorf in Georgien – ohne Mann, ohne Familie, mit einer Handvoll zweifelhafter Freundinnen, aber eigentlich nicht unglücklich. Als sie sich mit 48 Jahren plötzlich verliebt, muss sie ihren Freiheitsbegriff neu definieren. Ein berührender, wärmender und lebensbejahender Film mit nettem Plottwist.

Bei den Solothurnern Minusgraden tut es gut, in scheinbar endlose Sommertage ohne ernsthafte Verpflichtungen einzutauchen. Das gelingt mit «L’amour du monde». Die 14-jährige Margaux macht ein Sommerpraktikum im Kinderheim und lässt sich mit der siebenjährigen Juliette und Joël, einem Fischer aus dem Dorf, durch die Tage treiben. Sie alle haben ihre Probleme, können sie aber durch ihr Zusammensein für einen Moment vergessen. Ein Wohlfühlfilm, der Jenna Hasse sei Dank keine Romanze ist.

Weniger schöne Gefühle gibt es bei der Mischung aus realistischem Drama und Musical von «Manga d’Terra». Der Spielfilm von Basil Da Cunha beschäftigt sich mit der jungen Rosa, die von den Kapverden aus nach Lissabon migriert ist und dort auf ein besseres Leben hofft. Doch im Ghetto ist es nicht einfach, sich zwischen Gewalt und Unterdrückung zu behaupten.

Mit harten Szenen und musikalischen Einlagen versucht der Film, die Extreme auszubalancieren, leider fehlt der Geschichte eine Aussage oder ein Ziel. Die schönen Bilder verpuffen durch die verwirrende Atmosphäre, der Humor irritiert und alles wirkt zu sehr wie «Misery Porn».

Dass ich Vicky Krieps und Luna Wedler einmal zusammen in einem Film von Margarethe von Trotta sehen darf, habe ich nicht erwartet. «Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste», das Biopic über die österreichische Schriftstellerin und ihre destruktive Beziehung mit Max Frisch, macht es möglich. Besonders Krieps zeigt in der Titelrolle ihr grosses Talent, die Struktur macht dem Film aber keinen Gefallen. Die Szenen wirken zusammengewürfelt und die Person Bachmanns bleibt blass. Hier gibt es unsere ausführliche Besprechung.

Wie schön die Bilder und Musik in der ersten Szene von «Deer Girl» zusammenkommen, sofort lässt der Film das Interesse gross werden. Leider aber vermag es das Werk von Francesco Jost nicht, diese Erwartung einzulösen. Die Geschichte behandelt Misogynie und versucht sich an einer kritischen Betrachtung von Schuld und Vergebung, scheitert aber mit jeder Szene und besonders dem Ende. Schade um Denise Tantucci, die in der Hauptrolle bei mir ähnliche Vibes wie Rooney Mara auslöste und sich redlich Mühe gab.

Ebenfalls ein Missgriff: «Early Birds» setzt auf hohes Tempo, ein idiotisches Drehbuch mit schlimmen Dialogzeilen und allen Klischees, die man aus Krimis des deutschen Fernsehens kennt. Handwerklich überzeugt der neuste Streich von Michael Steiner, liefert einen fetzigen Soundtrack (Odd Beholder, Lola Boum!) und das darstellerische Duo mit Nilam Farooq und Silvana Synovia macht Laune. Der Sexismus, das hölzerne Spiel und die holprige Struktur sorgen aber dafür, dass von dem stellenweisen «Stupid Fun» vor allem «Stupid» übrig bleibt. Hier gibt es unsere ausführliche Besprechung.

DOKUMENTATION

Für den Dokumentarfilm «Ruäch» begleiteten die Regisseure Simon Guy Fässler und Andreas Müller während sechs Jahren Jenische in Europa. Hier gibt es unsere ausführliche Besprechung.

«The Driven Ones» von Piet Baumgartner ist ein Porträt von fünf Studierenden des Masterprogramms «Strategy and International Management» der Wirtschaftselite-Schmiede HSG. Die Studienzeit wird allerdings nur kurz angerissen; der Fokus liegt auf den unterschiedlichen Karriereentscheidungen nach dem Abschluss. Immerhin eine der Porträtierten ist zur Selbstreflexion fähig – abgesehen davon gelingt es dem Film aber nicht, kritisch zu hinterfragen und in die Tiefe zu gehen. Für sieben Jahre ein schmaler Ertrag.

Den American Dream träumen noch immer viele – so auch Carlos, der als Kind von Mexiko in die USA kam und seither als Sans-Papiers in Chicago lebt. «Dreamers» (Stéphanie Barbey, Luc Peter) erzählt seine Geschichte, die für viele steht: die ständige Ungewissheit, die immer präsente Angst vor Verfehlungen, die zur Abschiebung führen könnten. Wenn auch die Kritik am bestehenden System deutlich wird, scheint die Wahl der Hauptfigur doch eher zufällig, und die erhoffte Dringlichkeit bleibt leider aus.

https://youtu.be/1FQ0gQ_gXjg

Was für eine positive Überraschung! «Partners» ist eine humorvolle, lebensbejahende Dokumentation über Claude Baechtold und seine Reise durch Afghanistan mit den Journalisten Paolo Woods und Serge Michel. Herausgekommen ist kein tristes Abbild des Landes, das zu Beginn der Nullerjahre im Krieg und Chaos versank, sondern ein persönliches Tagebuch mit menschlichen Momenten und schönen Begegnungen. Als Sahnehäubchen obendrauf gibt es Lieder von Emilie Zoé und Louis Jucker zu hören.

Eine Beziehung, basierend auf einem Vertrag mit Regeln – ein Kunstprojekt wird ein Jahr lang Realität und von Yannick Mosimann zu einem Dokumentarfilm verarbeitet. «Normal Love» ist eine interessante Betrachtungsweise von Liebesbeziehungen, die zur Selbstreflektion anregt. Dass Mike Argiz und Jeanne Spaeter nicht glücklich werden, vermutete ich bereits zu Beginn und viele Diskussionen, Streitgespräche sind auf Schweizer Art mühsam. Der Film aber wirkt dank der Lo-Fi-Ästhetik und der Musik von Leoni Leoni sehr stimmungsvoll.

KLANG

In der Kategorie «Panorama andere Erzählformate» gab es eine Zusammenstellung der Best Swiss Video Clips zu sehen. Hier entdeckte man liebevolle Stop-Motion-Animationen (Lonely Bird von Dirty Sound Magnet), antikapitalistische Zeichentrick-Rants (Thunfisch von Boysel) oder einen wilden Ritt durch Zürich (Walkie Talkie von Ikan Hyu).

Fünf nominierte Clips gehen ins Rennen um den Hauptpreis, der am m4music-Festival im März verliehen wird. Für den Publikumspreis kann noch bis zum 30. Januar hier abgestimmt werden.

59. Solothurner Filmtage

Ort:
Diverse Lokale, Solothurn

Datum:
17. bis 24.01.2024

Website:
solothurnerfilmtage.ch

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