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Das Filmbulletin im Gespräch

von Michael Bohli und Mel Giese Pérez (Titelbild) • 24.05.2023

Nach über sechs Jahrzehnten als Magazin transformiert sich das Filmbulletin zu einem hybriden Club. Zeitschrift, Diskurs, Vorführungen und Streams, alles kommt an einem Ort zusammen.

Nach einigen Monaten der Ankündigung war es am 12. Mai endlich soweit: Der Filmbulletin Club wurde im Kino Arthouse Le Paris in Zürich eröffnet. Die Macher:innen der renommierten Zeitschrift haben die Grundsteine für eine Zukunft voller Austausch und Diskussionen zu aktuellen und älteren Filmen gelegt.

Wir waren vor Ort und haben einige Filmvorstellungen besucht (lest unsere Kritik zu «Roter Himmel» von Christian Petzold) und mit Co-Chefredakteur Michael Kuratli über die Vision, das Angebot und den Club gesprochen. Dabei sein ist alles, und es lohnt sich.

Phosphor: Der Filmbulletin Club ist da – warum jetzt und warum ein Club?

Michael Kuratli: Bisher waren wir als Magazin monodirektional unterwegs. Nun wollen wir aktiv in den Austausch mit den Kinogänger:innen und anderen Cinephilen treten. Dieser Gedanke stand seit der Übernahme des Magazins 2020 durch die neue Redaktionsleitung im Vordergrund. Die Club-Gründung ist auch eine Besinnung auf die Wurzeln des Filmbulletins, das als Publikation aus einem Filmclub hervorging.

Gleichförmig in die heutige Zeit lässt sich das nicht übertragen. Wir ergänzen unser Magazin mit einem neuen Webauftritt, einem Digitalabo, Multimediainhalten und einem Streamingangebot. Zusätzlich sind wir im Kino unterwegs und holen die Leute dort ab, wo sie sind. Beim Stream, beim Filmgenuss.

Wo soll der Diskurs stattfinden?

Für den Club-Launch haben wir uns darauf konzentriert, die Website auszubauen und unseren ersten Streaming-Film «Transit» (Christian Petzold, 2018) anzubieten. Als Nächstes wird zusätzlich das Forum online gehen und einen echten digitalen Austausch ermöglichen. Ausserdem wollen wir mit digitalen Veranstaltungen in Echtzeit mit Filmemacher:innen und Expert:innen diskutieren.

Das Filmbulletin hat sich seit dem Relaunch vor zwei Jahren stark verändert.

Wir wollten, dass sich das Magazin visuell verändert – bunter und strahlender wird – und auch neue Formate bieten. Früher waren Kritiken und ausführliche Essays wichtig, die Texte waren akademisch geprägt. Aus diesem Schema sind wir ausgebrochen und bieten nun auch kürzere Texte, besprechen mehr Serien oder machen eigene Reportagen. Wir wollen die Leute abholen, involvieren und spannende Geschichten und Menschen präsentieren.

Wie war die Resonanz auf diesen Kurswechsel?

Die Feedbacks, die wir erhalten, sind durchweg positiv. Es entscheiden sich auch vermehrt jüngere Menschen für ein Abo. Wir versuchen darum, eine Balance zu finden zwischen Inhalten für das langjährige Publikum und solchen für eine neue Leser:innenschaft. Es ist nicht ganz einfach, ein Magazin, das es schon seit 62 Jahren gibt, neu auszurichten und den unterschiedlichen Erwartungen gerecht zu werden. Wir können aber auf einen guten Autor:innenstamm zählen und stellen dadurch eine gewisse Kontinuität sicher.

In der aktuellen Ausgabe beleuchtet ihr die Kultur des Clubs, der ja eine sehr männliche Domäne ist. In der Filmbranche werden vor allem Männer ins Zentrum gerückt – möchtet ihr das ändern?

Auf jeden Fall, das ist mir ein Anliegen. Wir wollen keine Podien veranstalten, bei denen nur Männer auf der Bühne stehen und sind sehr bemüht, Sichtbarkeit für eine diversere Betrachtung zu schaffen. Erfreulicherweise sind auch im Club fast gleich viele Frauen wie Männer dabei. Ich denke, diese Ausgeglichenheit wird auch dem Austausch im Forum guttun.

 

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Wie siehst du die aktuelle Kinosituation in der Schweiz?

Viele Betriebe probieren Neues aus. Man möchte nicht mehr «nur» ins Kino gehen und danach wieder nach Hause, sondern setzt mehr auf Events wie Filmfestivals. Dort können die Menschen nicht nur Filme konsumieren, sondern sich auch darüber austauschen. Als kultureller Ort ist das Kino also immer noch wichtig, die Frage ist nur, wie man die Leute zusammenbringt. Darum verfolgen wir den Plattformgedanken: Beim Streaming zu Hause ist der Film nur ein Produkt, eine Kachel auf dem Screen. Erst, wenn man sich vertieft damit auseinandersetzt, wird es zu Kultur.

Gerade bei den Streamingdiensten gibt es ein wahnsinniges Überangebot. Wie positioniert ihr euch da?

Wir werden durchaus gefragt, ob es jetzt noch ein weiteres Streamingangebot braucht, und dann nicht einmal mit neuen Filmen. Wir wollen uns mit dem Club aber jeweils auf einen Film konzentrieren und herausfiltern, weshalb gerade dieser wichtig ist und diskutiert werden sollte. Ausserdem wollen wir ihn auch, wenn möglich, zusätzlich auf der grossen Leinwand im Kino zeigen.

Durch die schiere Menge an Filmen geht die vertiefte Auseinandersetzung ja auch schnell verloren.

Absolut. Angefangen hat das Filmbulletin – damals noch unter katholischer Prämisse – mit Tipps, welche Filme gut oder schlecht beziehungsweise moralisch wertvoll sind. Wir zeigen vielleicht auch mal einen Film, der handwerklich kein Meisterwerk ist, aber eine interessante Thematik behandelt. Im Zentrum steht doch, dass über Filme unsere Gesellschaft verhandelt wird. Dieses Gespräch wollen wir führen.

Ihr seid momentan in Zürich beheimatet. Bleibt das vorerst so?

In Zürich sind wir zu Hause. Wir sind aber in fast allen Kantonen und auch in Deutschland und Österreich präsent und werden mit dem Club sicher in Basel und in Bern Filme präsentieren und Veranstaltungen durchführen. In Zukunft wollen wir den Club und das Streamingangebot auch in den gesamten deutschsprachigen Raum erweitern.

In Zürich passiert aktuell einiges im Bereich Kino. Du selbst hast eine persönliche Verbindung zum Arthouse Alba, welches bald schliessen muss.

Ich habe früher dort gearbeitet und es ist schmerzhaft, dass es zu Ende geht. Der Saal ist genial und ich wünschte mir, dass die Räumlichkeiten als gemischtes Kulturhaus weiter genutzt werden können – mit regelmässigem Kinobetrieb.

Leider ist es bedenklich, dass in solchen Situationen die Nutzung für die vermietende Partei keine Rolle spielt. Da fehlt aktuell das Bewusstsein in der Politik, um von Seiten Stadt, Kanton und Bund die Kinokultur stärker zu fördern und zu erhalten, auch wenn in diesem Jahr in Zürich in dieser Richtung schon viel passiert ist. Die gesamte Förderkette fällt auseinander, wenn die Vorführungsorte nicht mehr existieren. Streamingdienste sind für eine sinnvolle Filmförderung kein Ersatz, das muss man sich bewusst machen. Den Preis, den man für den Verlust wertvoller Kulturkinos zahlt, ist viel höher als die relativ kleinen öffentlichen Beiträge, mit denen man sie erhalten kann.

Das Thema Kosmos ist ebenfalls in den Schlagzeilen.

Auch da ist es sehr wichtig, dass das Kulturhaus mit den Kinos erhalten bleibt. Nur schon, um an der Europaallee wenigstens das bisschen öffentliche Kultur zu erhalten. Ich hoffe sehr, dass sich eine Lösung finden lässt, die den Kinobetrieb wieder zulässt. Schliesslich waren die Säle gut besucht, an ihnen ist das Haus nicht gescheitert.

Was darfst du uns zur Zukunft des Filmbulletin Club erzählen?

Der Film des Monats im Stream wird im Juni «Hiroshima Mon Amour» von Alain Resnais sein. Ein Konnex zum aktuellen Magazin mit dem Club-Thema und der Nouvelle Vague. Wir freuen uns sehr, dass wir dieses Meisterwerk zeigen und beleuchten können. Das weitere Programm ist noch nicht spruchreif, aber ich kann schon sagen, dass wir sicher eine Verbindung zu unseren nächsten Magazinthemen «Nollywood» und «Funk, Soul und Jazz im Film» knüpfen werden.

Hast du weitere Kulturtipps aus der Schweiz?

Im Bereich der Fahrradkultur gibt es ein neues Magazin namens Gruppetto. Mit Reportagen, Berichten und Meinungen zum Radsport und der damit verbundenen Kultur. Im Juni geht es los.

Vielen Dank für das Gespräch.


Der Filmbulletin Club kann ab sofort abonniert werden und kostet 16 CHF pro Monat.

Filmbulletin

Die Zeitschrift aus Zürich widmet sich seit 1959 der Geschichte, Produktion, Ästhetik und Kritik des Films. Fundierte inhaltliche Bearbeitung und die sprachliche, visuelle Präsentation sind Grundpfeiler des Magazins.

Website:
filmbulletin.ch

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