von Mina Rabenalt • 14.08.2024
Ich dachte immer, das System sei das Problem. Arbeit ist Stressfaktor Nummer eins und wenn ich nicht so viel lohnarbeiten müsste, dann… was dann? Dann wäre ich entspannt, ausgeglichen und hätte Zeit für Hobbys und Leidenschaft. Ich würde wahrlich erblühen und könnte mich den ganzen Tag kreativen Impulsen widmen.
Der Schock der Kündigung saß tief und rührte in vollkommen ungeahnten Tiefen doch einiges durcheinander. Es war mir klar, dass ich regenerieren musste. Es war mir klar, dass ich erst nach der letzten erforderlichen Krankschreibung und nach Erhalt meines letzten Gehalts loslassen kann. Womit ich nicht rechnete, war wie sehr mir doch der Wegfall einer bezahlten Arbeit den Spiegel vor das Gesicht halten würde.
Ich bin eine raue Berliner Pflanze, die alles rocken kann und jede Herausforderung annimmt, immer hilfsbereit, immer engagiert. Warum?
Ich habe nicht die Kapazitäten. Ich habe keine Energie und trotzdem übernehme ich spontan noch die Leitung für einen Abend der radikalen Therapie oder die Leitung für ein freies Training beim Bogenschiessen.
Waaruum?
Ich habe Albträume. Meine Woche ist genauso voll wie als berufstätige Person zuvor. Die Tage fühlen sich genauso lang an und ich betreibe weiterhin kaum Aktivitäten, die mich glücklich machen.
Von Arzty zur Therapie zur Kinderbetreuung zum Arbeitsamt zur Katzenbetreuung zu Freundschaftsdienst. Und im Gepäck ein Gefühl der Trauer und der Wut.
Trauer, dass ich nicht genug bin. Wut, dass ich obwohl ich doch 1000 Prozent gebe, nicht immer die emotionale Rückmeldung erhalte, die ich mir wünsche. Und diese Bewertung nehme ich in allen Lebensbereichen vor.
Waaaaruuuuum?
Ich sehe mich im losgelösten Alltag jenseits meiner gewöhnlichen Normalität und immer mehr sehe ich den Schutzpanzer der Vorkasse der emotionalen Leistungserbringung. Sehe wie er von mir abbröckelt.
Ich muss nicht viel leisten, um dann vielleicht ein bisschen geliebt zu werden.
Mein Körper glaubt mir noch nicht recht, dass ich jetzt nicht mehr Erwartungen enttäuschen werde und nichts an dem Fakt rütteln kann, dass ich geliebt werde.
Ich spüre immer wieder innere Widerstände. Den Drang etwas zu schenken, sofort auf alle Nachrichten und Gesuche eingehen und weltbeste Events planen. Aufmerksamkeit immer nach Aussen gerichtet.
Die eigene Gefühlswelt nur über Handlungen für andere regulieren. Selbstlos handeln im Tausch für Selbstwert. Einen anderen Menschen begleiten für das Abklingen der inneren Taubheit.
Und genau da taste ich mich langsam hinunter. Pikse ins Fleisch und schaue, ob es doch nicht so vernarbt und hoffnungslos starr ist, wie es manchmal scheint.
Der August wird mein arbeitsloser Entspannungsmonat. Ich erlaube mir da mal genauer hinzuschauen und weiter zu forschen.
Wenn ihr Wunschthemen, Anregungen und Pöbeleien habt oder in den Genuss der Superpower des Weltbeste-Mixtapes-Machens kommen wollt, dann sendet eine Nachricht an:
Über Mina Rabenalt
Mina Rabenalt wurde geboren in Berlin Friedrichshain im Jahre 1993. Aufgewachsen an der Warschauer Brücke und an der Rummelsburger Bucht, war sie schon immer da, bevor es cool wurde und man es sich nicht mehr leisten konnte. Sie arbeitet derzeit als Therapeutin.
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