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Durch Bern mit Casanora

von Michael Bohli und Liliane Holdener (Bilder) • 25.04.2023

Casanora ist Sounddesignerin, Multimedia Artist und hat es sich zur Aufgabe gemacht, Grenzen zu sprengen. Wir haben die 30-jährige Künstlerin in Bern zu einem Spaziergang getroffen, der klangvolle Orte verbindet.

Die aktuelle EP «Electric Water» fordert die Hörer:innen stets von neuem Dazu auf, sich mit Klangform, -raum und -wirkung auseinanderzusetzen. Die dritte Veröffentlichung von Casanora, welche im November 2022 als Eigenveröffentlich ins Internet wanderte, ist experimentelle Electronica zwischen Geborgenheit und Abgrund.

Je nach Stimmung wandelt sich die Wirkung, live erlebt erhalten die Tracks und Sounds ein neues Gesicht. Wie aber wird die Künstlerin selbst von der Umgebung, von Räumen und unterschiedlichen Klangwirkungen beeinflusst? Wir haben uns in Bern auf eine Spurensuche begeben – der erste Halt nahe dem Zentrum Reitschule, der SOSO Space.

Casanora: Dieser Ort gefällt mir sehr und ich bin sehr gerne hier. Die Soundanlage ist wirklich gut, die Stimmung immer toll und die Mitarbeitenden sind super.

Phosphor: Für deine Musik ist eine gute Klangqualität wichtig.

An jedem Auftrittsort klingt es anders, und mit einer guten Anlage macht es gleich viel mehr Spass, die eigene Musik zu erleben. Das motiviert mich und lässt die anfängliche Nervosität vor einem Gig verpuffen.

Kommt es vor, dass du deine Musik nicht mehr hören willst?

Da ich mein Live-Set immer wieder neu aufbaue, gibt es den Fall nicht. Mir persönlich wird es schnell langweilig, Änderungen und Anpassungen gibt es nach jedem Auftritt. Die Struktur bleibt aber gleich. Grundsätzlich bin ich bei meinem Set sehr flexibel und kann auf die Stimmung der Menschen oder technische Probleme reagieren.




Denkst du beim Produzieren der Musik bereits an die Clubräume?

Im Studium musste ich mich intensiv mit dieser Frage auseinandersetzen. Ich produzierte viel für mich selbst, erst nach dem Bachelorabschluss veröffentlichte ich Material. Die Live-Umsetzung war unklar und in den letzten zwei Jahren ein Experiment. Jetzt bin ich an einem Punkt, an dem ich vor einem Auftritt die Tonspuren vorbereite und versuche, beim Soundcheck auf den Raum oder dessen Klang einzugehen.

Beeinflusst dich deine Umwelt?

Während dem Studium habe ich sehr viele Field Recordings gemacht und mir eine Bibliothek aufgebaut. Heute geschieht es weiterhin, dass ich spontan mit dem Handy Geräusche oder Klänge aufzeichne. Zusammen mit Samples, Stimmen und dergleichen erschaffe ich mir die Basis für meine Tracks.

Bern bietet vieles. Da ich aber oft einen Tapetenwechsel brauche, kommt meine Inspiration von überall her. Gespräche, Reisen, Essen, Filme und Kunst.

Wir bewegen uns weiter von der Altstadt weg und halten mittig auf der Lorrainebrücke. Von hier sieht man an schönen Tagen bis in die Alpen, während die Vögel über den Fahrzeugen kreisen und im Sommer Badende die Aare heruntertreiben.

Phosphor: Beeinflusst dich die Ruhe?

Casanora: Ja, ich bin ein eher unruhiger Mensch, die Aare oder Wasser an sich wirkt auf mich beruhigend. Es gibt eine gute Perspektive. Nicht nur bei «Electric Water», sondern bei all meinen Veröffentlichungen ist Wasser ein essenzieller Bestandteil.

Fehlt dir das Meer in der Schweiz?

Sehr (lacht). Ich bin kein Bergmensch und fühle mich am Meer zu Hause.

Ruhe und Lärm schaffen Gegensätze, auch in deiner Musik?

Ja, der Kontrast aus Inspiration, Ruhe und Lautstärke steckt darin.

Wie sieht es denn in Bezug auf analoge und digitale Mittel aus?

Meine Musik ist eine Verarbeitung von unterschiedlichsten Elementen oder Situationen, und deswegen nicht nur warm im Klang. Bei den ersten beiden EPs habe ich einfach losgelegt und nach der Fertigstellung gemerkt, wohin ich mich mit meinem Sound entwickeln möchte. Bei «Electric Water» habe ich mir mehr Zeit für diese Überlegungen gelassen, um näher an meine Vorstellungen zu gelangen.

Nach der Brücke biegen wir nach links ins Quartier der Gewerbeschule. Dort befindet sich die Suspended Sound Line (Klangbrücke) von Max Neuhaus. Ein urbanes Kunstwerk, das sich in den White Noise des Alltags einfügt.

Phosphor: Die Umgebung ist sehr technisch und konstruiert, zugleich auch fragil. Wie sieht das bei deiner Musik aus?

Casanora: In der erwähnten Entwicklung der letzten Zeit habe ich realisiert, dass ich bei den anfänglichen Tracks zu viele Schichten verwendet habe, es wirkte zu unruhig. Neu möchte ich den Fokus auf einzelne Details legen, auf das Dekonstruieren und den Minimalismus.

Live nehme ich meist einzelne Elemente der Tracks und gestalte vor Ort meine eigenen Remixes. Das macht Spass.

Wirst du von bestimmten Künstler:innen inspiriert?

Die Inspiration kommt für mich aus vielen Dingen, von vielen Seiten. Spezifische Namen gibt es nicht, aber es ist trotzdem spannend zu lesen oder zu hören, was andere Leute in meiner Musik entdecken. Da gibt es keine Kontrolle: Ich produziere die Tracks, ihr hört sie. Welche Empfindungen ausgelöst werden, liegt nicht in meiner Hand. Die Resonanz kommt später.

Ich produziere die Tracks, ihr hört sie. Welche Empfindungen ausgelöst werden, liegt nicht in meiner Hand.

Gibst du deine Musik vor der Veröffentlichung Freund:innen zum Anhören?

Im Anfangsstadium nicht, da ich in dem Moment zu stark von allem beeinflusst werde. Später aber auf jeden Fall. Bei «Electric Water» hatte ich ein Coaching mit Aïsha Devi, was mir in Bezug auf die Inhalte und meine Wünsche und Ziele sehr half.

Hilft es dir, um beim kreativen Schaffen einen Endpunkt zu erreichen?

Eventuell. Aber meist ist es ein Gefühl, «jetzt ist der Track fertig». Deadlines, externe oder eigene, helfen natürlich. Bei «Electric Water» arbeitete ich mit Personen zusammen, die mir halfen, das Mixing nach meiner Vorstellung zu gestalten.

Fühlst du dich in urbanen Umgebungen wohl?

Sehr. Es herrscht eine klare Struktur, was trotz des oft harschen Sounds beruhigend wirken kann. Architektur und Ordnung, das entspannt.

Zurück im Gebiet der Altstadt stehen wir vor dem Progr, einem grossen Gebäudekomplex, in dem sich Proberäume, Studios, Konzerträume, die Turnhalle und die Bar Lehrerzimmer befinden. Auch Casanora ist hier zu Hause.

Casanora: In diesem Gebäude habe ich mein Atelier, in einem der oberen Stockwerke, da ich meistens mit Kopfhörern arbeite. Das Tageslicht ist auch schön (lacht).

Existiert eine Gemeinschaft zwischen den Künstler:innen?

Zufällige Begegnungen auf dem Korridor gibt es, allerdings arbeitet man oft für sich. Neben mir ist ein Klavierlehrer einquartiert, dessen Lektionen nehme ich teilweise wahr.

Visuals sind bei deinen Arbeiten wichtig. Machst du diese alle selbst?

Ja, bisher schon. Bei «Electric Water» habe ich für die Videos mit Jose Vigers zusammengearbeitet. Er hatte kompletten Freiraum bei der Umsetzung. Wichtig ist aber immer das Zusammenspiel zwischen Audio und Bild, die Gesamtheit.




Fühlst du dich in der Berner Kulturszene daheim?

Auf der einen Seite fühle ich mich gut integriert in die Szene, gleichzeitig stehe ich leicht ausserhalb der existierenden Bubbles und Gemeinschaften.

Wie hat sich denn die Wahrnehmung für dein Schaffen in den letzten Jahren verändert?

Der erste grosse Moment war das «Demotape of the Year» beim m4music Festival 2020, das kam so früh in meiner Karriere. Die folgenden zwei Jahre waren sehr intensiv und ich habe gar nicht richtig realisiert, was alles passiert ist.

Solche Anerkennung zu erhalten ist sehr schön, die grösste Kritikerin meines Schaffens bleibe weiterhin ich selbst. Da ich ausserhalb des kommerziellen Schaffens Musik produziere, erhalte ich die Unterstützung vor allem aus bestimmten Nischen.

Was bringt die Zukunft?

Tja, das werden wir sehen (lacht). Die Tour zu «Electric Water» wird nach der Pause bis in den Juni weitergeführt, parallel arbeite ich stets an neuen Skizzen und Tracks.

Welche Musik hört Casanora selbst? Hier einige Tipps von ihr zur Vertiefung.

Über Casanora

Casanora ist Sounddesignerin, Multimedia Artist und Musikerin in Bern. 2020 gewann sie mit «Learn How to Fly This Dragon» die Demotape Clinic Award im Bereich «Electronic» am m4music Festival und veröffentlichte zuletzt im November 2022 die EP «Electric Water».

Website: casanorarte.com

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