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Schwelbrand 07: Fühl die Welt

von Michael Bohli • 08.05.2025

Schwelbrand bringt dir neue Musik ins Haus. Ausgabe sieben lässt uns diverse Emotionen fühlen, mit den Alben von Hilke, Alexia Thomas, LAGIOIA, Giulia Dabalà, Milune und Tim & Puma Mimi.

Du und die Welt; ein unendlicher Austausch von Empfindungen und Gefühlen. Das kann zu viel werden, mit Musik lassen sich Emotionen aber besser einordnen. Wie, zeigen dir die sechs Veröffentlichungen, die nachfolgend vorgestellt werden.

Hilke: Am I angry enough?

Electro Pop • Red Brick Records

Starten wir mit Female Rage, aber nicht in explosiv lauter Form, sondern introvertiert suchender Betrachtung. Hilke setzt sich auf «Am I angry enough?» nicht nur mit eigenen Erfahrungen zu Transsexualität und Feminismus auseinander, sondern weitet die Sicht auf unsere Gesellschaft aus.

Die Gedanken werden mit elektronischen Sounds begleitet und verstärkt, die nicht die Erde beben lassen, sondern dein Inneres erreichen. Wie in der Realität gibt es keine Perfektion, sondern kratzende Geräusche und leicht unscharf wirkende Melodien. Den zehn Tracks unterliegt eine angespannte und düstere Atmosphäre, was mich an Lord Kesseli & The Drums denken liess.

Der Gesang von Hilke fügt sich im Klangfeld ein und ergänzt die elektronisch veränderten Pianoklängen und akustisch aufgerauten Texturen. «voice» beinhaltet das Suchende, «Tree» die Verletzlichkeit und «mask» die sanfte Schwere. «Am I angry enough?» ist ein überlegtes, reifes und vielschichtiges Werk.

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Alexia Thomas: BASED ON A DREAM

Dreampop • Forcefield Records

Ich hoffe für dich, dass sich deine Träume so sanft anfühlen, wie das Album von Alexia Thomas klingt. Die Musikerin aus Basel trägt die Ausrichtung der Musik bereits im Titel und liefert mit «Based on a Dream» Dreampop voller Ideen, Sounds und angenehmer Sehnsucht. Das ist Inspiration pur.

Durch die zahlreichen Interludes ist ein spielerischer Umgang mit dem Albumformat entstanden, Lieder und Abschnitte werden geschickt eingeleitet und Experimente mit Popsongwriting kombiniert. «Welcome To Peace» und «Lost In Space» sind versteckte Hits, «The Feeling of Left Alone» und «Find your Dreams» finden den direkten Weg in dein Herz.

Elektronische und akustische Töne werden von Alexia Thomas und ihren Musikern mühelos zusammengebracht, die Musik und Texte formen ein diverses und farbiges Himmelszelt. Entstanden ist eine Einladung zur Weltbetrachtung, die mit verschlafenen Augen und wachen Ohren gleichermassen gefällt.

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LAGIOIA: brutally honest

RnB, Soul • Lauter Musik

Bist du bereit deinen Körper zu bewegen? Super, bereits wenige Sekunden von «What System» reichen aus, um dich durch das Zimmer tanzen zu lassen. Die Zürcher Musikerin LAGIOIA feiert auf ihrer Debüt-EP eine energiereiche Mischung aus Soul, RnB und Gitarrenklängen; alles, um uns heilen zu lassen.

Um intensive Emotionen und deren berechtigte Existenz geht es auf «brutally honest», der EP-Name macht klar: Schäme dich nicht für deine Gefühle. Mit ihrer ausdrucksstarken Stimme und den schönen Melodien transportiert LAGIOIA diese Botschaft mühelos in deine Seele. «One Less Soldier» ist das beste Beispiel dafür.

Wie viel Positives die Lieder von LAGIOIA bewirken können, zeigt «G Attitude» mit grossartigem Text zur Selbstermächtigung, starkem Groove und lauten Riffs. Sogar ein Gitarrensolo findet Platz, was den perfekten Gegenpol zum sinnlichen «Another Person» schafft und die EP zu einer runden Erfahrung macht.

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Giulia Dabalà: Cruda

Pop • Irascible Music

Wenn es nichts mehr zu verbrennen gibt, zündest du dich selbst an. Kein so geschickter Ratschlag, viel besser ist es doch, das Patriarchat in Flammen aufgehen zu lassen. Davon handeln «Set Fire (to Myself)» und die sieben weiteren Lieder auf dem Album «Cruda», mit dem Giulia Dabalà den Weg ihres Debüts «Gold» (2022) fortsetzt.

Ob live oder auf Platte, die Musikerin aus dem Waadtland tritt furchtlos und ungezähmt auf und liefert ehrliche und ungeschönte Tracks. Was als Pop wahrgenommen werden kann, ist eine Melange aus elektronischen Aspekten, Hip-Hop, RnB und Indie. Von Hook produziert, lassen die Lieder tanzen, die Fäuste recken und gefesselt zuhören.

«Chew Toy» begeistert rhythmisch, «Shut Up & Listen» eckt an und «Reap What You Sow» ist die perkussive Abrechnung mit unseren Privilegien. In jedem Lied auf «Cruda» hat Giulia Dabalà Wichtiges zu erzählen und kombiniert die gerechtfertigte Wut mit klanglicher Verlockung.

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Milune: Hearts Lust

Pop • Sony Music Switzerland

Queere Liebe ist das zentrale Thema des Debütalbums der jungen Popmusikerin Milune, und das zelebriert die Frau aus Zürich mit knalligen Farben, direkten Texten und unwiderstehlichen Sounds. Verstecken und Scham existieren auf «Hearts Lust» nicht.

Von ersten Crushes über sexuelle Begegnungen bis zu Herzschmerz und Trennungssorgen ist auf dem Debütalbum alles enthalten, in 13 Liedern nimmt uns Milune auf eine Achterbahnfahrt in ihr Herz mit. Zuckrige Melodien, schicke Beats und zart gesungene Worte mit klaren Aussagen formen Ohrwürmer wie den Titelsong.

Milune zeigt sich als Sprachrohr der neuen Generation, voller queerer Sehnsucht und mit vielen pinken Kleidungsstücken. Das macht Freude, wirkt ehrlich und vermengt die internationalen Einflüsse grosser Namen zu einer eigenständigen Pop-Vision. «blonde», «kissing you at midnight», «bad in bed» und «SO CRAZY CLUB» lassen dich Schmachten, Träumen und Lieben.

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Tim & Puma Mimi: More or Less Tim & Puma Mimi

Indie, Glitch Pop • A Tree in a Field Records

Entdeckungsfreude und urbane Begegnungen schliessen diese Ausgabe von Schwelbrand ab. Gemeinsam mit Tim & Puma Mimi kurven wir durch die Strassen der Städte, im Falle des schweizerisch-japanischen Electro-Duos ist der Spielplatz der Grossraum Zürichs.

Während guten 40 Minuten bieten die zwei Musiker:innen eine wundervolle Rückkehr, war es in den letzten sieben Jahren aus privaten Gründen musikalisch ruhig geworden. «More or Less Tim & Puma Mimi» erweitert das Klanguniversum der beiden mit Ideen, Instrumenten und Vibes, besinnt sich zugleich auf die etablierten Stärken.

«More or Less Tim & Puma Mimi» ist keine Compilation, sondern eine Weiterentwicklung in zwei Richtungen, die sich nicht gegensätzlich anfühlen, sondern organisch zusammenkommen. «Little Big City» ist pure Entdeckerfreude, «Bansōkō» düsteres Dröhnen und «Aka Tombo» schräge Folktronica. Schön, sind Tim & Puma Mimi wieder da; es macht zusammen weiterhin viel Spass.

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Schwelbrand

Die Beitragsreihe bringt dir neue Musik aus der Schweiz näher, persönlich und mit emotionaler Reaktion besprochen. Alben, EPs und thematische Verbindungen; unregelmässig, immer heiss.

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