von Michael Bohli • 03.05.2023
Regie: Carmen Jaquier
Land: Schweiz
Jahr: 2022
Verleih: Sister Distribution
«Foudre» erzählt auf mitreissend emotionale Weise vom sexuellen Erwachen der Novizin Elisabeth in den Schweizer Bergen. Der Debütfilm von Carmen Jaquier stellt sich gegen die patriarchalen Normen.
Was passiert, wenn nach einem gemeinsamen Kinobesuch die Meinungen auseinanderdriften? Man versucht eine Annäherung zweier Perspektiven. So geschehen nach unserer Sichtung von «Foudre» im Houdini Zürich.
Michael: In mir lebt die Widersprüchlichkeit, auch beim Filmkonsum. Zwar sind mir gute, im Detail durchdachte Drehbücher und funktionierende Strukturen sehr wichtig, zugleich kann mir eine Erzählung mit emotionaler Wirkung den Atem rauben.
Was nicht heisst, dass die Geschichte, geschrieben von Carmen Jaquier, nicht die nötige Qualität aufweist. Vielmehr war «Foudre» ein Erlebnis, das mich losgelöst von Inhalt und Geschehen mitriss. Durch die gefühlvollen Botschaften, die Optik und die Musik.
Conny: «Losgelöst von Inhalt und Geschehen» ist ein gutes Stichwort. Genau das hat mir in diesem Film gefehlt. Die Kameraaufnahmen sind wunderschön, die Inszenierung wirkungsvoll. Die Geschichte hat in mir allerdings nichts bewirkt, ich empfand sie als skizzenhaft und nicht auserzählt. Elisabeth ist als einzige Figur mit einer gewissen Komplexität ausgestattet, aber auch ihr innerer Zwiespalt (den ich jedenfalls erwartet hätte) blieb schemenhaft.
Michael: Das kann ich nachvollziehen, der Film scheint eher zu schweben, als klar formulieren zu wollen. Doch genau dieser ätherische Zustand zeigte bei mir Wirkung. Ich wurde in die Situation transportiert, betört und von den inneren Konflikten mitgerissen. Die Bilder von Kamerafrau Marine Atlan und die Klänge des Soundtracks von Nicolas Rabaeus generierten eine spirituelle Wirkung, wie etwa im Schaffen von Terrence Malick. Da wären klare Aussagen fehl am Platz. Besonders auch, weil man nie genau weiss, was Fantasie, Wunschvorstellung oder Realität ist.
Conny: Ja, die Kameraarbeit und die musikalische Untermalung sind beeindruckend. Nur leider täuschen sie nicht darüber hinweg, dass es dem Film als Gesamtwerk an Substanz fehlt. Mit losen Eindrücken hätte ich wohl besser leben können – ganz ohne den Versuch, eine stringente Geschichte zu erzählen und rein wirkungsorientiert.
Michael: Dann sind wir uns glücklicherweise darin einig, dass der Film handwerklich überzeugend und lohnenswert ist, insbesondere für einen Debütfilm.
Conny: Auf jeden Fall. Carmen Jaquier ist eine Regisseurin, die man im Auge behalten sollte.