von Michael Bohli • 10.06.2024
Der Verein Linie 32 gehört zur Neugass Kino AG und sorgt in Zürich für eine diverse Kinokultur. Wir haben vor Ort über Projekte und Ideen gesprochen.
Wie regelmässig gehst du ins Kino? Hoffentlich oft, denn dort erwarten dich Wunder und Gefühle. Auch wir von Phosphor sind viel in den Lichtspielhäusern zu Gast, besonders gerne in Greater-Arthouse-Kinos wie dem Bourbaki in Luzern oder Houdini und Riffraff in Zürich. Seit wenigen Jahren existiert in Zürich der Verein Linie 32, der für eine vielfältige Kinokultur einsteht.
Wir haben uns beim Riffraff mit Daniela Küttel, Mitglied der Geschäftsleitung der Neugass Kino AG, getroffen und über den Verein, den Kinobetrieb und die neuen Streaming-Möglichkeiten gesprochen.
Phosphor: Mit welcher Tram- oder Buslinie fährst du am liebsten?
Daniela: Selbstverständlich mit der Linie 32 (lacht). Am liebsten nutze ich aber mein Fahrrad, glücklicherweise wurde es noch nie gestohlen. Allgemein bin ich viel mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs und pendle mehrmals pro Woche zwischen Luzern und Zürich.
Entdeckst du auf deinen Fahrten in Zürich Neues?
Im Alltag bin ich vor allem auf den Achsen zwischen Hauptbahnhof, Riffraff und Houdini unterwegs. Als Auswärtige habe ich mir die Stadt in den letzten Jahren aber tatsächlich mit dem Fahrrad erschlossen.
Die Buslinie 32 fährt vom Strassenverkehrsamt nach Holzerhurd. Wohin führt der Verein Linie 32?
Bestenfalls unterstützt uns der Verein darin, dass unsere Kinos auch als Kulturstätten anerkannt werden. Kinos werden von der Allgemeinheit weiterhin in erster Linie als kommerzielle Unternehmen wahrgenommen; Multiplex, Popcorn und Süssgetränke. Wir arbeiten daran, dass Kinos auch als kulturelle Begegnungsorte legitimiert und manifestiert werden.
Den Verein ist noch jung. Konntest du diesbezüglich bereits Veränderungen wahrnehmen?
Aktuell betrifft es vor allem die politische Ebene. Die Neugass Kino AG als Betreiberin der Kinos ist bei Projekten nicht subventionsberechtigt. Der Verein Linie 32 ermöglicht es uns, finanzielle Mittel zu erschliessen und unterschiedliche Projekte auch ausserhalb der Kinoprogramme zu realisieren. Ausserdem ermöglicht der Verein eine direkte Kommunikation mit den Mitgliedern, welche dem Kino gegenüber sehr aufgeschlossen sind.
Warum sollte man Mitglied werden?
Als Mitglied ist man Teil eines zukunftsgerichteten Kinobetriebs und sorgt für den Erhalt der Vielfalt im regionalen Kino- und Filmangebot. In unserer täglichen Arbeit in Bezug auf den Verein aber auch im Kino ist es wichtig, dass wir uns vor Entwicklungen und Trends nicht verschliessen – Stichwort Streaming. Wir versuchen, Angebote zu gestalten, die divers und spartenübergreifend funktionieren und oft auch interdisziplinären Charakter haben.
Unsere Kinokarte wird beispielsweise von Illustrator:innen gestaltet, das Videofenster im Houdini ist eine Zusammenarbeit mit Videokunst.ch aus Bern und die Kinoprogrammierung wird mit neuen Formaten stetig weiterentwickelt. Wir glauben an die Kraft der Kooperation und vertreten eine grundsätzlich zukunftsgerichtete Haltung.
Das aktuell wichtigste Vereins-Projekt ist die Aktion «Bring A Friend»: Junge Menschen zwischen 12 und 22 gehen zu zweit ins Kino, bezahlen aber nur einen Eintritt. Das Projekt läuft auch im von uns betriebenen Kinos Bourbaki in Luzern und wird dort über unseren «Schwesterverein» Drehmoment abgewickelt.
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Gibt es Unterschiede zwischen den Vereinen Linie 32 und Drehmoment?
Mit Ausnahme von «Bring a Friend» sind die Projekte ganz unterschiedlich. Das Bourbaki in Luzern ist auch abgesehen vom Kinoangebot als städtischer kultureller Treffpunkt bekannt und hat eine vom Kinobetrieb unabhängige hochfrequentierte Bar, in der vielfältige Veranstaltungen stattfinden. Gemeinsam mit Radio 3FACH führt der Förderverein Konzerte und mit der Stadtbibliothek Luzern Poetry Slams im Kinosaal durch. Beide Vereine sind lokal verankert, und wir suchen die Zusammenarbeit mit regionalen Partner:innen.
Was plant der Verein Linie 32 für die nächsten Jahre?
Wir werden «Bring A Friend» noch weiter vorantreiben und diskutieren zur Zeit die Möglichkeit, im Rahmen einer Kooperation mit «The Ones We Love» ein spezifisches Angebot für diese Zielgruppe zu entwickeln. Auch die anderen Projekte werden stetig analysiert und bei Bedarf weiterentwickelt-, was uns grossen Spass macht. Für neue weitere grosse Projekte fehlen uns aktuell die Ressourcen, wir sind aber immer offen für Inputs und Ideen.
Kinos zu betreiben, klingt nach einem tollen Job. Stellen wir es uns zu romantisch vor?
Es ist ein super Job, der abwechslungsreich und sinnvoll, wirtschaftlich aber auch sehr herausfordernd ist. Ich selbst arbeite bei der Kinoprogrammierung nicht mit. Frank Braun und Martin Aeschbach sind für uns dafür zuständig. Sie sind selber auch an den Festivals unterwegs und suchen nach spannenden Filmen. Das erfordert viel Fachwissen und ist aufwändig. Sie visionieren über 400 Filme pro Jahr, da kann man sich gut vorstellen, dass dies nicht nur Spass macht.
Gehst du auch neben deinem Job ins Kino?
Ja, meist in unseren Kinos und eher selten in ein Multiplex. Sehr gern besuche ich in den Ferien in anderen Ländern kleine Programmkinos und versuche, vor Ort mit dem Personal in Kontakt zu treten. Das sind wunderbare Begegnungen.
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Wie sieht für dich die Kino-Zukunft der Schweiz aus?
Die Kulturförderung liegt im föderalistischen System in der Hoheit der Kantone, das Filmgesetz inklusive Auswertung besteht aber auf Bundesebene; diesem unterstehen wir als Kino. Zusätzlich wurden Kinos, im Gegensatz zu Filmproduktionen, sehr lange nicht gefördert. Der Moment, diesen Umstand aufs politische Parkett zu bringen, wurde verpasst, resp. hatten die Kinos sehr lange kein Gehör. Die Pandemie hat dies nun verändert.
Wir sind in Luzern und Zürich mit Stadt und Kanton in Kontakt und haben unsere Anliegen platziert. Unsere Kinos sind ein wichtiger Teil des städtischen Kulturangebots, das während 365 Tagen im Jahr niederschwellig zugänglich ist. Für die Gestaltung und Aufrechterhaltung dieses Angebots wünschen wir uns Anerkennung und auch finanzielle Unterstützung.
Wir Kinobetreibenden sind im Gegenzug gefordert, uns zu entwickeln und den Veränderungen der Zeit Rechnung zu tragen. Eine progressive Haltung, ohne sich vor Formaten wie Streaming zu verschliessen, ist in unseren Augen wichtig.
Wie ist die Situation beim Schweizer Film?
In die Produktionen werden zu Recht viel Fördergelder gesteckt. Man soll aber auch die Frage stellen dürfen welche Titel wo und wie ihr Publikum finden. Grössere Produktionen wie «Platzspitzbaby» oder «Bon Schuur Ticino» werden immer ihre Zuschauer:innen finden. Kleine, dokumentarische und experimentelle Werke wie zB «Omegäng», «Electric Fields» oder «Soul Of A Beast» sind direkt auf Independent-Kinos wie wir sie betreiben angewiesen. Wenn Kinos wie unsere verschwinden, hat dies auch zur Folge, dass die Vielfalt an Filmen abnehmen wird. Dieser Trend lässt sich in gewissen Regionen wie z.B. in der Zentralschweiz schon sehr gut beobachten.
Es ist nachweislich so, dass vor allem Filme online geschaut werden, welche dem Publikum bereits zumindest vom Hörensagen bekannt sind. Und diese «Bekanntheit» basiert in den allermeisten Fällen auf einer vorherigen Auswertung im Kino. Das Betreiben von Kinos wiederum ist sehr teuer, vor allem in den Städten. Die Mieten sind hoch, ebenso der Personalaufwand, und wir sind in allen Bereichen stark von der Teuerung betroffen. Wenn die Politik sicherstellen will, dass die geförderten Filme weiterhin einem breiten Publikum angeboten werden können, müssen alle Ebenen – Bund / Kantone / Städte – diesem Umstand Rechnung tragen und ihren Teil dazu beitragen, die Kinos nachhaltig zu stärken.
Cinu ist am Start. Was bietet eure eigene neue Plattform?
Cinu bietet filminteressierten Menschen eine kuratierte Vorauswahl an Filmen, die unseren programmlichen Grundsätzen entsprechen. Die Plattform bietet so dem filmliebenden Publikum eine Orientierung in einem ansonsten sehr unübersichtlichen Überangebot. Ausserdem funktionieren die Onlinekasse und die Streamingplattform mit demselben Login – und inklusive Vergünstigungen mit Kinokarte. Gutscheine können auch als Zahlungsmittel fürs Streaming genutzt werden.
Für uns ist es möglich, die Filme online nach der Kinoauswertung im Programm zu halten und mit neuen Mischformen zwischen analoger und digitaler Programmierung zu experimentieren: Etwa mit Filmreihen zu bestimmten Themen, die in unseren Kinos keinen Platz finden – aktuell «Rebellierende Musikikonen», inspiriert vom aktuellen Kinofilm «Teaches of Peaches».
Welche Highlights erwarten uns in Kino und auf Cinu?
Ab dem 4. Juli zeigen wir «Kinds of Kindness» von Yorgos Lathimos undam 25. Juli läuft «Zwei zu Eins» mit Sandra Hüller an. Ganz toll wird auch das Open Air Kalkbreite im Rahmen von 10 Jahre Kalkbreite, welches vom 29. bis 31.08.2024 stattfinden wird.
Ab Ende Juni bis Ende September zeigen wir im Kunstraum Limbo (im Riffraff) die Ausstellung von Nora Longatti.
Stapferhaus Lenzburg – Die Ausstellung «Natur – und wir?» läuft noch bis am 30.06.2024.
Wunderbare Livemusik gibts vom 13. bis 15.06.2024 am B-Sides Festival in Kriens.
Und vom 18. bis 27.07.2024 am Luzern Live Festival.