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Bildrausch Filmfest Basel 2023

von Michael Bohli • 05.06.2023

Das Bildrausch Filmfest in Basel stellte sich dieses Jahr komplexen Themen und untersuchte unter dem Banner «Truth And Other Lies» die Kraft von Filmen. Fünf Tage voller augenöffnender Momente.

Jedes Jahr, wenn die Sonne brennt, lädt das Bildrausch Filmfest in Basel zu mehreren Tagen voller Erfahrungen. Das Festival hat sich in den letzten Jahren zu meinem absoluten Liebling im Bereich Film entwickelt und bewies mit der Ausgabe «Truth And Other Lies» kraftvoll, warum.

Investigative Produktionen zum aktuellen Weltgeschehen und emotionale Beiträge zu Körper, Liebe und Familie: Die Mischung der Themen war anregend und reizvoll, die gezeigten Produktionen überraschend. Pinke Blumen schmückten das Festivalzentrum, weder beim Fokusprogramm noch sonst fand man eine binäre Agenda. Mutig und inklusiv, das ist Bildrausch.

Nicht nur durfte ich dieses Jahr viele Entdeckungen sehen, sondern erlebte am Freitag mit drei Vorstellungen im Stadtkino meinen besten Festivaltag ever. Die Emotionen, Wucht und Kraft waren unglaublich; der Samstag war wärmend und intellektuell.

Wahrheiten, Lügen und die Darstellung von wichtigen Ereignissen im Kino: Mit dem Fokusprogramm wurde anhand Dokumentarfilme gezeigt, wie schwierig die unverfälschte Weltsicht ist. Greta Stocklassa konfrontierte in «Blix Not Bombs» (Deutschland, Tschechien, Schweden 2023) den ehemaligen UN-Diplomaten Hans Blix mit den Lügen, welche 2003 zum Irakkrieg führten.

Der Film erinnerte mich an meine Schulzeit, als wir 9/11 und die Folgen behandelten, und ist zugleich eine wichtige Zusammenfassung für Menschen, die im 21. Jahrhundert geboren wurden. Die Frage, was eine Person ausrichten kann, bleibt unbeantwortet. «Etilaat Roz» (Afghanistan 2022) bewies, wie wichtig es sein kann, wenn ein Mensch Ereignisse mit der Kamera begleitet.

Die emotional eindringliche und angespannte Doku von Abbas Rezaie zeigt den Alltag der namensgebenden Zeitung während dem Fall Kabuls im Jahr 2021. Ohne Klischees und roh, beim anschliessenden Q&A wurden die Gefühle und Gedanken durch den Regisseur intensiviert.

Allgemein gilt es beim Bildrausch, nach den Filmen sitzen zu bleiben. Die Diskussionen mit den Filmemacher:innen sind hoch interessant, vertiefen das Erlebnis und bieten Möglichkeiten zum Austausch.

Von Lina erfuhr man, dass ihre dokumentarische Arbeit «5 Seasons Of Revolution» (Deutschland, Katar, Syrien, Norwegen, Niederlande 2023) nicht nur die persönliche und weibliche Sicht auf die Revolution Syriens im Jahr 2011 aufzeigt, sondern den Glaubensverlust in die Medien und Dokumentation. Der Krieg wurde bis ins letzte Detail digital übertragen und festgehalten, die Welt hat es trotzdem nicht interessiert.

Um solche tragischen Botschaften besser überstehen zu können, gab es im Bereich der Spielfilme wärmende Geschichten zu sehen. Wie die zwei kürzeren Produktionen von Marina Tsukada; «Mitsuki / Sekai» (Japan 2023) sind Teile des zehn Jahre andauernden Filmprojekts «TOKI», das sich seit einiger Zeit im Dreh befindet.

Zwei Portraits junger Frauen in Japan, auf 16mm-Film gedreht, langsame Zooms und ein Stück des wahren, unaufgeregten Lebens. Bedächtig war die Reise um die Welt bei «Samsara» (Spanien 2023): Lois Patiño transportierte mich mit seinem meditativen Werk nach Laos. Orange Bilder und eine spirituelle Stimmung wie bei «Uncle Boonmee Who Can Recall His Past Lives» (Apichatpong Weerasethakul, 2010).

In der Mitte des Films die Reinkarnation: Stroboskop, Tod und Reise. Mit geschlossenen Augen sass ich im Kinosaal, die Unendlichkeit drängte sich durch die Ritzen des Daseins. Mir wurde bewusst, dass ich noch nicht bereit bin, mich von diesem Leben zu verabschieden. Das Kinoerlebnis des Jahres – ein aufrüttelnder Moment, ähnlich der Kunstinstallation «Ganzfeld» von James Turrell. Unbeschreiblich.

Eine andere Sicht auf das Leben als Mensch gab es mit dem Spielfilm «Kristina» (Serbien 2022), der Sexarbeit, Transsexualität und wahre Personen in eine fiktive Geschichte einbrachte. Impressionistische Aufnahmen, hybride Form und klare Aussagen: Nikola Spasic stellt sich gegen die unterdrückenden Normen in der Gesellschaft.

Eklektisch und jede binäre Darstellungsweise in Form oder Erzählweise umgehend, war die Dokumentation «Orlando, Or My Political Biography» (Frankreich 2023) von Paul B. Preciado. Der hundert Jahre alte Roman «Orlando» von Virginia Woolf wird auf clevere Weise neu betrachtet, die Handlung mit realen Transpersonen und ihren Lebensgeschichten verbunden. Ein wichtiger Film zum Thema und voller verspielter Momente, die Melancholie und Ängste mit viel Energie und kreativer Kraft verpuffen liessen. Der Film gewann den Publikumspreis.

Bildrausch Filmfest Basel: Ich bin im Kino gestorben, wurde neu geboren. Ich habe gelitten und mich gefreut. Ich fühlte mich geborgen und verloren. Ich sah die Welt aus unterschiedlichen Perspektiven und weiss, eine singuläre Wahrheit gibt es nicht.

Bildrausch Filmfest Basel 2023

Ort:
kult.kino Atelier und Stadtkino, Basel

Datum:
31.05. bis 04.06.2023

Website
bildrausch-basel.ch

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