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Schwelbrand 04: 2025 let’s go!

von Michael Bohli • 03.02.2025

Schwelbrand bringt dir neue Musik ins Haus. Zum Jahresanfang liefert dir die vierte Ausgabe Alben von Miss Kryptonite, Estelle Zamme, Yes I’m Very Tired Now, Aino Salto, mantocliff und CRTTR.

Nein, wirklich lustig und gut hat 2025 nicht begonnen. Aber bei all diesen Schreckensmeldungen vergessen wir oft, dass die Welt sehr wohl positive Entwicklungen bietet. Wie etwa der Januar in der Schweizer Musikszene. Wir stellen dir sechs Alben aus dem Startmonat vor.

Miss Kryptonite: Goddess A

Rock • Self-Released

Ist die Gemeinde Zofingen im Rock-Olymp angekommen? Miss Kryptonite lassen uns das glauben, heisst das zweite Album des Quartetts «Goddess A» und liefert auf dem Cover ein Bild der ikonischen Braut von Frankensteins Monster. Das hat Stil, das löst Ehrfurcht aus.

Auf dem Boden geblieben und rau ist die Musik, Miss Kryptonite spielen Rock mit einer Prise Grunge und einer Messerspitze Space-Vibes. 2017 gegründet, wurden in den letzten Monaten zehn Songs vom Quartett aufgenommen und als Singles veröffentlicht. Die Musik geht laut ab und wird vielfach vom Gesang der Leaderin Désirée Graber beherrscht.

Eine Breitseite liefert der Start mit «Heroin Hellacopter», «Interstellar Traveller» gönnt sich viel Raum und «Hate» macht Muse-Fans glücklich. Neben den zwei Gitarren gibt es Synthies als Ergänzungen, Schlagzeug und Bass spielen gekonnt nach vorne. Das macht Freude, wenn auch die Produktion etwas mehr Gewicht vertragen hätte.

Mehr Phosphor: Lies über unseren Bandraumbesuch bei Miss Kryptonite.

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Estelle Zamme: Golfinhos

Big Beat • Label

Nein, Delfine gibt es in La Chaux De Fonds keine, aber talentierte Menschen. Dazu zählen Etienne Bel und Julien Ledermann, deren neuste Platte als Estelle Zamme die lauten Beats schamlos zelebriert. Für alle, die dann laut gejubelt haben, wenn The Prodigy an einem Festival aufgetaucht sind.

«Golfinhos» klingt euphorisch, satt und sommerlich. Neun Tracks für Momente der Ausgelassenheit, Big Beat trifft auf Eurodance und moderne Clubmusik; zum Genremix passend gehört das Spiel mit Exotik und den Einflüssen aus dem Osten. Die Beats rollen bei solchen Tracks wie «Tohfa» verführerisch.

«Casa Sado» ist Entspannung, «A Vida é Super» nimmt dich auf einen Rave und «Bom Dia» sorgt für schweisstreibende Moves auf der Tanzfläche. Das macht Spass und Estelle Zamme kennen keine Zurückhaltung. Wieso auch, «Golfinhos» funktioniert, ohne sich komplizierten Theorien hingeben zu müssen. Let’s party!

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Yes I’m Very Tired Now: The Dark Tape

Dark Pop, Wave • Self-Released

Nein, Marc Frischknecht nennt sich nicht erst seit den neusten politischen Entwicklungen Yes I’m Very Tired Now. Der Musiker aus St. Gallen verwendet das Pseudonym seit zehn Jahren, eine Zeit, in der mehrere EPs und Alben entstanden sind und Indie mit Post-Punk und Wave zusammengeführt wurde.

«The Dark Tape» schliesst an diese Entwicklung an, schlägt zugleich ein frisches Kapitel auf. In den zehn Songs steckt eine ehrliche Verletzlichkeit, düstere Sounds treffen auf Pianoklänge und akustisch gespielte Melodien auf elektronische Bässe. Begleitet von Sängerin Natasha Waters entfaltet sich eine magische Stimmung, die wie sehnsüchtige Momente in einer Sternennacht wirken.

Trotz des Albumnamens ist «The Dark Tape» eine sinnliche Erfahrung, die nicht erdrückt, sondern Dark Pop, Wave und Indie mit genügend Klarheit vermischt – ohne die dringlichen Gitarren zu vergessen. Vielleicht endet unsere gewohnte Welt bald, doch indem wir zu diesen Songs zurückschauen, können wir neue Kraft schöpfen.

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Aino Salto: Imagine People As Adolescent Birds

Pop • Irascible Records

Ganz ehrlich, ich fände es auf der Welt viel cuter, wenn wir alle Vögel wären. Ich würde wohl wie eine Taube ziellos durch die Umgebung stolpern, Aino Salto weit über mir ihre Kreise ziehen. Die Musikerin Sonia Loenne liefert formvollendete Songs voller Schönheit und ernsthaften Beobachtungen ab.

«Imagine People As Adolescent Birds» wagt in sieben Liedern eine Analyse der heutigen Zeit und hat feministische und weibliche Kräfte im Zentrum. Beziehungsgeflechte, Wut und sehnsüchtig-einsame Momente stecken in den Takten. Die Musik wurde von Paul Butscher, Luzius Schuler, Tabea Kind und Eddy Sonnenschein wohlklingend eingespielt. Das macht aus dem Soloprojekt Aino Salto eine kollektive Erfahrung, Pop, Indie und Singer-Songwriter sind mit Akzepten von Flügelhorn und Kontrabass ergänzt.

«Powerlines» lässt dich schweben, «We Must Have Been Asleep» rüttelt an unserer Lethargie und «Anger» singt dir aus dem Herzen. «Imagine People As Adolescent Birds» flattert niemals verloren herum, sondern ist ein reifes, starkes Album von Aino Salto.

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mantocliff: dream dog

Pop, Rock • Radicalis Music

Nach jedem Lied ein Zwischenspiel und zu keiner Sekunde ein Ausruhen auf bekannten Mustern: «dream dog» ist nicht nur das zweite Album der Basler Band mantocliff, sondern eine Klangreise, die erarbeitet werden muss. Denn weder liefern Sängerin Nives Onori und ihre Musiker selbstgefällige Pophits, noch bleibt es zahm.

Regelmässig verbinden sich die Instrumente zu einem Sturm der Klänge, voller Ausdruck und Emotionen. Synthesizer und Euphonium, Gitarre und elektronische Gerätschaften, alles passt in diese Platte. mantocliff lassen sich nicht festmachen, dafür bieten alle Stücke zahlreiche Details und Spuren.

Das zerbrechlich-elegante «centuries» steht im Gegensatz zum wilden und Beat-durchzogenen «dust», im Titelstück glitzert der Nachthimmel und «electric Lines» steigert sich zur Offenbarung. «dream dog» wurde lange erwartet und hat in Australien seinen Anfang gefunden. Vollendet in der Schweiz, ist diese alternative Vision genauso beeindruckend, wie die Wucht von «narcissus Future».

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V.A.: I WANNA BE A SUPERSTAR VOL. 3

Experimental, Drone • CRTTR

Was lässt sich alles in drei Minuten unterbringen? Die Compilation «I WANNA BE A SUPERSTAR VOL. 3» zeigt: ganz viele Experimente und kreative Ideen. Vom Kollektiv CRTTR aus Bern initiiert, tummeln sich 17 Künstler:innen aus der Schweiz und weiteren Ländern in den 21 Tracks. Ein Sammelsurium aus Sounds, Skizzen, Versuchen und Leidenschaft.

Überhaupt, bei vielen Tracks sind nicht einmal drei Minuten notwendig, um mit Samples, elektronischen Störgeräuschen, Glitches und Gesänge eine Vision hörbar zu machen. Von Bern aus zieht die Compilation ihre sonischen Kreise und landet überall auf der Welt, mit Ambient, Drone, Experiment, Pop und Electronic. Das Gebotene ist fast schwindelerregend unterschiedlich, umso zahlreicher sind die Überraschungen.

Ein morgentliches Gespräch aus dem Balkan-Club, Fahrtwindrauschen, hallende Gitarrenloops oder wild scheppernde Beats – bei «I WANNA BE A SUPERSTAR VOL. 3» kann alles und nichts muss. Freund:innen und Bastler:innen machen zusammen Musik und werden in diesen Takten zu Superstars.

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Schwelbrand

Die Beitragsreihe bringt dir neue Musik aus der Schweiz näher, persönlich und mit emotionaler Reaktion besprochen. Alben, EPs und thematische Verbindungen; unregelmässig, immer heiss.

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