von Michael Bohli • 13.09.2023
Am 21. Festival für den Animationsfilm gab es vieles zu entdecken, sehr vieles. Wir haben uns mehrere Tage am Fantoche den neusten Langfilme gewidmet und eine wunderbare Vielfalt erlebt.
Neben den Wettbewerben und Themenblöcken bietet das Fantoche jährlich einen aufregenden Überblick zu aktuellen Langfilmproduktionen. Auch die 21. Ausgabe des Festivals bot sehr viele Vorstellungen und Momente zum Staunen.
Das Leben schreibt die schönsten Geschichten, und solche wurden in bunten Farben und mit vielen Emotionen auf die Leinwand gebracht. Der Eröffnungsfilm «Chicken For Linda!» (Sébastien Laudenbach, Chiara Malta) traf jede Note perfekt. Die Geschichte um Linda und ihre Familie, die während des Streiks in Paris ein Hühnchen aufzutreiben versuchen, überzeugte nicht nur mit Humor und tollen Sprecher:innen, sondern auch der Darstellung.
Farbflächen, wenig Konturlinien und schöne Übergänge – die gesellschaftlichen Probleme und Missstände wurden ohne Mühe in diese kleine Erzählung eingebaut. Weiter zurück in der Zeit führten uns Jim Capobianco und Pierre-Luc Granjon mit ihrem Mix aus Stop-Motion und 2D-Animation in «The Inventor». Das Leben und Wirken von Leonardo da Vinci als abenteuerliche, witzige Erzählung, technische Wunder und menschliche Möglichkeiten in einem, inklusive der Stimme von Daisy Ridley. Leider vermochten Pacing und Songs Leonardos Genie nicht gerecht werden.
Das Bewusstsein für die Natur und die menschliche Rolle auf dem Planeten wurde auch mit «Four Souls For Coyote» (Áron Gauder) geschärft, erweckte der Film eine indigene Schöpfungsgeschichte zum Leben und stellte diese als Gegenstück zu einem Pipelinebau auf. Besonders toll waren die sprechenden Enten.
Ohne Worte liess «Robot Dreams» (Pablo Berger) den Alltag von Dog und seinem Roboterfreund geschehen. Basierend auf einer Graphic Novel von Sara Varon wurde man nach New York City in den Achtzigerjahren transportiert und lehrte, was Freundschaft und Gefühle bedeuten. Dabei entzückte der Film mit vielen Details und witzigen Einfällen.
Kein Fantoche ohne neue Produktionen aus Asien! «Suzume» konnte in diesem Jahr bereits in den Kinos gesehen werden, der neuste Film von Makoto Shinkai überzeugte auch in Baden mit optischer Brillanz, emotionaler Treffsicherheit und abenteuerlichen Ideen. Auch wenn nicht alles aufgeht, ist der Film besonders im ersten Drittel ein Wunder, das Bilder, Musik und Handlung genial zusammenbringt.
Kürzer und ruhiger brachte Denis Do mit «La Fôret De Mademoiselle Tang» den gesellschaftlichen Wandel Chinas auf die Leinwand. Die Familie im Fokus, angenehm unaufgeregt erzählt und mit romantisch gefühlvollen Momenten – ein berührendes Erlebnis.
Mystisch und entrückt die Seelensuche bei «Blind Willow Sleeping Woman», Pierre Földes hat es in seinem Film geschafft, sechs Kurzgeschichten des grossen Autors Haruki Murakami zu einem atmosphärischen Abenteuer zusammenzubringen. Eine langsame Reise mit gelungenen Animationen, Katzen, Seelenbalsam und wunderbar offener Erzählweise. Bei der Sichtung das «Murakami Bingo» griffbereit zu halten, ist nicht falsch.
Atemberaubend und visuell unerreicht war «Deep Sea» (Xiaopeng Tian) aus China. Man begleitete Shenxiu auf der Suche nach ihrer Mutter durch fliessende Welten unter Wasser, in vielen Farben und mit noch mehr Partikeln dargestellt. Wahnsinnig genial in 3D animiert, mit süssen Tieren und einer durchgeknallten Handlung in einem Restaurant.
Nicht weniger verrückt war «Inu-Oh», in dem von Regisseur Masaaki Yuasa die Geburtsstunde des japanischen Nō-Theaters als Rock-Oper neu inszeniert wurde. Traditionen trafen auf Konzertsituationen, verfluchte Seelen auf Tanzeinlagen. Ein klingender Rausch, wenn auch etwas zäh in der Erzählweise.
Nicht nur Sonnenlicht und Farben gab es am Fantoche, die düsteren Zukunftsaussichten fanden im Programm ebenfalls Platz. Ungarn wurde in «White Plastic Sky» (Sarolta Szabó, Tibor Bánóczki) zum dystopischen Spielplatz einer neuen Weltordnung. Die mit Rotoskopie gezeichnete Geschichte stellte Fragen zu unserer destruktiven Lebensweise und der Vernichtung der Natur.
Technischer hingegen die Geschichte von «Mars Express»: Künstliche Intelligenz, Mars-Kolonien und ein verzwickter Fall einer Privatdetektivin verbanden sich im Film von Jérémie Périn zu einem Film Noir-Cocktail mit Science-Fiction-Elementen. Actionreich, mit sehr gutem Pacing und düsterem Ende; das mag ich.
Nicht nur düster, sondern nihilistisch dunkel war die Reise in den Abgrund bei «Mad God». Das Stop-Motion-Ereignis von Effektguru Phil Tippett war nach 30 Jahren Entstehungsgeschichte endlich zu erleben und überzeugte mit der brutalen Stimmung und den detailverliebten und blutigen Bildern. Ohne Dialoge, dafür mit eingebundenen Filmsequenzen; Animationsleidenschaft für Erwachsene.
In der realen Welt verankert war die Geschichte von Ainhoa in «Black Is Beltza II: Ainhoa». Die Fortsetzung zum Film von 2019 führte die tragische Geschichte des Baskenlands, persönliche Elemente von Regisseur Fermin Muguruza und Terrorismus zusammen. Ein wilder Ritt mit sehr vielen Inputs, wirr und punkig.
Es half, dass der Filmemacher die Hintergründe in seiner Einführung erklärte, denn die Produktion ist mit statischen Animationen und erschöpfend schnellen Szenenwechseln überfordernd. Als Teil der Gegenbewegung aber sehr wichtig.
Fantoche • 21. internationales Festival für Animationsfilm
Ort:
Diverse Orte, Baden
Datum:
05. bis 10.09.20203
Website:
fantoche.ch