von Mina Rabenalt • 04.09.2024
Eines wird mit dem Alter wirklich besser: Bewerbungsgespräche. Wobei das nicht nur durch eigene Weiterentwicklung bedingt ist, sondern der Rahmen an Dingen, die man toleriert immer festgesteckter und kleiner wird. Eine Rundreise durch die Arbeitserfahrungen folgt.
Ich hatte letztens ein Bewerbungsgespräch, was unter die Kategorie „geschmeidig“ fällt. Sympathische Personalerin, Wertschätzung beidseitig, klare Kommunikation.
Ich empfand mich als sehr lässig als es an meine Vorstellungen ging. Ich möchte 32 Stunden auf 4 Tage arbeiten und ich möchte 24 Euro die Stunde haben.
Kurz meldete sich meine innere Unsicherheit und just in dem Moment, wo das innere Gefühl der Schuld und der Angst zu viel zu fordern einsetzen konnte, kam von meinem Gegenüber ein „damit kann ich gut leben“.
Das Ding war durch und ich musste nicht einmal verhandeln, sondern habe alles bekommen was ich wollte, zusätzlich zum Feedback, dass es ein sehr schönes Gespräch war und man sich schon auf die Zusammenarbeit freue.
2010 sah das noch anders aus. Noch minderjährig wollte ich erstmal ein freiwilliges soziales Jahr machen, um zu schauen, ob es etwas Schlimmeres als meine schulische Laufbahn geben könnte. Ich bewarb mich bei einem großen sozialen Träger für eine Stelle im Kindergarten. Und wurde zerlegt.
Wie ich es wagen könne, nicht zu wissen, welche Altersgruppe ich präferiere und dass man das schon konkret mit Begründung wissen müsse. Und generell scheine ich ja nicht besonders geeignet zu sein für den sozialen Bereich, so wortkarg und verwirrt, wie ich sei.
Also die klassische Fortsetzung von meinem Schulpraktikum im Blumenladen von Freunden meiner Eltern, welches in der 9.Klasse Pflicht war. Dort war ich unbegabter mit dem Messer als die 4-jährige Tochter und ich sollte aufhören solche „Traumtänzermusik“ zu hören. Und dass ich mit 15 Jahren immer noch keinen Boyfriend habe, auch ein Skandal.
2015 kamen die Versuche eines Nebenjobs. In einem Zeitungswerk per Mail beworben und dann direkt genommen und Startzeit erhalten. Dort erschienen, gab es keine Einarbeitung oder irgendwas, außer von einer alten Kettenraucherstimme gemaßregelt zu werden, wie langsam ich sei.
Und danach zum Bus verfolgt zu werden von einem Mitarbeiter. Ich bin da nie wieder hingegangen.
Ähnliches Prozedere in der großen Hostelkette, wo ich die Nachtschicht für 3 Monate rockte und auch nach Bewerbung einfach zum Start hineingeworfen wurde. Es ist so faszinierend, wie wichtig es diesen ganzen Unternehmen ist, dass die Drecksjobs für wenig Geld gemacht werden, aber das Erstaunen so groß, dass man dafür einige Informationen bräuchte.
Ich habe mir das Buchungssystem und das Mixen von schlechten Cocktails da am Empfang selbst beigebracht und möchte mich bei jedem Menschen entschuldigen, der von mir ein Bier gezapft bekommen hat.
2016 wieder mal bei einem sozialen Träger, bewarb ich mich für die Nebentätigkeit als Einzelfallhelferin. Ich war nervös und hatte Angst, ob zur Sprache kommt, dass ich so viele Dinge maximal 3 Monate gemacht habe und auch meine schulische Laufbahn sehr unstet erschien.
Es zählte, dass ich überhaupt irgendetwas mit Menschen vorher gemacht habe, da die meisten Bewerbenden quereinsteigen und nicht mal ein Führungszeugnis benötigen. Also direkt den herausforderndsten Fall bekommen.
2020 begann eine neue Ära mit Abschluss. Erwerbstätigkeit here I am! Unterlagen beim ehrwürdigen Krankenhaus bezüglich einer sehr anspruchsvollen Stelle eingereicht und Bewerbungsgespräch noch in der Prüfungsphase getreu dem Motto «Fake it untill you make it» absolviert. Ich wurde getestet, ob ich das Klientel aushalte. Mir wurde die kleine Kammer im hintersten Eck des Hauses stolz gezeigt, wo ausschließlich Bastelmaterialien gebunkert wurden. Und danach musste ich ein Quiz absolvieren, wie sehr ich die Ärztin und ihre eigens verfasste Literatur kenne, die sie mir zeigte und darauf bestand, dass ich mir diese zulege.
Und wenn ich Interesse hätte, könnte ich mich ja auch einbringen in die Weiterentwicklung ihres Ansatzes.
2021 bin ich mal wieder geflüchtet nach 3 Monaten und seitdem in der wunderbaren Welt der Privatwirtschaft abgetaucht. Ein angenehmes Bewerbungsgespräch in einem Praxisfranchise, wo strukturiert alles beleuchtet wird und ich mit 16 Euro Stundenlohn das fordere und bekomme, was der Standard im Unternehmen nach der Probezeit ist.
2023 wurde ich von zwei Praxen simultan gefragt, ob ich die Leitung der Ergotherapie übernehmen möchte, und ich verstand zum ersten Mal, dass auch hier der Fachkräftemangel angekommen ist. Von 40 zu 34 Wochenstunden herunter und fast 300 Euro mehr auf die Hand. Beide Bewerbungsgespräche ähnlich verlaufend, hörte ich viel zu und notierte mir die relevanten Infos. Ich erfragte Benefits wie die finanzielle Übernahme von Fortbildungen und dem Deutschlandticket und war die, die am Ende festlegte, wann ich mich zurückmelde bezüglich einer Zu- oder Absage. Ich hatte ja noch eine andere Stelle, die ich mir angucken und mit diesen Konditionen vergleichen müsse.
Da wurde mit Duftkerzen und 1000€ Willkommensbonus nur um sich geworfen.
Von daher, die Zeiten der Dankbarkeit für eine Arbeitsstelle sind im medizinischen Bereich vorbei. Ich bin absolut bereit, dass dies branchenübergreifend ein kollektives Gefühl wird.
Egal ob Niedriglohnsektor, keinen Abschluss oder mit Medaillen ausstaffiert: Die Arbeitswelt ist auf dich angewiesen und muss dafür den Arsch hochbekommen, so dass du dort gerne verweilen möchtest und arbeitsfähig bleibst.
Amt sagt natürlich etwas anderes und macht einem das Leben zur Hölle. I know.
Wenn ihr Wunschthemen, Anregungen und Pöbeleien habt oder in den Genuss der Superpower des Weltbeste-Mixtapes-Machens kommen wollt, dann sendet eine Nachricht an:
Über Mina Rabenalt
Mina Rabenalt wurde geboren in Berlin Friedrichshain im Jahre 1993. Aufgewachsen an der Warschauer Brücke und an der Rummelsburger Bucht, war sie schon immer da, bevor es cool wurde und man es sich nicht mehr leisten konnte. Sie arbeitet derzeit als Therapeutin.
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