Kino: The Mies van der Rohes

von Cornelia Hüsser • 01.05.2023

Regie: Sabine Gisiger
Land: Schweiz
Jahr: 2022
Verleih: Filmcoopi

Ludwig Mies van der Rohe gilt als einer der bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts. Der neue Film von Sabine Gisiger beleuchtet jedoch weder sein Werk noch sein Leben – sondern jenes seiner Frau und Töchter.

Es sind die goldenen Zwanziger. Georgia van der Rohe wächst auf in einer Zeit, in der die Zukunft mit glänzenden Versprechungen lockt; selbstbestimmt geht sie ihren Weg, macht sich einen Namen als Tänzerin und Schauspielerin. Bis ihr plötzlich der eigene Name im Weg steht.

Die unsichtbaren Frauen hinter dem Mann

Georgia ist die älteste Tochter des weltbekannten Architekten Ludwig Mies van der Rohe. Als dieser 1939 das nationalsozialistische Deutschland verlässt in die USA emigriert, gilt er als Landesverräter. Seine Familie lässt er zurück. Trotzdem setzt Ada, seine Frau, alles daran, Georgia und ihre Schwestern in den Wirren der Nazizeit freiheitlich und fortschrittlich zu erziehen. Derweil muss sie zusehen, wie sich Ludwig in den USA ein neues Leben mit der Designerin Lilly Reich aufbaut.

Sabine Gisigers «The Mies van der Rohes» zeichnet ein Porträt des Architekten aus weiblicher Perspektive. Basierend auf belegten Aussagen lässt die Regisseurin Georgia van der Rohe – gespielt von Katharina Thalbach – in einem fiktiven Interview aufleben. Dazu werden private und unveröffentlichte Filmaufnahmen, Bilder und Briefe gezeigt, die dem Format Authentizität verleihen.

Ein «hybrider Dokumentarfilm»

Der Entscheid, ein dokumentarfilmähnliches Interview mit einer Schauspielerin zu fingieren, mag seltsam anmuten. Tatsächlich wollte die Regisseurin den Film ursprünglich zusammen mit der echten Georgia realisieren, doch das Projekt zerschlug sich mit deren Tod im Jahr 2008. Nun ist es also der Handgriff des fiktiven Interviews, der uns an der faszinierenden Familiengeschichte teilhaben lässt.

In diesen Interviews sind lediglich die Fragen «erfunden», die Antworten aber aufgrund schriftlicher Quellen authentisch. Und so lässt Katharina Thalbach Georgia nicht etwa verbittert wirken, sondern reflektiert und versöhnlich. Man kann hinterfragen, ob sich derselbe Effekt nicht auch mit einem Off-Kommentar hätte erzielen lassen. Sicher aber wirkt der Film so auch auf einer emotionalen, persönlichen und sehr zugänglichen Ebene.