Kino: Becoming Giulia

von Cornelia Hüsser • 24.04.2023

Regie: Laura Kaehr
Land: Schweiz
Jahr: 2022
Verleih: First Hand Films

Giulia Tonelli ist Solotänzerin am Opernhaus Zürich. Nach der Geburt ihres Sohnes kehrt sie an ihren Arbeitsplatz zurück – und muss eine neue Balance zwischen zwei Welten finden.

Profitänzerin und Mutter sein: geht das? «Ja, natürlich!», möchte man am liebsten schreien. Frauen können Mütter sein und arbeiten – willkommen im 21. Jahrhundert. Dass die Frage dennoch immer wieder diskutiert werden muss, ist vor allem Ausdruck eines mangelhaften Systems. Dass sich Frauen oft für das eine oder das andere entscheiden müssen, liegt vor allem fehlender Unterstützung.

Auch Giulias Trainingsplan nimmt nach ihrer Mutterschaftspause keine Rücksicht auf die neue Situation. Eltern sind in solchen Institutionen schlicht nicht eingeplant. Hinzu kommen das harte Training, anspruchsvolle Choreografien und die Veränderungen des Körpers, die eine Schwangerschaft mit sich bringt.

Schöne Bilder, wenig Kritik

Doch Giulias Leidenschaft für den Tanz ist in jeder Szene spürbar. Sie arbeitet zeitweise für drei Produktionen gleichzeitig, sucht stets nach neuen Herausforderungen und anspruchsvolleren Rollen. So setzt sie sich beispielsweise mit der Choreografin Cathy Marston in Verbindung, um gemeinsam an einem Stück mit mehr Tiefgang zu arbeiten. (Diese wird übrigens ab der Saison 2023/2024 neue Direktorin und Chefchoreografin des Balletts Zürich.)

Die Regisseurin Laura Kaehr fängt grösstenteils schöne Momente aus Giulias Alltag ein, die sie lose chronologisch zeigt. Kritik an der Branche blitzt nur unterschwellig durch; wobei das fehlende Einstehen für eigene Ansichten einmal – selbstkritisch – als eine Art «Krankheit» des Berufsstands entlarvt wird. Genau das aber wären die interessanten Ansatzpunkte für einen Film gewesen. Leider haben Aussagen, die in diese Richtung gehen, durchgehend zu wenig Biss.

«Becoming Giulia» ist damit ein schön anzusehender Dokumentarfilm geworden, der mit beeindruckenden Tanzszenen aufwarten kann. Spannend sind auch die Einblicke hinter die Kulissen des Zürcher Opernhauses, insbesondere im direkten Vergleich zur Arbeit im kleinsten Rahmen. Das Hauptthema – die Verbindung von Berufs- und Familienleben – kommt aber insgesamt zu kurz.