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Brugger Dokumentarfilmtage 23: Kurzfilme und Retrospektive

von Michael Bohli • 20.09.2023

Dokumentarfilme müssen nicht immer lange und ausführlich sein – auch ihre Kurzform kann spannende Einblicke ermöglichen. Im Wettbewerb der Brugger Dokumentarfilmtage konnte man so in verschiedenste Themen eintauchen.

Der Kurzfilmwettbewerb der Brugger Dokumentarfilmtage wurde dieses Jahr zum ersten Mal durchgeführt. Er richtet sich an junge Filmschaffende unter 30 Jahren und bietet ihnen eine Plattform, um von einem breiten Publikum gesehen zu werden. Aus über 120 eingereichten Filmen wurden 20 von einer Jury ausgewählt – einige davon haben uns besonders beeindruckt.

Einfühlsame Einblicke

«Heute mit Zucker und morgen weiss ich noch nicht» (Annaka Minsch, Léon Melchior Hüsler) zeigt den Alltag im Hospiz Zentralschweiz. Hier verbringen Menschen, die unheilbar krank sind, ihre letzte Lebenszeit. Mit respektvoller Distanz bleibt die Kamera im Dämmerlicht vor dem Zimmer stehen, man hört das Gespräch zwischen Patientin und Pflegerin nur; Einblicke gibt es in den Austausch unter dem Personal oder in die administrative Arbeit.

Eine WG der anderen Art lernen wir in «Art inclusive» (Jani Petersohn, Leon Forthmann) kennen: Sie ist inklusiv, Menschen mit und ohne Betreuungsbedarf leben zusammen. Hier findet Juri bei seinen Mitbewohner:innen Unterstützung, um mit seiner Kunst voranzukommen – und umgekehrt lernen auch sie von ihm.

Feministische Stimmen

Gleich mehrere Filme haben sich mit feministischen Themen befasst. So zum Beispiel «Ours» (Morgane Frund), die Urs’ Aufnahmen von Bären zu einem Film zusammenschneiden sollte, bei der Sichtung aber auch allerlei heimliche Aufnahmen von Frauen findet – und Urs damit konfrontiert. Der Film hat den Wettbewerbs- sowie den Publikumspreis gewonnen.

«Ausser Männer hatten wir nichts zu verlieren» (Hanna Marie Hocker, Leila Fatima Keita) beschäftigt sich mit den Unterschieden zwischen «unserem» Feminismus und dem unserer Mütter. Wer waren unsere Vorkämpferinnen, was haben wir ihnen zu verdanken und was können wir voneinander lernen? Eine Annäherung scheint möglich.

Auch «Olympic Women» (Paula Buchta) beschäftigt sich mit Vergangenem und Aktuellem, und zwar im Leistungssport. Früher mussten Frauen zum Geschlechtstest antraben, heute hinterfragen sie Bekleidungskonventionen, die noch immer den Körper anstatt die Leistung in den Vordergrund stellen.

Unterhaltsame Pausen

Dokumentarfilme müssen nicht nur ernst sein. Das beweist «Zigipouse» (Alan Sahin), ein Film, der Menschen bei ebenjener zeigt. Sieben Orte hat der Regisseur aufgesucht, an denen in der Zigarettenpause über das neuste iPhone diskutiert, ein verlorener Zettel gesucht oder einfach gemeinsam geschwiegen wird.

Ästhetische Sachlichkeit

Visuell einnehmend sind die Tier- und Landschaftsaufnahmen von «Corps à cors» (Hippolyte Burkhart, Vincent Benedetti-Icart). Sobald die Dunkelheit über die Vogesen hereinbricht, taucht der Hirsch auf. Geleitet von sexuellen Trieben lässt er sein Röhren erklingen und sucht den Kampf … bis es wieder hell wird.

Eine gewisse Absurdität wohnt «Die Astronauten von Feuerbach» (Johann Schilling) inne. In der grössten Autowaschanlage Europas arbeiten über 100 Menschen und reinigen bis zu 4000 Autos pro Tag. 4000mal waschen, wachsen, föhnen, polieren. Was machen wir hier eigentlich?

Animiert dokumentiert

Schliesslich wurden auch zwei animierte Dokumentarfilme gezeigt: «Pas amoureux» (Eugénie Bouquet) illustriert ein Interview mit einer Sexarbeiterin, die von ihren Erfahrungen mit behinderten Kunden spricht. Und in «Un hiver au Groenland» (Adélie Braud) berichtet eine Wissenschaftlerin von einer Forschungsreise, auf der ihr Schiff im grönländischen Eis festsass. Die Animation ermöglicht hier zum einen Anonymität, zum anderen die Vermittlung persönlicher Eindrücke und Empfindungen.


Neben dem Kurzfilmwettbewerb und aktuellen Langfilmen bot die zweite Ausgabe der Brugger Dokumentarfilmtage ausserdem eine Retrospektive. Es wurden ausgesuchte Filme zum Thema Porträt im Dokumentarfilm gezeigt – manche schon etwas älter, aber noch immer sehenswert.

Sie führte die Kamera bei Filmen von Laura Poitras und Michael Moore, sie produzierte Dokumentationen und führte auch selbst Regie: Kirsten Johnson ist eine talentierte Filmemacherin, die mit «Cameraperson» auf ihre eigene Karriere zurückschaute und dazu nicht verwendete Shots und Aufnahmen aus 25 Jahren zusammenbrachte.

Die rohen Einblicke in Situationen, Begegnungen und das Wesen von Johnson zeigen die Schönheit und Brutalität des Daseins, werden mit hypnotischer Wirkung zusammengebracht und sind als Film vielfältig, emotional und menschlich. Eine ungewohnte Perspektive ins Filmemachen, eine Erfahrung, die ewig andauern dürfte. Mehr von Kirsten Johnson gibt es unter anderem in «Dick Johnson is Dead».

Schon früher gesichtet haben wir «Finding Vivian Maier» über eine der bedeutendsten Street Photographer, «The Salt Of The Earth» über den Fotografen Sebastião Salgado und die Künstlerporträts «I Giacometti», «Gerhard Richter Painting» sowie «Exit Through The Gift Shop» von Banksy. Mehr dazu im Interview mit Stephan Filati.

Brugger Dokumentarfilmtage

Ort:
Cinema Odeon • Cinema Excelsior • Salzhaus

Datum:
14. bis 17. September 2023

Website:
brugger-dokumentarfilmtage.ch

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