von Michael Bohli • 09.06.2025
Probleme durch Musik zu verarbeiten, ist nichts neues, als Mixed-Reality-Band gehen Loveboy and His Imaginary Friends aber ungewohnte Wege. Wir haben mit dem Bandgründer gesprochen.
Als Nicolaj Ésteban in seinen alten Kinderzeichnungen auf die Figuren von Beefynn McDoll, Hugtus und Lampard stiess, war für ihn klar: das werden seine Bandmitglieder. Unter dem Namen Loveboy and His Imaginary Friends tritt der Musiker aus St. Gallen als Mixed-Reality-Band live auf und hat damit ein einmaliges Projekt in der Schweizer Szene geschaffen.
Nach dem Debütalbum «Good Bye!» von 2020 und diversen Auftritten hat sich die Idee gefestigt und wird aktuell von Nicolaj und seinen Mitstreitern erweitert. Visionen gibt es viele, neue Songs in der Mischung aus Art-Pop und Indie-Electro sind in Arbeit. Zeit für ein Gespräch über reale Depressionen, tote Delfine und Liveauftritte voller Technik.
Phosphor: Ende April bist du am Honky Tonk Festival in St. Gallen aufgetreten. Wie war es?
Nicolaj Ésteban: Wir haben zwei Sets gespielt – zum einen ein DJ-Set und zum anderen das gewohnte Konzert. Beim DJ-Set haben wir zum ersten Mal mit einem Motion-Capture-Anzug die Bewegungen live als Performance verwendet. Trotz technischer Herausforderungen wie der Netzwerkverbindung war es eine tolle Erfahrung.
Das klingt nach einem grossen technischen Aufwand.
Die Möglichkeiten sind riesig, und obwohl ich die technische Seite nicht so gerne mag, bilde ich mich regelmässig weiter und will es auch verstehen. Vor Kurzem war ich bei Tobias Baumann von der Quantum Stage in Winterthur und habe dessen kamerabasierten Anzug ausprobiert. Diese Technik ermöglicht grosse Agilität auf der Bühne und bietet viele Optionen.
Es fragt sich allerdings auch, wie der Aufwand zu finanzieren ist und wie wir es in die Venues bringen können. Aktuell arbeiten wir viel mit Projektionen, der nächste Schritt wären LED-Screens und eine Motion-Capture-Stage im Hintergrund.
Um das zu stemmen, suche ich aktuell Leute, die mich beim Projekt unterstützen können. Falls also jemand ein Unreal Engine Programmierer ist und mitmischen möchte, darf sich diese Person sehr gerne bei mir melden.
Bist du jemand, der viel Zeit in Fantasiewelten verbringt?
Auf jeden Fall, das war schon immer so. Ich war ein typischer Schüler mit Fensterplatz (lacht). Ich denke mir gerne Geschichten und Figuren aus und versuche damit, mich selbst und die Welt besser zu verstehen. Ich habe gelernt, solche Gedanken zuzulassen und das Spielerische im Leben nicht zu verdrängen.
Wie haben sich deine Ideen zur Mixed-Reality-Band entwickelt?
Sehr stark wurde ich von der Kamera inspiriert, die mir meine Grossmutter geschenkt hat, plus von Filmen und Serien wie Star Wars, One Piece, Dragonball, SpongeBob SquarePants oder Adventure Time. Werke, bei denen sich die Macher:innen ganze Universen und immersive Welten ausgedacht haben.
Als ich in meinen alten Kinderzeichnungen auf die Charaktere gestossen bin, habe ich diese imaginären Kindheitsfreunde mit meinem Band-Wunsch zusammengebracht. Warum auch nicht?
Ein einzigartiges Konzept.
Ja, wobei Bands wie Gorillaz auch in diese Richtung gehen. Für mich ist das Ganze auch ein Abenteuer, um mich selbst besser kennenzulernen. Das Übersetzen von spielerischen Aspekten in eine Geschichte, ein Erlebnis, einen Song; das mache ich sehr gerne.
Moses Germann unterstützt mich bei den Sounds. Mit ihm spielte ich bereits in einigen Bands und seine musikalische Entwicklung ist grossartig. Er ist ein passendes Gegenstück zu meiner kreativen Arbeit und lässt die Musik von Loveboy and His Imaginary Friends vielseitig klingen.
Wie waren die bisherigen Reaktionen auf das Projekt?
Ausschliesslich positiv, und einige Freunde sind so begeistert, dass sie sogar beim Aufbau der Shows und der Abmischung mithelfen. Für viele ist es ein Konzerterlebnis, das sie so noch nie hatten. Oft wird die Frage gestellt, wieso wir nicht öfters und auf grösseren Bühnen spielen.
In solchen Situationen sieht man leider eine Diskrepanz zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit, denn die Schweizer Szene bietet wenig Auftrittsmöglichkeiten und bedeutet harte Arbeit. Aber wir haben ein sehr starkes Selbstbewusstsein und sind auf dem richtigen Weg. Mehr Auftritte im Mittelland oder in der Westschweiz wären toll. Locations und Booker, meldet euch bei uns (lacht).
«Ein Mix zwischen Comedy, Hyperpop und Depression.»
Wie darf sich unsere Leserschaft eine Show von euch vorstellen?
Kurz gesagt ist es ein Mix zwischen Comedy, Hyperpop und Depression. Der Humor kommt nicht zu kurz und es gibt interaktive Momente, wie zum Beispiel eine Aerobic-Session mit dem toten Delfin Beefynn. Auf unserer Landingpage wird genauer beschrieben, wer wir sind und was wir machen.
Aktuell arbeitest du am zweiten Album. Was erwartet uns?
Dank der Unterstützung durch Fördergelder wird es nicht nur ein Album, sondern auch einen Kurzfilm geben, der die Geschichten des Loveboy-Universums weiterführt. Ob das Resultat eine Mischung aus Performance, Film und Mixed Reality Experience wird oder als Animationsfilm funktioniert, steht noch offen. Es wäre sehr toll, diesen Film auch auf Filmfestivals zeigen zu können. Klar ist, dass die Musik als Album erscheinen wird. Ich geniesse es, wenn man sich auf die Audioaspekte konzentrieren kann.
Inhaltlich dreht es sich um Paul, eine depressive Sonne, die sich mit ihrem inneren Kind vereinen muss, um das Licht nicht zu verlieren.
Du verarbeitest mit deiner Kunst eigene Erfahrungen. Was hoffst du bei deinem Publikum zu bewirken?
Unser Logo, das dreiteilige Herz, zeigt meine Absichten sehr gut. Bei Loveboy and His Imaginary Friends geht es um Selbstliebe und Liebe zu anderen Menschen, in welcher Form auch immer. In unserem Herzen hat mehr Platz als nur die Norm.
Zudem hilft mir das Projekt, mich mit meinen eigenen Dämonen auseinanderzusetzen. Diese Erfahrungen und Geschichten übersetze ich in Lieder und Texte, die andere Leute nachvollziehen können.
Wird das nicht manchmal zu viel?
Durch den Filter der kreativen Gestaltung kann ich es gut steuern, auch wenn es manchmal ein schmaler Grat zwischen Verherrlichung und Vermarktung ist und auf keinen Fall verheilte Wunden erneut aufreissen soll. Über Sorgen wie Depression spricht es sich dann am besten, wenn sie überwunden sind – genau deswegen ist es aber so wichtig, dass es thematisiert wird.
Mit deinen wieder aufgegriffenen Zeichnungen zeigst du meiner Meinung nach sehr gut, dass es nicht um Verdrängung geht, sondern darum, Frieden mit seinem Leben und der Vergangenheit zu schliessen und die Schatten neu zu beurteilen.
Hast du Vorbilder?
Ja, sehr viele sogar. Tyler The Creator bewundere ich beispielsweise dafür, dass er sein eigenes Ding durchzieht und grossartige Bühnenshows abliefert. Wie bereits erwähnt, gefallen mir Serien und Animes sehr, und allgemein werde ich durch viele kreative Arbeiten inspiriert.
Danke dir für das Gespräch. Welche Kulturtipps hast du für unsere Leserschaft?
Die Kunsthalle in St. Gallen hat gute Vibes und der Seealpsee in Appenzell ist ein toller Ort für Inspirationen.
Erkundet eure innere Welt öfter, das ist auch ein Ort, an dem Kultur stattfindet; unwissentlich oder ungewohnt sogar. Das Selbst als Kulturlandschaft und Schauplatz von Geschichten zu sehen ist cool und spannend in jedem Alter.
Über Loveboy and His Imaginary Friends:
Die Mixed-Reality-Band aus St. Gallen besteht aus den drei imaginären Kreaturen Beefynn McDoll (der tote Delfin; Keyboard), Hugtus (der Kaktus; Bass) und Lampard (der Leopard; Schlagzeug), welche als 3D-Avatare visualisiert werden, und einem Menschen: Loveboy (Nicolaj Ésteban; Gesang).
Live werden die imaginären Bandmitglieder durch Videos und Projektionen auf die Bühne geholt, Loverboy singt dazu und triggert Videos und Tracks mit Midi-Kontrollern.