von Michael Bohli • 10.12.2024
Schwelbrand bringt dir neue Musik ins Haus. Als Einstand gibt es eine turbulente Reise durch die Emotionen mit glitchBABY, DANA, Meimuna, Linda Wolf, Luce und IKAN HYU.
Ein erholsamer Herbst? Für mich fühlte es sich nicht so an – zu viele Schatten zogen über die Welt, zu viele Dinge sind nach rechts gerückt. Falls es euch auch so geht, keine Angst, wir sind nicht alleine. Gemeinsam finden wir zu neuer Kraft, mit Künstler:innen, die uns mit ihren Liedern und Platten unterstützen.
Hyperpop • Hatepop.Culture
Die Welt brachte mich in den letzten Wochen nahe an den psychischen Abgrund. Da muss es raus, laut und direkt. Vier Lieder, die zwischen Metal und Hyperpop oszillieren und in einem Sturm aus Popkultur, Internet und harschen Sounds alles mitreissen; das ist «Pixels Of Rage» von glitchBABY.
Eine EP, die sich perfekt eignet, um den Frust und die Ängste aus dem Fenster zu schreien, wild im Zimmer herumzuhüpfen und Trost in nostalgischen Erinnerungen an Anime und Games zu finden. «Kim Possible» oder «Baldurs Gate 3» werden mit Emotionen und Wucht überhäuft.
Gemeinsam mit HATEPOP, DASHCAM*DEVI, Rayvn und Kiyyan hat glitchBABY aus Basel druckvolle, kratzende und energetische Musik aufgenommen. Nach mehrmaligem Anhören von «Pixels Of Rage» ist die Welt nicht besser, aber du fühlst dich verstanden und etwas ruhiger.
Pop • Mouthwatering Records
Mit dem Album sind wir nahe an DANA, das Coverfoto zeigt die Musikerin als Closeup, die Lieder lassen tief ins Innere blicken. Elf Kompositionen über persönliche Erfahrungen, Sorgen und Gefühle finden sich auf «Teary-Eyed», das sich nach wenigen Minuten wie ein Wohlfühlort anfühlt.
Queere Liebe, Beziehungen zu Familienmitgliedern, zerbrochene Partnerschaften und Selbstzweifel verpackt DANA aus Zürich in lockende, mitreissende Melodien. Die Refrains eignen sich zum Mitsingen, die Rhythmen sorgen für eine hohe Energie. Das ist Popmusik mit Herz und Ehrlichkeit.
Vorab veröffentlichte Singles behalten ihre Kraft, «Ex-Extrovert» spricht zu mir, mit «Kale Juice» erlaubt sich DANA einen humorvollen Blick auf das Erwachsenleben und «Hype» gibt dir einen Schubs. «Teary-Eyed» ist Empowerment und die direkte Beschäftigung mit sorgenvollen Themen und erdrückend wirkenden Emotionen. Wir heilen.
Pop, Folk • Radicalis Musik
Der Glauben an uns ist in gewissen Anteilen zurück, wir wagen uns zögerlich nach draussen und spüren Wind und Sonne auf unserem Körper. Ist es nicht faszinierend, wie zerbrechlich alles ist? Die Welt, das Leben, die Gesellschaft, die Natur. Diese Empfindung packt Meimuna aus dem Wallis perfekt in ihren Folk-Pop.
Das Album «c’est demain que je meurs» ist mit zehn Liedern eine Suche nach Schönheit in verloren geglaubten Orten. Gleich der Opener «sous la nef» fühlt sich nach Streicheleinheiten für die Seele an, die akustische Instrumentierung trägt die zarten Melodien durch die Umgebung.
Die französischen Texte, die geschichteten Stimmen und die natürlich wirkende Produktion machen «c’est demain que je meurs» nicht zu einem Schwanengesang, sondern dem ersten vollwertigen Album von Meimuna nach diversen EPs. Dieser Folk-Pop bringt nicht ein Ende, sondern neue Hoffnung.
Pop • Mouthwatering Records
Zuversicht zu finden, das kostet Kraft und Mut – ist aber möglich. Linda Wolf aus Bern ist Psychotherapeutin und kennt sich mit unseren inneren Welten gut aus. Eine aufbauende Reise durch Gefühle und Gedanken bietet Wolf mit ihrem Debüt «What If All Works Out».
Der Titel deutet es an, hier ist nicht Weltuntergang, sondern Reflexion und Genesung angesagt. Ja, wir starten auf dem «Sadnesstrain», wachsen aber an den Enttäuschungen und Verletzungen. Die acht Popsongs sind eingängig, fühlen sich ehrlich an und kommen uns ganz nahe.
Linda Wolfs Gesang ist in den richtigen Mengen zärtlich oder direkt, die hellen Melodien wecken 80s-Vibes und Tanzbewegungen. Ich habe mich rasch in Lieder wie «Theodore», «Saturday Night» und «Help Yourself» verliebt, finde dank dem Album mehr Verständnis und bin in mich gekehrt. Wird doch alles gut?
Americana, Folk • Red Brick Records
Wenn alles gut sein soll, was machen wir mit unseren Ängsten? Wie wäre es, wenn wir alle zusammen auf die Tanzfläche gehen? «Blue Star Soft Eyes» tut genau das, mit Americana, Folk und Pop. Musikerin Tiziana Greco aus Luzern hat eine Band gegründet, ihre Soloabenteuer erweitert und acht Lieder geschrieben, die vielseitig überzeugen.
Nachdenklichkeit und Zurückhaltung verbinden sich auf dem Album zu feingliedrigem und durchdachten Songwriting, das Quartett nutzt die Möglichkeiten der Instrumente für Farbtupfer und sanfte Experimente. «Lily got no Sleep» lässt dich trotz des Titels träumen, «How» ist elegant und «Dried Up» wirkt fröhlich verspielt.
Tiziana Greco hat mit Beda Mächler, Aline Stadler und Mirko Geiger zusammengefunden, um uns alle mit «Blue Star Soft Eyes» klarzumachen, dass unser harscher Alltag viel lehrreiches bietet. Das hat in Stücken wie «Avoided by the Cats» Pop-Vibes vergangener Jahrzehnte und viel Neugierde. Die brauchen wir.
Rock • Mouthwatering Records
Fünf Platten hat es gebraucht, aber jetzt sind wir gestärkt und wieder bereit, allen Herausforderungen entgegenzutreten. Nehmen wir unsere Energie, schreiten durch die Tür und verändern zusammen die Welt. «CATCH ME IF YOU CAN» liefert den Soundtrack für den Kampf gegen Ungerechtigkeiten, fast noch wilder als beim Album «❁ OASIS ❁».
Gespielt werden die fünf aufmüpfigen und wunderbar lauten Tracks vom Duo IKAN HYU aus Zürich, voller verzerrter Gitarren, frechen Parolen und hart geschlagenen Drums. Das ist gegen den Strich gebürstet, überraschend im Klang und wild. «C:K:C» dröhnt, «BrEaK iNtO yOuR hOu$e» dringt zusammen mit Drahthaus in uns alle ein.
Let’s destroy some shit, denn noch mehr explosive Energie als bei «CATCH ME IF YOU CAN» gibt es heute nicht für dich. Du und deine Freundinnen tanzen am Schluss auf den Strassen, «towers» als Hymne in der Luft.
Schwelbrand
Die Beitragsreihe bringt dir neue Musik aus der Schweiz näher, persönlich und mit emotionaler Reaktion besprochen. Alben, EPs und thematische Verbindungen; unregelmässig, immer heiss.
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