von Michael Bohli • 27.05.2023
Regie: Christian Petzold
Land: Deutschland • Frankreich
Jahr: 2018
Verleih: Look Now!
Frankreich unter Deutscher Besatzung, eine Flucht ins Ungewisse: Der Spielfilm «Transit» verbindet den Zweiten Weltkrieges mit dem Heute. Die Arbeit von Christian Petzold ist Film des Monats Mai im Filmbulletin Club.
Jeden Monat präsentiert der Filmbulletin Club einen Film, den die Mitglieder via Stream geniessen können. Der anschliessende Diskurs erfolgt bald via Forum auf der Website sowie im Kino selbst. Zum Start des Clubs gibt es «Transit» von Christian Petzold, der 2018 Premiere feierte und jetzt neu betrachtet werden kann.
Paris ist besetzt. Die Menschen fliehen vor den Nationalsozialisten in den Süden und ausser Landes. Moment, dieses Auto sieht aber ziemlich modern aus – und der Junge läuft in Jeans und Hoodie rum?
«Transit» ist ein anachronistischer Film aus der Feder Christian Petzolds. Er basiert lose auf dem gleichnamigen Roman von Anna Seghers aus dem Jahr 1944, dessen Erzähler – ein Deutscher – nach der Besetzung aus Paris flieht, unterwegs eine andere Identität annimmt und damit versucht, an ein Transitvisum zu kommen. Die Platzierung im heutigen Setting ist klug gewählt und unterstreicht die noch immer hohe Aktualität des Themas.
Während im Zweiten Weltkrieg die Migrationsströme innerhalb Mitteleuropas und davon weg flossen, ist Europa heute zum Ziel geworden; die Fluchtgründe – der Wunsch nach Freiheit, Entfaltung und Sicherheit – sind aber dieselben geblieben. Die Szenen, die sich im Marseille von heute abspielen, wirken auf den ersten Blick absurd – doch genau damit wird ein politisches Statement gemacht. Es gelingt ein zeitloser Film.
Ein Film über den zweiten Weltkrieg, angesiedelt im 21. Jahrhundert? Was ungewohnt klingt, funktioniert bei «Transit» hervorragend. Christian Petzold hat mit der freien Romanverfilmung (Anna Seghers, 1944) einen weiten Bogen gespannt und lässt die immer brillant spielenden Franz Rogowski und Paula Beer die Geschichte um Flucht im heutigen Marseille durchleben.
Viele Szenen wirken frei, man lässt sich durch die Stadt treiben und sucht die Rettung in der Stille. Die warmen Aufnahmen und die zurückhaltende Tonspur lassen trotz der schwierigen, politisch weiterhin relevanten Thematik eine entspannte Grundstimmung entstehen, die Vermengung der zwei Zeitebenen ist sehr gelungen.
Dass die Entscheidungen der Figuren gegen Schluss wirr werden und die Realität flüchtig, funktioniert ebenfalls. «Transit» wird aus der Perspektive eines ausstehenden Erzählers an die Zuschauer:innen gebracht und relativiert die anachronistischen Elemente durch die persönliche Vorstellungskraft.