von Michael Bohli • 30.07.2025
Als Filmemacherin beschäftigt sich Kezia Zurbrügg mit gesellschaftlichen Themen, wir haben mit ihr über die Kameraarbeit und den Dokumentarfilm gesprochen.
Kezia Zurbrügg kennt Zofingen gut, sie ist in der Region aufgewachsen und hat familiäre Verbindungen zur aargauischen Kleinstadt. Da passte es wunderbar, haben wir die aufstrebende Kamerafrau und Filmemacherin im Ochsen zum Gespräch getroffen.
Mit den Kurzfilmen «Fürchtet euch nicht» und «Post Mortem» (ausgezeichnet am «Innerschweizer Filmpreis 2025»), sowie dem Langfilm «Bilder im Kopf» hat Kezia ihre Neugier und Perspektive in das Medium Film übertragen und sich dokumentarisch neuen Themen angenähert. Was das alles bedeutet, haben wir an einem sonnigen Nachmittag in Erfahrung gebracht.
Phosphor Kultur: Schön, dass du wieder einmal in Zofingen bist. Was verbindest du mit dem Ort?
Kezia Zurbrügg: Meine Familie ist hier, auch Freunde. Und natürlich habe ich sehr viele Erinnerungen – zum Beispiel das erste Bier im Ochsen.
Für «Post Mortem» hast du wieder in Zofingen gedreht.
Ja, es ist lustig, dass mich die Arbeit ab und zu in die Region führt. Wir wollten für den Film in einem Auktionshaus drehen, weil wir den Gedanken spannend fanden, wie gewisse Gegenstände aus dem Nachlass entsorgt werden oder ins Brockenhaus kommen, Wertvolles aber manchmal versteigert und zu Geld gemacht wird. Und Zofingen hat ein Auktionshaus – beim Dreh war ich zum ersten Mal dort.
Wie findest du denn deine Themen als Filmemacherin?
Bisher habe ich meistens Filme gemacht, in denen es um «grössere» Themen ging. Themen, die mich beschäftigen. In meinem Abschlussfilm «Fürchtet euch nicht» (in Co-Regie mit Philipp Ritler) beschäftigten wir uns beispielsweise mit den Themen Besitz und Religionsersatz. Ich finde es spannend zu überlegen, an welchen Orten oder in welchen Situationen diese grossen Themen mitschwingen und genau hinzuschauen, wie unsere Gesellschaft in diesen Belangen funktioniert. Nicht mit dem Anspruch, es erklären zu wollen, sondern die eigenen Gedanken im Film weiterzuführen.
Das kann während eines Drehs wahrscheinlich auch eine ganz andere Richtung einschlagen als geplant.
Ja, im Prozess fragt man sich immer wieder: «Worum geht es genau?» – und passt die Antwort darauf an. Bei «Post Mortem» stellten wir uns zu Beginn die Frage des Erbens und was ein Mensch hinterlässt. Schlussendlich ging es um mehr – nicht nur um Hinterlassenschaft, sondern darum, wer eigentlich all die Arbeiten übernimmt, die nach einem Tod anfallen.
Es ist ein Privileg, Filme zu machen und bei jemandem vorbeigehen zu dürfen, um etwas zu beobachten. Ich bin stets erstaunt über den Mut der Leute, in einem Film mitzuwirken. Gerade, wenn man im Voraus nur vage beschreiben kann, was konkret entstehen wird. Ich taste mich langsam vor – zuerst im Gespräch, dann komme ich vielleicht mit einer Fotokamera vorbei. Die grosse Filmkamera kommt erst zum Einsatz, wenn man sich besser kennengelernt und ein gewisses Vertrauen hat. Mein Ziel ist, dass die gefilmten Personen die Kamera vergessen.
Das Schöne ist, mit Leuten in Berührung zu kommen, denen man sonst vielleicht nie begegnet wäre. Ich finde es immer spannend, wenn ich nicht im Voraus weiss, wie ich zu etwas stehe; wenn es um einen Graubereich geht, in dem es schwierig ist, sich eine genaue Meinung zu bilden. Man kann sich im Umgang mit komplexen Themen üben.
Du willst mit einem Film weniger eine klare Aussage machen, sondern Beobachtungen anstellen?
Es hat durchaus eine Haltung von mir drin, aber am meisten freut mich, wenn der Film einen Gedankenprozess auslöst. Dass die Menschen, die ihn schauen, das Thema selbst weiterdenken.
Ein grosses Thema im Dokumentarfilm ist die Authentizität.
Wenn man selbst Filme macht, wird einem sehr schnell bewusst, dass das reine Abbilden eine Illusion ist. Alles ist eine Entscheidung – nur schon, worüber man einen Film macht, worauf man den Blick richtet.
Es gibt Arbeitsweisen im Dokumentarfilm, die ich kritisiere; beispielsweise, wenn Menschen instrumentalisiert werden, um ins gesetzte Thema zu passen. Aber auch das ist vielschichtig, denn genau das kann auch zum Konzept gehören, zu einer filmischen Form, die gar keine Authentizität zum Ziel hat. Mit dem Begriff Authentizität im Film habe ich ein bisschen Mühe. Was mir vor allem wichtig ist, ist Ehrlichkeit. Ehrlich sein mit den beteiligten Personen, mit dem Publikum, mit sich selbst.
Könntest du dir ein Projekt in Hybrid-Form vorstellen, einen Dokumentarfilm mit inszenierten Momenten?
Ja, ich habe mich eigentlich schon oft in diesem Bereich bewegt. Und die Grenze ist fliessend: «Post Mortem» würde ich nicht als hybrid bezeichnen, und doch gibt es gewisse Inszenierungen: Die Kamera ist sehr statisch, man weist die Personen an, wo sie sich beispielsweise hinsetzen sollen. Man stellt etwas um, setzt Licht ein; das sind alles Eingriffe. Ich finde Hybrid-Formen etwas sehr Spannendes, besonders, wenn man sie gemeinsam entwickelt und sich während des Prozesses etwas komplett verändern kann.
Du führst Regie und machst Kameraarbeit. Sind das sehr unterschiedliche Bereiche für dich?
Ich habe ursprünglich eine Ausbildung zur Fotografin gemacht. Darum ist mir das Bild extrem wichtig – auch wenn ich Regie führe. Ich denke es von Anfang an mit. Vor Ort fühlt es sich unterschiedlich an: Als Kameraperson ist man mit der Technik beschäftigt und bewegt sich immer im Bildausschnitt, als Regie hat man den ganzen Raum im Blick, ist im Austausch mit den Protagonist*innen, leitet die Crew an und fällt alle Entscheidungen.
Wie sieht die Zusammenarbeit mit der Regie aus, wenn du nur die Kamera machst?
Ich habe noch gar nicht so oft als Kamerafrau bei Filmen gearbeitet, bei denen ich nicht auch Regie führte. Bisher habe ich mich immer im Voraus intensiv mit der Regie über Erwartungen und Bildsprache ausgetauscht. Beim Projekt «Bilder im Kopf» war ich sehr früh involviert. Hier kam das Bildkonzept – zwei Menschen in einem weissen Raum – von Eleonora Camizzi (Regie). Ich hatte zu Beginn die Befürchtung, dass das kameratechnisch etwas langweilig werden könnte, fand es aber schlussendlich total spannend. Die kleinsten technischen Entscheidungen hatten in diesem Raum eine riesige Wirkung: Wie nah oder fern wirken die Personen, wie sind die Machtverhältnisse, wie stehen sie zueinander, zum Raum? Ob die Zuschauenden diese Details im Endeffekt wahrnehmen, weiss ich nicht, aber man spürt sie sicher.
Speziell ist bei «Bilder im Kopf» auch, dass die Regieperson selber im Bild ist – und nicht hinter mir, auf den Monitor schauend. Da ist es noch wichtiger, dass man eine Vision teilt.
Woran arbeitest du aktuell?
Momentan organisieren wir die Kino-Tour zu «Bilder im Kopf». Mit der für den Film gegründeten Produktionsfirma überlegen wir, wie es weitergehen soll. Wir wollen anders Filme machen und produzieren, als das konventionell passiert.
Und ich bin ganz, ganz am Anfang von einem neuen Projekt.
Hast du auch Vorbilder oder Lieblingsfilme?
Ich bin eine eher kritische Filmkonsumentin. Das finde ich aber nicht schlimm – wenn mir gewisse Dinge an einem Film nicht gefallen, kann ich ihn als Ganzes trotzdem gut finden. Vielleicht finde ich den Schnitt schlecht, aber den Umgang mit der Protagonistin sehr gut. Das hindert mich insgesamt aber ein bisschen daran, euphorisch zu werden.
Gibt es etwas Essentielles, das für dich in einem Film unbedingt stimmen muss?
Wenn mir die Kamera nicht entspricht, habe ich grosse Mühe, in den Film hineinzukommen. Auf der anderen Seite verzeihe ich einem Film vieles, wenn mir die Bildsprache gefällt.
Haben sich deine Sehgewohnheiten verändert, seit du selber in der Filmbranche bist?
Auf jeden Fall, insbesondere auf die Montage bezogen. Sobald man weiss, wie das Handwerk funktioniert, sieht man, wie konstruiert die Geschichten sind. Das heisst natürlich noch nicht, dass sie unauthentisch sind – um den Kreis zu schliessen. Es ist aber nicht so, dass ich aufgrund dieser «déformation professionnelle» Filme nicht mehr geniessen könnte.
Wie ist dein Blick auf das jüngere Schweizer Filmschaffen?
Ich finde, dass es extrem spannende Entwicklungen gibt – beispielsweise, wie sich der Spielfilm dem Dokumentarfilm annähert. «Drii Winter» (Michael Koch) ist so ein Film, der versucht, neue Erzählwege zu finden,oder auch «Electric Fields» von Lisa Gertsch. Es wird auch immer mehr mit Laien gedreht, es entsteht eine grössere Vielfalt. Kantigere Filme bekommen mehr Sichtbarkeit, «Dene wos guet geit» und «Unrueh» (beide Cyril Schäublin) waren wider Erwarten grosse Kinoerfolge.
Danke dir für das spannende Gespräch.
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Geht ins Kino! Ab September in den Schweizer Kinos: «Bilder im Kopf» von Eleonora Camizzi! Zum Beispiel am 8.September im Kino Lichtspiele in Olten in Anwesenheit der Crew. Alle Infos hier.
Der Kurzfilm «Post Mortem» gibt es zusammen mit anderen Kurzfilmen Open Air auf der Leinwand zu sehen: Montag, 4. August im Coop Open Air Kino Luzern, Innerschweizer Filmpreisnacht (Albert Koechlin Stiftung stellt Freikarten zur Verfügung, erhältlich am Ausleihschalter der Stadtbibliothek Luzern)
Hört «CAN YOU HEAR THE RIVER» von Anuk Schmelcher; Soundtrack für Sommerabende, gleichzeitig roh und zärtlich.
Über Kezia Zurbrügg:
Auf die Lehre als Fotografin folgte bei Kezia Zurbrügg, welche in Aarau geboren wurden, den Bachelor of Arts in Video an der HSLU. Seither ist sie als Kamerafrau und Regisseurin aktiv und hat mit Patrik Näpflin und Eleonora Camizzi die Filmproduktion «am Limit» gegründet.