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Brugger Dokumentarfilmtage 23: Langfilme

von Michael Bohli • 21.09.2023

Langfilme waren ein wichtiger Bestandteil der zweiten Ausgabe der Brugger Dokumentarfilmtage. Wir präsentieren euch einen Überblick der gezeigten Werke und weiterführende Tipps.

Menschen und Lebensgeschichte werden sehr oft als Dokumentarfilme aufbereitet. Die Brugger Dokumentarfilmtage widmeten sich in der zweiten Ausgabe aber nicht bloss gewöhnlichen Porträts, sondern Filmen, die tiefer greifen.

Wir haben uns diverse Vorführungen vor Ort angeschaut und sagen euch, mit welchen Produktionen ihr die Sichtungen ergänzen könnt.


She Chef

​​«She Chef» begleitet die junge Köchin Agnes Karrasch durch drei Stages in Michelin-Restaurants. Nicht nur wird die Frage aufgeworfen, welche Küche zu ihr passt, sondern auch, welches Umfeld – zumal die Branche stark männerdominiert und der Umgangston oft rau ist. 

Der Film von Melanie Liebheit und Gereon Wetzel zeigt Einblicke in einen anspruchsvollen Alltag, schafft es aber nicht, bekannte Missstände offen zu benennen. Kritik sickert eher nebenbei durch; beispielsweise, wenn in der Zigarettenpause davon geträumt wird, um 18 Uhr Feierabend zu machen. Den Profis beim Anrichten von extravaganten Gerichten zuzuschauen, ist trotzdem spannend.

Weiterschauen: «Boiling Point» 

Cowboy Poets

Welch Überraschung! Nach anfänglich romantischen Bildern entwickelte sich die Dokumentation von Mike Day zu einem vielschichtigen Abbild der Cowboy-Lebensweise. Berührende und gefühlvolle Szenen zeigten die harten Schicksale auf, weitreichende Themen wie Klimawandel, Verdrängung, Gier und Nostalgie wurden geschickt verwoben.

Archivaufnahmen des Poeten-Treffens der Achtzigerjahre ergänzten die Szenen der heutigen Zeit und «Cowboy Poets» schaffte es, mir unbekannte Aspekte des Lebens näherzubringen.

Weiterschauen: «The Rider»

Polish Prayers

Hanka Nobis war bei ihrem ersten dokumentarischen Langfilm am richtigen Ort. Der porträtierte Antek machte während der vier Jahren, in denen «Polish Prayers» gefilmt wurde, die Wandlung vom christlichen Fundamentalisten zum weltoffenen Aktivisten durch.

Ohne die Aufnahmen zu kommentieren oder den Kontext zu erörtern, bietet der Film einen Einblick in den Alltag in Polen. Das wirkt in gewissen Momenten sehr intensiv, hätte aber informativ erweitert werden können.

Weiterschauen: «Corpus Christi»

Radical Dreamer

Werner Herzog ist eine faszinierende Persönlichkeit, ihm zuzusehen ist immer lohnend. Thomas von Steinaecker versucht mit seinem Film «Radical Dreamer» die Rätsel des Regisseurs zu ergründen, was nur bedingt gelingt.

Vielmehr eignet sich die Produktion dazu, einen Überblick zum thematischen Schaffen Herzogs zu erhalten. Für Kenner:innen sind viele Anekdoten bekannt (der gekochte Schuh, das Kinski-Drama), die inhaltlichen Blöcke trotzdem überzeugend. 

Weiterschauen: «Into The Abyss»

Jane Campion – The Cinema Woman

In der männerdominierten Welt des Films war Jane Campion eine der wenigen Frauen, die sich profilieren konnten. Julie Bertuccelli hat ihr mit dem Film «Jane Campion – The Cinema Woman» ein Denkmal geschaffen, das für mehr Gleichberechtigung und diverse Sichtweisen eintritt.

Zusammenschnitte aus Interviews und dem filmischen Werk der neuseeländischen Künstlerin bieten einen tiefen Einblick in das Schaffen und Campions Sicht. Wenn man sich mit ihren Filmen nicht auskennt, wirkt die Doku allerdings sehr dicht. 

Weiterschauen: «Sweetie»

Boris Karloff – The Man Behind The Monster

Wir alle kennen Frankensteins Monster. Was der Schauspieler Boris Karloff, der die Figur in den Dreissigerjahren unsterblich gemacht hat, sonst noch geleistet hat, wissen viele nicht. Thomas Hamilton füllt mit «Boris Karloff – The Man Behind The Monster» diese Lücken.

Talking Heads und Filmausschnitt verbinden sich zu einem schematischen Film, der selten wichtige Infos bereithält und leider auf der technischen Seite komplett versagt. Die Gespräche wirken billig gedreht, die Faszination beschränkt sich auf Karloffs Schaffen.

Weiterschauen: «This Old Dark House»

Dreamers

Stéphanie Barbey und Luc Peter bringen mit «Dreamers» tragische Schicksale auf die Leinwand: Der Film zeigt den Alltag von jungen Männern auf, die ohne Pass und Recht in den USA leben. 

Leider verpufft die emotionale Wirkung durch die merkwürdige Herangehensweise, inszenierte Off-Kommentare mit filmischen Szenen zu kombinieren. Vieles wirkt forciert, die Authentizität war selten zu spüren. Schade, besonders, da die Kameraarbeit und die Musik (von Louis Jucker) sehr gelungen sind. 

Weiterschauen: «Broken Land»

Big Little Women

Nadia Fares will vieles mit ihrem Film erreichen: Ihre Familiengeschichte wird erzählt, die aktuelle Lage Ägyptens untersucht und der andauernde Befreiungskampf der Frauen geschildert. «Big Little Women» wirkt dadurch verzettelt und unübersichtlich, die nachgestellten Szenen sogar überflüssig.

Als aufklärende Arbeit und zur Schärfung des Bewusstseins lohnt sich die Sichtung, besonders die verstorbene Schriftstellerin und Aktivistin Nawal El Saadawi ist famos. 

Weiterschauen: «Wadjda»

Four Daughters

«Four Daughters» tut weh. Kaouther Ben Hania erzählt auf verschachtelte und ungeschönte Weise vom Verschwinden zweier Töchter einer Mutter in Tunesien. Der Wolf hat sie gefressen, der Fluch lastet auf den Frauen im Land. 

Nachgespielte Momente und Interviews bringen die gesamte Tragik ans Licht, die schönen Aufnahmen und heiteren Diskussionen helfen aber nicht, die Schmerzen zu überwinden. Ein beeindruckend strukturiertes Werk voller wahren Horror. 

Weiterschauen: «Beauty And The Dogs»

Apolonia, Apolonia

Eine jahrelange Freundschaft verbindet Filmemacherin Lea Glob und Künstlerin Apolonia Sokol, «Apolonia, Apolonia» ist das filmische Dokument dieser Zeit. Ein Werk, zwischenmenschliche Beziehungen, Selbstermächtigung und Feminismus behandelt. Ein Porträt, das inspiriert und verzaubert. 

Auch die Inszenierung überzeugt, man wird mit jeder Minute stärker in das Leben der Frauen transportiert und möchte die Personen noch viel länger begleiten. Hingabe und Engagement, Trauer und Freude – das pure Leben.

Weiterschauen: «All the Beauty and the Bloodshed»


Unser Beitrag zum Kurzfilmprogramm findet ihr hier. Lest auch unser Interview mit Stephan Filati mit weiteren Filmtipps.

Brugger Dokumentarfilmtage

Ort:
Cinema Odeon • Cinema Excelsior • Salzhaus

Datum:
14. bis 17. September 2023

Website:
brugger-dokumentarfilmtage.ch

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