von Michael Bohli und Cornelia Hüsser • 04.06.2024
Zurück am Lieblingsfestival: Unter dem Banner «Technology, my Love» zelebrierte das Bildrausch Filmfest in Basel erneut die stimulierenden Seiten des Kinos.
Jedes Jahr bin ich überrascht, wie sich das Bildrausch Filmfest in Basel als kleines Festival von den restlichen Kino-Veranstaltungen in der Schweiz abzuheben vermag. Kompakt um das Stadtkino und das Kult Kino beim Theaterplatz positioniert, fanden 2024 Filmschaffende aus diversen Ländern zusammen, um ihre Werke zu zeigen und über die Welt zu sprechen.
«Technology, my Love» bündelte das Hauptprogramm mit wachsamem Blick auf unseren Umgang mit Technik, künstlicher Intelligenz und Robotik. Die Q&A-Runden nach den Projektionen, die Talks und Veranstaltungen ausserhalb der Kinosäle und die privaten Gespräche vertieften die Erfahrungen – ein grosser Mehrwert an diesem Filmfest. Richtigerweise wurde von María Aparicio darauf hingewiesen, wie grosszügig Filme sein können.
Logisch, dass die Filmauswahl dieser Qualität in nichts nachstand. Die Kurzfilmblöcke lieferten den passenden Einstieg, von Videospielen zu Überwachungskameras. Erschütternd die dokumentarische Arbeit «512×512» von Arthur Chopin, den eine KI-generierte Gesichtssuche zum menschlichen Horror führte. Lehrreich und mit moralischen Fragen gespickt der konzeptuelle «How To Disappear – Deserting Battlefield» von Michael Stumpf, Leonhard Müllner und Robin Klengel.
Konkreter zeigte sich «Incident» von Bill Morrison, der mittels Überwachungs- und Bodycam-Aufnahmen die Ermordung eines Schwarzen Passanten durch eine Gruppe Polizisten nachvollzog. Oder «Human Not Human» von Natan Castay: die Nachstellung eines Selbstexperiments, bei der der Regisseur sich auf einer Microtask-Website anmeldete, um für wenige Cents beispielsweise Gesichter bei Google Street View unkenntlich zu machen.
Mit Glitches und Bytes das kollektive Unterbewusstsein der Menschheit zu erforschen – eine Aufgabe, die in der Dokumentation «Malqueridas» von Tana Gilbert durch gedruckte Handyvideos von ehemaligen und schwangeren Gefängnisinsassinnen Chiles eine körperliche Form erhielt. Den harten Schicksalen wurde durch Sounddesign und Direktheit ein neues, intensives Leben eingehaucht; das geschaffene Archiv auf die Leinwand gebracht.
Ebenfalls mit gesammelten und durch die Regierung verbotenen Aufnahmen des Lebens arbeitete Farahnaz Sharifi bei ihrer persönlichen und emotional packenden Dokumentation «My Stolen Planet», welche den Publikumspreis und den Peter-Liechti-Preis 2024 gewann. Das private Dasein von Familien und Frauen im Iran, zwischen Revolution, Tanz und Unterdrückung, wird zur Chronik des Widerstands und des individuellen Kampfs. Eine aufrüttelnde Erfahrung, begleitet von schöner Musik, ein Manifest für die digitalen Aufnahmemöglichkeiten.
Doch was passiert, wenn die Technik neue Wege einschlägt? Isa Willinger beobachtete für «Hi, A.I.» den Umgang mit Robotern bei der Entwicklung in den Laboren und im privaten Gebrauch. Stets dazu verwendet, Leerstellen zu füllen und Sehnsüchte zu befriedigen, wirft die Kommunikation mit diesen künstlichen Wesen viele ethische Fragen auf. Dabei setzt die Dokumentation auf poetische Bilder aus Japan und den USA, Fragmente und Einblicke, ohne erklärend zu sein – ein guter Einstieg ins Thema.
Sandra Wollner sprengte mit dem Spielfilm «The Trouble With Being Born» in Form einer Indie-Science-Fiction-Geschichte den gewohnten Rahmen zum Thema Verlust und Personenersatz. Hier soll ein Roboter die Schuldgefühle mindern und düstere Fantasien erfüllen, was an die Serie «Black Mirror» erinnert und mit verschachteltem Schnitt und erzählerischer Zurückhaltung aufwühlt. Harte Kost aus der desolaten Umgebung der Urbanität.
Dass es am Ende des Festivals mit der Wiederaufführung von «Blade Runner – The Final Cut» zwischen Menschen und Androiden laut knallte, war in dieser Steigerung der Intensität nur richtig. Das atmosphärische Meisterwerk von Ridley Scott funktioniert dank Mystik, Psychologie und offenen Fragen weiterhin prächtig.
Fernab von künstlichen Geschöpfen spielte die Coming Of Age-Geschichte von «City Of Wind» in Ulaanbaatar. Der erste Spielfilm von Lkhagvadulam Purev-Ochir überzeugte mit einer gefühlvollen Betrachtung des heutigen Lebens der mongolischen Jugend. Zwischen Kapitalismus und Spiritualität bewegen sich Maralaa und Ze (grossartig vom Laien Tergel Bold-Erdene gespielt) durch den Alltag, ein Doppelleben, das im Film ohne die üblichen Drama-Kniffe zum bereichernden Erlebnis wurde.
Der Film läuft ab dem 4. Juli in den Kinos, mehr dazu später.
Mehr Zeit für die Verbindung zwischen Bildern und Zuschauer:innen benötigte «Las Cosas Indefinidas» von María Aparicio aus Argentinien. Das Drama befasste sich auf poetische Weise und statischen Aufnahmen mit Verlust, Freundschaft und Leidenschaft. Die Kunst des Filmschnitt wurde geehrt, während die unsichtbaren Aspekte des Lebens Platz einnahmen. Eine sperrige Erfahrung, die gegen Schluss wie ein Knoten aufging und mich stark berührte.
Direkter und sehr humorvoll war der neuste Spielfilm von Kazik Radwanski aus Kanada. In «Matt And Mara» geht es um Grenzen und Überschreitungen in Beziehungen, um Gespräche und Ungesagtes. Im unterhaltsamen Indie-Film nahe am Mumblecore wurden die realen Grundlagen der Story perfekt von den Hauptdarsteller:innen Deragh Campbell und Matt Johnson auf die Leinwand transportiert. Wie gerne wäre ich solchen Charakteren ähnlicher und könnte mich komplett im kreativen Schaffen verlieren.
Verloren fühlt sich auch Trine im norwegischen Drama «Å Øve (Practice)»: Die junge Trompetenspielerin wird an ein Vorspielen in Oslo eingeladen, will für die Reise aber nicht fliegen. Das bedeutet hunderte von Kilometern zu Trampen, durch kalte Landstriche und mit dem Klimastreik abgeneigten Personen. Ein Film der Gegenwart mit spontan wirkenden, naturnahen Aufnahmen und erzählerischem Minimalismus, der von der Komposition «Oblivion» geleitet wird.
Bleibt zu hoffen, dass die Menschheit die Welt in den nächsten Jahren zum Besseren wenden kann – mit oder ohne künstliche Intelligenz. Festivals wie das Bildrausch liefern die Grundlagen für thematische Auseinandersetzungen und Diskussionen, stimulierend und unerwartet bereichernd.
2023 hiess es beim Bildrausch Filmfest Basel «Truth And Other Lies»; hier unser Bericht.
Bildrausch Filmfest Basel 2024
Ort:
Stadtkino und Kult Kino, Basel
Datum:
29.05. bis 02.06.2024
Website:
bildrausch-basel.ch