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Schwelbrand 03: Rau und anders

von Michael Bohli • 06.01.2025

Schwelbrand bringt dir neue Musik ins Haus. Wild und laut wird es in der dritten Ausgabe, mit den Alben von Coilguns, 222Rn, Taimashoe, tober, Waldskin und Ash the Ash.

Sich aus der Komfortzone zu bewegen ist notwendig, um neue Facetten des Lebens kennenzulernen. Auch beim Musikkonsum macht es viel Sinn und Freude, sich regelmässig experimentellen, lauten und rohen Veröffentlichungen zuzuwenden.

Coilguns: Odd Love

Noise, Hardcore • Humus Records

Wenn es etwas gibt, das uns die Formation aus La Chaux-de-Fonds seit Jahren zeigt, dann der Fakt, dass laute und harte Musik keinen Formeln folgen muss. Viel aufregender ist es, sich gemeinsam mit den Musikern von Coilguns in den Abgrund zu stürzen und während dem Fall mit brachialen Takten überrumpelt zu werden.

«Odd Love» labt sich an der Ausgefallenheit, am Chaos und der Unberechenbarkeit. Coilguns widmen sich in den elf Liefern mit ihrer ureigenen Mischung aus Noise, Punk und Hardcore ihrem persönlichen Verhältnis zur Musik. Von Gitarristen Jona Nido in Demos initiiert, von der gesamten Band arrangiert.

«We Missed the Parade» ist die Explosion zu Beginn, «Generic Skincare» das Ringen zwischen Harmonie und Dunkelheit, «Bandwagoning» die gnadenlose Dampfwalze: «Odd Love» ist ein gefährliches Album voller Reize und überraschenden Sounds. Eine Platte mit ehrlichen Emotionen und grenzenlosen Klängen.

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222Rn: Angelica Archangelica

Drone, Experimental • Kashev Tapes

Wenn sich zwei Trios zusammenschliessen, gibt es nicht nur verdoppelte Instrumente, sondern eine neue, diabolische Inkarnation des bisherigen. 222Rn sind Radon und Film 2, als zusammengeschmolzenes Biest mit zwei Schlagzeugen, zwei Gitarren und zwei Bässen – und zwei langen Tracks heisser Teufelsmusik.

Live an der Bad Bonn Kilbi 2024 aufgeführt und aufgenommen, ist «Angelica Archangelica» eine Platte mit lautem Jaulen, Rückkopplungen und Gekeife. Die sechs Musiker:innen stürzten sich auf der Bühne in ein 45-minütiges Set mit hypnotischen Wiederholungen, klanglichen Angriffen und ausufernden Passagen.

Aus horrormässigem Ambient schälen sich Drone und Schreie, die Takte sind gnadenlos, die Tonspuren wie Schleifpapier. 222Rn spielen sich gemeinsam mit dem Publikum in eine andere Dimension, in der Krautrock und Black Metal fusioniert haben. Hoffentlich bleibt «Angelica Archangelica» nicht die letzte Botschaft daraus.

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Taimashoe: Put The Trash Out

Indie, Experimental • A Tree in a Field Records

Wenn der erste Song auf dem Album «Aah-Aaahh» heisst wird klar, dieses Werk geht abseits der gewohnten Pfade. Gessica Zinni hat mit ihren Mitmusikern im Studio aus Skizzen, Ideen und Entwürfen eine Platte geschaffen, die Fehler zulässt und Raum für eigene Fantasien bietet.

«Put The Trash Out» ist keinesfalls der Abfall von Taimashoe, sondern ein interessantes Kleinuniversum aus improvisierten Ausführungen, rauen Tonspuren und wechselnder Stimmung. Viele Tracks atmen Jazz-Luft, geben sich spannender Rhythmik hin und arbeiten mit Leerstellen. Auch beim Gesang sorgt Zinni für Abwechslung und starken Ausdruck.

«Gravity» hängt schief im Raum, voller Reize und Piano, «The World Was Just» lässt schöne Töne im Hall umherschwirren. Als Album muss «Put The Trash Out» zuerst erfasst werden, dann aber machen die Lieder von Taimashoe in ihrer ungekämmten Form viel Freude.

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tober: mollis phantasia

Dungeon Synth • Self-Released

Wenn du in den Dungeon steigst, gehst du besser nicht allein! Unterstützung bietet dir tober mit seiner Musik, den Berner haben wir dir 2023 mit seiner Platte «the artifacts» vorgestellt. Auf «mollis phantasia» gibt es frische Sounds, die Goblins und Untote eins auf den Schädel knallen. Vorsicht ist jedoch geboten, die Klänge beinhalten Fallen.

Scheppernde Takte aus dem Drumcomputer, übersteuerte Synthesizer und mysteriöse Stimmen im Hintergrund: Die sieben Tracks sind kein Garant fürs Überleben im verwunschenen Verliess, können dich bei deinem Vorhaben aber unterstützen. Der von tober gespielte Dungeon Synth wirkt auf diesem Album reduziert, karg und technisch.

Mit traditionellen Fantasy-Abenteuer hat «soupy thick mystery cauldron» wenig zu tun, auch «damp beat» ist eher wildgewordener Hardstyle als gemütliches Runenschmieden. Die angriffigen Stücke machen «mollis phantasia» aufregend, das von tober angehängte Field Recording mit Wald- und Vogelgeräuschen beruhigt dich nach der Quest.

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Waldskin: Wrong Party

Alt Pop, Rock • Blizzard Audio Club

Wenn du per Zufall am falschen Ort gelandet bist, solltest du nicht in Panik ausbrechen. Eventuell gibt es in der unbekannten Umgebung lohnende Dinge zu entdecken. Auf der «Wrong Party» von Waldskin ist es auf jeden Fall so, hinter den Schichten lauert die Schönheit.

Die Gruppe aus Biel/Bienne geniesst in den sieben Liedern die dunkle Atmosphäre, die fliessenden Takte und die reizvollen Texturen aus Synthesizer und Gitarre. «Wrong Party» verfügt über einen Puls, der warm und rot leuchtend in die Schatten lockt und dort mit Alternative Pop und Rock zur Bewegung animiert.

Neben der Stimme von Aurèle Louis geben die elektronischen Aspekte der Lieder die Richtung vor, Schlagzeug und Bass sorgen für fesselnde Rhythmen. «I’ll Wait» lässt dich nicht mehr los, «Puppy of A» nähert sich dem Industrial und «Foam» findet Zuversicht und Kraft. Von Gitarren zu Beats, von der Melancholie zur Hoffnung – Waldskin fesseln.

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Ash the Ash: A Lot To Give

Indie, Post-Punk • Self-Released

Wenn jedes Lied Verbindungen ermöglicht und andere Erinnerungen weckt, dann ist ein Album mehr als nur packend. Ash the Ash aus Lausanne ist das mit «A Lot To Give» gelungen; die neun Lieder sind vielfältig und bieten Abwechslung zwischen Indie, Post-Punk und Alternative.

«Lies Last Longer» beginnt mit beschwörendem Vibe und dunklen Sounds, die Gitarren sorgen für Helligkeit und Melodien, der mehrstimmige Gesang findet Auswege. Vieles lässt bei Ash the Ash an Bands und Künstler:innen aus den UK denken, herrscht eine urbane, direkte Stimmung. Indie wird gegen den Strich gebürstet, Wave als Würze verwendet.

Voller Energie erscheint «We Will Die Alone» mit erlösenden Gitarren, wild und kompromisslos stellt sich «No Time» in den Weg. Bei Ash the Ash wird es regelmässig laut, die Harmonien sind ungewohnt und bei «I am Serving me» werden wir in den Himmel gehoben. Das ist ausdrucksstark, das gefällt.

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Schwelbrand

Die Beitragsreihe bringt dir neue Musik aus der Schweiz näher, persönlich und mit emotionaler Reaktion besprochen. Alben, EPs und thematische Verbindungen; unregelmässig, immer heiss.

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