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Bildrausch Filmfest 2025: Vielseitige Koexistenz

von Michael Bohli • 01.07.2025

Wie funktionieren soziale Gefüge, zwischenmenschliche Beziehungen und Nachbarschaften? Das Bildrausch Filmfest Basel hat sich diesen Fragen in der Ausgabe 2025 mit einem fesselnden Programm gewidmet.

Bildrausch Filmfest, gerne wiederhole ich mich und juble über deine Existenz. Das furchtlos zusammengestellte und augenöffnende Filmprogramm, die ungezwungene familiär wirkende Atmosphäre und der geschaffene Rahmen waren 2025 erneut famos. Mit dem Fokus «Hello neighbour» wurde eine vielschichtige Annäherungsmöglichkeit geschaffen, mein Besuch sorgte für frische Erinnerungen.

Kinoerlebnisse am Bildrausch bleiben lange haften, wie etwa die Reinkarnation bei «Samsara» (Lois Patiño), die sommerliche Atmosphäre in «Mistuki» (Marina Tsukada), die VHS-Ästhetik von «Magnetic Fields» (Yorgos Goussis) oder David Easteals lange Autofahrten in «The Plains» – für immer in meine Seele gebrannt. 2025 hatte viel Potential für solche Erfahrungen.

Hello, finally!

Gleich drei Filme aus dem diesjährigen Programm habe ich sehnlichst erwartet und wurde zu keiner Sekunde enttäuscht. Die Produktionen bewiesen die Programmqualität des Festivals und deren Vielfalt. Gewohnheiten und Formen sprengend war «The Stimming Pool» von Sam Ahern, Georgie Kumari Bradburn, Benjamin Brown, Steven Eastwood, Robin Elliot-Knowles und Lucy Walker.

Gemeinsam formen sie das Neurocultures Collective und zeigen uns mit dem fluiden Film, was das Medium alles sein kann. Ungewohnt, reizvoll, vielschichtig und inklusiv. Zugleich zeigt die Produktion, wie chaotisch überfordernd unsere Welt eigentlich ist.

Schöne Momente im erdrückenden Konstrukt des patriarchalen Kapitalismus suchten die Freund:innen in «Dreams In Nightmares» von Shatara Michelle Ford. Der Roadtrip der Queers wurde zu einer inspirierenden Mixtur aus Sehnsucht, Hoffnung, Kreativität und harscher Realität der USA.

Als Action-Thriller getarnte Kapitalismuskritik entpuppte sich der neuste Film von Kiyoshi Kurosawa, wobei «Cloud» die Balance nicht immer hielt. Während die Figuren in der realen Gewaltspirale des Late-Stage-Capitalism versinken, durchlebte der Kinosaal eine zu lange Actionszene am Ende des Films.

Da war das Wiedersehen mit Delia Hess und ihrem animierten Kurzfilm «On Hold» viele Stufen entspannter. Aus der Telefonwarteschlaufe zur fliessenden Welt, in monochromen Bildern und witzigen Ideen.

Oh, hello?!

Viel grösser war logischerweise der Anteil an Filmen, die mir noch unbekannt waren. Das bot Nährboden für Herausforderungen, Überraschungen und zahlreiche Perspektiven. Die Schweiz zeigte sich von innovativer, kreativer Seite im Kurzfilmblock «Beloved Neighbours».

Das Zusammenleben und gegeneinander Agieren wurde in «1:10» von Sinan Taner, «Revier» von Felix Scherrer und «Two Point Five Stars» von Sina Lerf, Dario Marti und Dario Boger perfekt inszeniert; letzterer preisgekrönt. Ein Tanz zwischen Distanz, Angst, Aggression und Gefühl, eine stete Neuorientierung im Wandel der Gesellschaft.

Dabei überzeugten nicht nur die Inhalte, formentechnisch bewies die neue Generation des hiesigen Filmschaffens viel Können und Mut – wie das Sabotage Kollektiv bildtechnisch bei «Habitants» und Valentin Merz bei «Les bouches» mit Satire und Verschachtelung.

Die dokumentarische und private Annäherung an Konflikte war an der diesjährigen Festivalausgabe vielseitig, besonders das prämierte Werk «The Shards» von Masha Chernaya war durch die weggelassene Kontextualisierung des Kriegs und die selten gesehene Perspektive auf die Moskauer Untergrundszene der Jugend packend.

Dagegen wirkte das Beziehungsportrait «Unsere Zeit wird kommen» von Ivette Löcker zu unfokussiert. Wenn auch die sieben Jahre aus dem Leben von Viktoria und Siaka mit Migration, Herkunft, institutioneller Gewalt und Trauma viel Erzählmaterial boten. Auf ein einzelnes Ereignis bezog sich Claudia Marschal in «La déposition», in dem sie Emmanuels Vergangenheit und die in der Kirche erlebte sexuelle Belästigung thematisierte.

Mit Archivaufnahmen und einem uneingeschränkten Zugang zu Emmanuels Leben wirkte das Portrait sehr persönlich, aufschlussreicher war das anschliessende Gespräch im Kinosaal. Erklärungen müssen nicht immer sein, was zwei poetisch und mystisch wirkende Filme zeigten.

«Downriver, A Tiger» sperrte sich anfänglich mit abstrakter Erzählweise, dann wechselte die Stimmung zu einer einfühlsamen Liebesgeschichte, eingefangen in tollen Aufnahmen. Víctor Diago spielt hierzu beim Debüt geschickt mit Archivmaterial und der Sehnsucht in uns allen.

Einen ungewohnten Blick auf die Beziehung von Menschen und Tier gelang Jessica Sarah Rinland mit «Monólogo colectivo». Unkommentiert zeigte sie den Alltag in Zoos und Tierheimen, die Kamera nahe an den Bewegungen, die Atmosphäre sinnlich. Die Sinnesfrage solcher Handlungen und der ausbleibende Dialog blieben lange im Raum hängen.

Hello, again.

Eine kleine Rückschau wurde dem britischen Filmemacher Marc Isaacs gewidmet, der sich in seiner Karriere sehr stark mit den Begriffen Nachbarschaft und Zusammenleben auseinandersetze. Bereits sein erster Film «Lift» war eine dokumentarische Annäherung an das alltägliche Dasein in einem Wohnblock in London.

Aus Oberflächlichkeit wurde in den Aufnahmen Intimität und Emotion, was dem Regisseur 13 Jahre später mit «Outsiders» erneut gelang. Vom Essensstand aus wird in kurzen Gesprächen ein Bild von England gezeichnet, das sich mit Migration, Hass und Wandel beschäftigt.

Der Langfilm «The Road: A Story of Life and Death» setzte für Beobachtungen auf Bewegung und fand in London Migrantenschicksale voller Hoffnung, Leid, Sorgen und Verlust. Isaacs zeigt Menschen, deren Ende und neue Aufbrüche. Ein Beweis, dass Gesellschaften und Städte immer fliessen und nie einen fixen Zustand einnehmen können.


Mehr Phosphor: Zusätzliches Bildrausch gibt es in unseren Berichten zu den Jahren 2023 und 2024.

Bildrausch Filmfest 2025

Ort:
Kult.Kino und Stadtkino, Basel

Datum:
25. bis 29.06.2025

Website:
bildrausch-basel.ch

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