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Schwelbrand 05: Short and Sweet

von Michael Bohli • 25.02.2025

Schwelbrand bringt dir neue Musik ins Haus. Die fünfte Ausgabe widmet sich kurzen Veröffentlichungen von CAPSLOCK SUPERSTAR, Ay Wing, Laurel Bloom, Saint Stacy, waters blend und COCON JAVEL.

«Short and Sweet»? Da drückt bei mir die Vorfreude auf das Konzert von Sabrina Carpenter im März durch. Den Popstar aus den USA gibt es in dieser Ausgabe von Schwelbrand nicht zu erleben, dafür sechs andere, sehr lohnende Veröffentlichungen von Schweizer Künstler:innen. Dank der jeweiligen Länge auch super geeignet für Zwischendurch.

CAPSLOCK SUPERSTAR: ZWEI

Electro, Dance • Self-Released

Manifeste zu verfassen oder laute Diskurse zu führen ist nicht immer notwendig; manchmal reicht es aus, sieben Lieder mit grossartigen Texten anzuhören, um die Welt ins richtige Licht zu rücken. Das kann dir in der heutigen Zeit Mut machen, oder unterstreicht deine Wut. Jessica Jurassica und Mia Nägeli lassen Euphorie und Ärger zu und scheppern mit ihrem Eurodance als CAPSLOCK SUPERSTAR mächtig.

Nichts ist auf «ZWEI» sicher vor den Beats, Sounds und Worten des Duos, sehr wohl aber bieten sie in den Tracks Safe Spaces. Das Bünzlitum wird angemacht, so lange, bis Knorrli um seine dritte Säule bangen muss. Gut so, denn die Schweiz gehört nicht nur patriarchalen Idioten, sondern uns allen. Queer, laut, bunt und anders – «ZWEI» handelt davon.

«Europalalala» entlarvt unsere Bequemlichkeit und destruktive, rechtsextreme Haltung, «Helvetia» zerbröselt falsche Fantasien und horny Gedanken. CAPSLOCK SUPERSTAR sind verspielt und frech, direkt und grossartig. Von «High School Musical» zu «Detox/Toxic» geben sie mit Synthies und Bässen der Unterdrückung keine Chance. «ZWEI» ist für die Ewigkeit, besonders als Fanzine-CD-Edition. Aber sorry, muess los.

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Ay Wing: Poison Ivy

Pop, Soul • Mouthwatering Records

Ha, Sabrina Carpenter kommt doch vor, wenn auch als Erinnerung. Für mich hat das Lied «Sugar Rush» Vibes, die an den Popstar aus den USA denken lassen und genauso viel Anziehungskraft. Etwas Indie, eine Portion RnB und Soul; bei Ay Wing sind die Gefühle in allen Aspekten der Musik verankert.

«Poison Ivy» ist verführerisch, fünf Lieder in einer knappen Viertelstunde, garniert mit einem sehr gelungenen Coverfoto – passt. Die Stimme von Ay Wing steht im Zentrum der Lieder, die Melodien umgarnen den Gesang, die Instrumente halten sich zweckdienlich zurück. Dadurch erhalten die Stücke genügend Raum, einzelne Ideen und Sounds entfalten sich.

Die in Berlin lebende Zürcher Künstlerin liefert perkussive Anziehungskraft, Gitarren mit Hall und Rhythmen, zu denen wir uns fliessend bewegen. «Healing» wirkt direkt, «Spacewalker» liefert Sprechgesang und «Limerance State» besitzt die Eleganz vergangener Tage. Zum Schwelgen und Versinken.

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Laurel Bloom: Painting The Sunlight In My Room

Folk Pop • Irascible Music

Schön, wenn eine EP von der ersten Sekunde an blüht. «Blossom Boy» lässt dieses Gefühl mit Pianoklängen und dem verletzlich exponiert klingenden Gesang von Laurel Bloom entstehen. Die Melodie fällt sanft wie Blütenblätter auf den Boden, die Sonne kitzelt dich im Nacken. Bei «Painting The Sunlight In My Room» lässt du dich gerne nieder.

Laurel Bloom, bisher als Schlagzeuger von Malummí in der Szene bekannt, zeigt sich zum ersten Mal für fünf Lieder als Interpret sanfter Folk-Pop-Stücken. Dabei gelingt es im, die in EP- und Songnamen beschriebene Stimmung mit den reduzierten Liedern aufzunehmen.

Eine Gitarrenspur, das Klavier und die Stimme von Laurel Bloom, mehr braucht es nicht, um Ideen hör- und fühlbar zu machen. Das ist die klassische Tradition von Singer-Songwriter und gelingt bei «When Colors Change» oder «Riddles Of My Youth» sehr, auch der zärtliche Einsatz des Schlagzeugs fügt sich problemlos in diesem freundlichen Gefüge ein.

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Saint Stacy: Feel Like Myself

Indie Pop • Self-Released

Noch ein Debüt: Nach ihrem Mitwirken bei der Gruppe Kadebostany war es für die Musikerin Kristina an der Zeit, eigene Wege zu gehen. «Feel Like Myself» zeigt, dass dieses Vorhaben gelungen ist und stellt die erste EP unter dem Namen Saint Stacy dar.

Sieben Liedern voller unwiderstehlicher Refrains und Melodien, eingängigen Rhythmen und schönem Gesang – der Indie Pop von Saint Stacy ist modern und vermischt elektronische Aspekte problemlos mit den handgemachten Grundlagen. Das Titelstück ist stilbewusst und ein Ohrwurm, «By The Wind» bringt sehnsüchtige Bewegungen ins Spiel, «Kind Of Love» erinnert an Trip-Hop.

Zusammen mit der visuellen Gestaltung ist «Feel Like Myself» ein Pop-Werk mit überzeugender Gesamtheit und angenehm mysteriös wirkender Stimmung. Saint Stacy hören wir gerne zu und lassen uns von ihrer Stimme in neue Umgebungen mitnehmen.

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waters blend: twin existence

Liquid Pop • Mouvèment Records

Ich mag es, wenn in der Musik einzelne Tonspuren oder Instrumente zusammenwachsen und nicht mehr klar zu unterscheiden sind. Diese Klangteppiche haben eine emotional intensive Wirkung und waters blend gelingt das regelmässig auf der EP «twin existence» – nicht nur dank dem Bandnamen.

Das Quartett aus Brugg kennt sich mit Fliessbewegungen aus, kommen in der Region die Flüsse Aare, Reuss und Limmat im Wasserschloss zusammen. Die fünf Lieder auf der Platte verwandeln solche Eindrücke in Klänge um und lassen dein Herz melancholisch pochen. Gemächlich nimmt «Control» Besitz von dir, lässt das Licht auf dem Wasser glitzern und dein Blick in die Ferne schweifen.

Während 20 Minuten bleiben waters blend eine Band, die Träume in Klänge verwandelt und mit ihrem Liquid Pop den Tag verlangsamen. Das bedeutet schöne Chorgesänge, versteckte Synthesizer und weiche Perkussion; eine Umarmung in schwierigen Zeiten.

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COCON JAVEL: Put All Your Money Into Therapy

Pop, Experimental • Irascible Music

Schwierige Zeiten? Ja, aber auch ein guter Moment, um an uns selbst zu arbeiten; zum Beispiel mit einer Therapie. «Put All Your Money Into Therapy» finden COCON JAVEL und liefern auf der Debüt-EP gute Argumente dazu.

Etwa damit, dass die Musiker:innen Julie B., Athina Dill und Mélusine Chappuis mit Klang und Text den Blick nach innen und aussen richten. Liebe und Kritik finden in den vier Tracks gleichzeitig statt, eine Spur Ironie lässt sich finden, Ehrlichkeit ist das Ziel. Dazu brummt es, die Spannung wird mit den Instrumenten aufgebaut und «Je m’adore» darf während mehr als acht Minuten wirken.

Gut, wird es mit «Tell The Truth» und «Je m’adore» laut, während «Alright» genüsslich die Grooves liefert und das Titelstück im Refrain in Richtung Post-Experimental-Doom-Rock ausbricht. Stroboblitze und zitternde Synthies, laut angeschlagene Becken und Sirenengesang: COCON JAVEL spielen bewusste Musik für brennende Fragen.

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Schwelbrand

Die Beitragsreihe bringt dir neue Musik aus der Schweiz näher, persönlich und mit emotionaler Reaktion besprochen. Alben, EPs und thematische Verbindungen; unregelmässig, immer heiss.

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