von Michael Bohli • 15.12.2023
Das Duo Egopusher aus Zürich feierte mit einem grossartigen Konzert im Moods das zehnjährige Jubiläum. Wir trafen die Musiker zu einem Gespräch.
Es begann 2013 mit einem Auftritt im Perla Mode Zürich, seither haben Alessandro Giannelli und Tobias Preisig unter dem Namen Egopusher eine beeindruckende Entwicklung hingelegt. Die Alben «Blood Red» und «Beyond» zeigen eine Band, die sich mit Schlagzeug, Violine und Synthesizer eigenen Klangwelten hingibt. Von Ambient über Electronica zu treibendem Techno – alles wird gekonnt vermengt.
Zum zehnjährigen Jubiläum luden Egopusher zum «Celebration Rave» ins ausverkaufte Moods und lieferten eine Show ab, die ihrem Namen gerecht wurde. Bekannte Stücke wurden zu Epen erweitert, die Bässe pochten, die Melodien waren überlebensgross. Gemeinsam mit der Band tanzte das Publikum ausgelassen und transformierte den Auftritt zu einer wilden Clubnacht.
Wir haben mit den beiden Musikern vor ihrem grossen Auftritt gesprochen.
Phosphor: Egopusher ist zehn Jahre alt; wie sah euer Leben mit zehn aus?
Alessandro: Ich wohnte in Küngoldingen neben Zofingen in einem Zweifamilienhaus, spielte viel im Wald und lebte im Keller.
Tobias: Ich durfte erst als Teenager in den Keller (lacht). Ansonsten ging ich brav zur Schule.
Wie hat sich eure Zusammenarbeit in den letzten zehn Jahren verändert?
Tobias: Sie hat sich zusammen mit den Alben und dem Weltgeschehen verändert. Alles wächst und bewegt sich, und es ist unsere Verantwortung als Künstler, eine Antwort auf das Zeitgeschehen zu liefern. Unsere Alben haben sich stetig gewandelt – doch der grosse Sprung wird erst sichtbar, wenn man das neuste Album mit dem ersten vergleicht.
Eure Musik hat weder Lyrics noch Gesang. Wie transportiert man instrumental seine Botschaften?
Tobias: Es ist eine lange Suche und der Versuch, unser Innerstes nach aussen zu transportieren. Das Weltgeschehen wird sozusagen durch uns gefiltert, und wir versuchen, einen gemeinsamen Nenner zu finden, wie unsere Reaktionen auf die Fragen ausfallen.
Instrumentalmusik ist und bleibt aber abstrakt. Wir erzählen Geschichten, die Zuhörende anders interpretieren können als wir selbst. Für uns war es immer sehr wichtig, dass wir den Menschen nichts Vorgefertigtes aufzwingen, sondern eine Welt bieten, in der alle ihre eigenen Bedürfnisse und Gefühle ausleben können.
Wenn jemand Egopusher nicht kennt und die Musik hört – wäre das Urteil über unsere Welt ein positives?
Alessandro: Ich denke, das ist sehr individuell. Interessanterweise sprechen Tobias und ich sehr oft darüber, wie wir die Musik wahrnehmen. Oft ist das gegensätzlich, beim Spielen unserer Songs finden wir aber trotzdem immer ein gemeinsames Gefühl.
Tobias: Das Album «Ambient Mix Tape» entstand in der Pandemie. Für uns war klar, dass wir etwas Ruhiges, Bedächtiges machen wollen – während viele andere Künstler:innen um die digitale Aufmerksamkeit buhlten. Das war eine klare Antwort auf das Weltgeschehen. Unterbewusst verbinden wir uns mit unseren Mitmenschen und der Welt, es ist unser Versuch, die Welt mitzugestalten.
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Euer Album «Beyond» hatte für mein Empfinden sehr viele Anleihen an Soundtracks wie «Blade Runner».
Tobias: Es klingt stellenweise utopisch, gleichzeitig ist es unsere Antwort auf die Frage, was es alles geben könnte. In den Tracks existieren nicht bloss Trostlosigkeit und Weltuntergang, sondern auch Hoffnung und Lichtblicke.
Hat sich Egopusher wie erhofft entwickelt?
Tobias: Glücklicherweise haben wir damals nicht zehn Jahre nach vorne geschaut! Für mich ist es am wichtigsten, im Moment zu leben und gemeinsam etwas zu kreieren, das eine Verbindung schafft.
Alessandro: Das schönste ist, dass wir immer noch zusammen Musik machen. Auf unserem Weg galt es aber, gemeinsam viele Entscheidungen zu treffen.
Tobias: In den Punkten, in denen man sich gemeinsam findet, stecken die wahren Stärken. Solche Momente durchleben Phasen der Spannungen. Das Schöne ist aber, dass man zusammen Lösungen finden muss und dadurch zu zweit auf Ergebnisse kommt, die man allein nicht erreichen würde. Wir teilen uns alles 50:50; alle Aufgaben, Erfolge und Misserfolge. Es ist ein unglaubliches Glück, dies zu zweit machen zu können.
Wie findet man die eigene musikalische Identität?
Alessandro: Wir spielten zusammen in einer anderen Band, waren viel gemeinsam unterwegs und haben Musik ausgetauscht. Im Vordergrund stand die persönliche Verbindung, die wir spürten. So kam die Idee auf, einfach mal zu zweit in den Proberaum zu gehen, alle möglichen Effektgeräte mitzunehmen und zu schauen, was passiert.
Tobias: Dieser Gedanke: zusammen zu spielen, ohne die nächste beliebige Band zu gründen, war immer zentral. Das Geheimrezept ist, dass wir regelmässig zusammen essen gehen, Zeit zusammen verbringen und uns austauschen.
Ihr seid zurück im Moods, wie wichtig ist der Club für euch?
Alessandro: Im Moods haben wir als Band schon einige Konzerte spielen dürfen. Das erste war am m4music Festival, dann kam die Plattentaufe zu «Blood Red» 2017 – und jetzt sind wir für das Jubiläum zurück. Ich selber habe im Moods unzählige tolle Konzerte gesehen und viel spannende Musik entdeckt.
Tobias: Ich plakatierte als Teenager für das Moods am alten Standort und durfte gratis an die Konzerte. Es ist wunderbar, jetzt hier zu sein und unser Jubiläum zu feiern.
Ihr habt gesagt, dass ihr nicht in die Zukunft schaut. Gibt es trotzdem Wünsche für die nächsten zehn Jahre?
Alessandro: Dass wir wieder hier zusammensitzen und ein nächstes Jubiläum feiern können.
Tobias: Unbedingt. Auch, dass wir offen bleiben und mit dem Zeitgeschehen mitgehen.
Remixes gibt es bei euch regelmässig, welchen Stellenwert hat dies für euch?
Alessandro: Andere Songs zu remixen macht grossen Spass. Man hat mit den einzelnen Spuren eines bestehenden Songs viele Ideen auf dem Tisch, kann diese neu zusammensetzen und eigene Ideen hinzufügen. Die Arbeit am Rework für «Stranger» von Chiara Dubey war besonders spannend, da wir zum ersten Mal mit Gesangsspuren gearbeitet haben.
Tobias: Man lässt sich von etwas, das einen berührt, beeinflussen und versucht dies mit der eigenen Identität zu verbinden. Für uns ist ein Remix ein Moment, in dem man etwas kreieren kann, ohne etwas komplett Neues zu erarbeiten.
Eure Musik ist sehr cineastisch, Tobias hat auch Soundtracks geschrieben. Wie wichtig sind Filme für euch?
Alessandro: Filmwelten haben mich schon als Kind fasziniert und waren für mich eine Gelegenheit, dem Alltag zu entfliehen. Es wäre schön, mit Egopusher mal Musik für einen Film machen zu können.
Tobias: Es ist schön, in Parallelwelten abtauchen zu können, in denen alles möglich ist.
Als Abschluss: Die Violine …
Alessandro: … verschwindet auf dem nächsten Album.
Tobias: Ich habe die Tuba bereits gekauft! (lacht)
Ach was. Die Violine hat sich in der Populärmusik etabliert, aber wie steht ihr zur Blockflöte?
Tobias: In der Schule habe ich wie die meisten Blockflöte gespielt. Leider habe ich diese Karriere nicht weiterverfolgt.
Alessandro: Ich nie, ich habe Gitarre gespielt. Eigentlich wollte ich Klavier lernen, doch der Lehrer war mir unsympathisch.
Tobias: Ich denke, seit dem Soundtrack zu «The Mandalorian» wäre die Flöte wieder en vogue.
Alessandro: Oder dank André 3000.
Tobias: Wobei sich für mich darin zeigt, dass das Instrumenten-Denken nie unser Ding war. Schlagzeug und Violine sind unsere Werkzeuge, um Emotionen und Momente zu kreieren – die Instrumente an sich sind nicht zentral.
Danke für das Gespräch und auf weitere zehn Jahre!
«Anders nicht falsch» von Maria Zimmermann – ein Buch über ein Leben im autistischen Spektrum. Eine grossartige Bereicherung für uns alle!
Die Plattentaufe von Mario Scartons Album «Fantasmi» im Bogen F am 15.12.2023. Mario baut mit Piano und Synthesizer wunderbare Klangwelten.
Über Egopusher:
Egopusher sind der Schlagzeuger/Produzent Alessandro Giannelli und der Geiger Tobias Preisig. Ihre Musik ist eine visuell aufgeladene Verschmelzung von Electronica und zeitgenössischer Neoklassik. Es ist die Art von Musik, die darum bettelt, dass Breitwandfilme dazu gedreht werden.