von Michael Bohli • 27.01.2024
Regie: Lisa Gerig
Land: Schweiz
Jahr: 2023
Verleih: Outside The Box
Wie funktionieren die Befragungen von Asylbewerber:innen? Lisa Gerig ermöglicht mit ihrer ergreifenden Dokumentation «Die Anhörung» ungeahnte Einblicke in die Arbeit des SEM.
Die Lamellenstoren werden geöffnet, Tische verrückt und Computer angeschlossen. Was der Beginn eines Arbeitstages in einem Büro sein könnte, wird unter der Leitung von Lisa Gerig zum Einblick in die Tätigkeiten des Staatssekretariats für Migration SEM. Nachgestellte Momente von Verfahren, die hinter geschlossenen Türen stattfinden.
Die Dokumentation «Die Anhörung» beschäftigt sich auf sehr eindringliche und emotional erschütternde Weise mit den Befragungen, die Asylbewerber:innen in der Schweiz durchleben müssen. Unter wachsamen Augen und mit pedantischer Protokollierung werden Leben, Schicksale und Trauma aufgerollt, erneut durchlebt und festgehalten.
All dies geschieht mit dem politischen Auftrag, herauszufinden, welche Menschen «asylwürdig» sind. Lisa Gerig hat für ihren Film vier Personen das Verfahren noch einmal durchleben lassen, begleitet von Kamerateams in nachgestellten Szenen. Das ermöglicht eine Einsicht, die sonst nur Betroffenen gewährt ist.
Ohne klare Position zu beziehen, werden Vorgehensweisen dargelegt, intime Einblicke geboten und Reflektionen ermöglicht. Berührende Momente und ergreifende Aussagen finden in den kargen Räumlichkeiten statt, die Moral wird bürokratisch demontiert. Dank der grossen Leistung aller Beteiligten, den gut komponierten Aufnahmen und der Musik von Martin Berther ist «Die Anhörung» eine beeindruckende Erfahrung.
Dass Gerig mit einem Kniff im letzten Drittel des Filmes die Rollen der Personen tauscht, ist eine gute Idee, die allerdings in Bezug auf die Stichworte Wahrheit und Inszenierung nicht komplett schlüssig funktioniert. Trotzdem ist die Dokumentation ein wichtiger Film für die heutige Zeit und sorgt für Denk- und Diskussionsstoff.
Wir haben den Film an den 59. Solothurner Filmtagen gesichtet.