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Mina R. #02: Warum ich Touristys* verachte und definitiv nicht dazugehören möchte.

von Mina Rabenalt • 07.06.2023

Egal, in welchen Winkel der Welt du flüchtest, ein deutscher Reisender wird dich finden. Ich hasse es.

Wenn ich zu meiner Gynäkologin gehe, soll ich immer ein Handtuch mitnehmen, welches ich auf den Untersuchungsstuhl lege, wie ein Profi-Alman auf Mallorca am Strand. Dabei entsteht ein Gefühl von peinlicher Berührtheit, welches ich in dem Maße sonst ausschließlich im Ausland habe, sobald ich als Kartoffel enttarnt werde.

Anhand meiner letzten Reise möchte ich nun die 2 Archetypen meiner gebündelten Antipathie präsentieren:

1. Torsten aus Stuttgart

Torsten ist Mitte bis Ende dreißig und arbeitet trotz seiner Aura eines Vollzeit-Waveboarders in einem langweiligen und soliden Bürojob. Er ist, weil er ohne Vater aufgewachsen ist, zutiefst verunsichert, wie er seine eigene Männlichkeit finden soll. Er hat Angst, dass seine Sensibilität mit Homosexualität verwechselt wird, deswegen ist er halt schon seit 5 Jahren mit Tanja zusammen, der er die Welt erklären kann und an deren Seite er sich kompetent und mächtig fühlt. Die Maus mit ihrem Doktortitel war halt noch nie auf so einem Abenteuertrip, und er hat die Zeit genutzt und sämtliche Reiselektüre in handfestes Wissen umgewandelt.

Da kann man schon ungefragt im Bus beginnen, für alle die Peripherie zu beschreiben und mit Anekdoten von Land und Leutys auszuschmücken.

Torsten möchte als Mann von Welt aber unbedingt noch von anderen als geiler Hecht wahrgenommen werden. Am liebsten von Menschen mit Brüsten. Also stellt er sich in der Raststätte ungefragt neben zwei von dieser Spezies und sagt lässig mit einem Augenzwinkern: «Was für ein Wetter!»

Torsten, du weißt, welches Wetter zu dieser Jahreszeit in dieser Region herrscht! Dann fahre halt nicht hin.

Und frage nicht panisch, wie viel die anderen für dieselbe Busfahrt gezahlt haben.

Tief in deinem Herzen weißt du, dass du dir, ohne mit der Wimper zu zucken, hier alles leisten kannst – aber die Sehnsucht, weniger als alle anderen zu bezahlen, überwiegt am Ende eben.

2. Justus Alexander, der fürs BWL-Studium natürlich nach Berlin ziehen wird

Justus Alexander ist gerade volljährig geworden und kommt aus gutem Haus. Seine Eltern finanzieren selbstverständlich seinen Asientrip, damit er danach in die Fußstapfen von Opa und Papa tritt. Ein Jahr Abenteuer gönnen wir dem Burschen, aber dann kommt der Ernst des Lebens. Hoffentlich bringt er dann ein liebes Mädchen mit nach Hause. Mama wünscht sich so sehr Enkelkinder und findet, es sei an der Zeit, dass eine andere Person seine Wäsche waschen und ihren Goldjungen tagtäglich bekochen sollte.

Justus Alexander hat sich zu Beginn der Reise direkt einen Reishut geholt, nachdem er einmal eine Führung über ein Reisfeld im Internet gebucht hat. Diesen wird er noch stolz auf dem Abreiseflughafen tragen, aber in Deutschland angekommen, nimmt er ihn ab, weil er ihn dann plötzlich als lächerlich empfindet.

Er fühlt sich on the road dermaßen verbunden mit den Asiatys, dass er im Gespräch mit Torsten so Formulierungen wie «Ja stimmt, der Asiate ist ja eher [rassistisches Stereotyp 1-100], das kann ich dir sagen! Ich habe das hier schon 2x erlebt!», äußert.

Später wird er ungefragt bei jeder Homeparty jeder Lina, Lara oder Anna erzählen, wie sehr dieser Trip ihn auf der persönlichen Ebene weiterentwickelt hat und dass er nun den Sinn seines Lebens gefunden habe, jetzt, wo er die Armut mit eigenen Augen gesehen hat. Am faszinierendsten fand Justus Alexander, wie glücklich die Bevölkerung trotz ihres Lebensstandards wirkte. Dann beendet er seinen Erfahrungsbericht immer mit dem Vorsatz, weniger konsumieren zu wollen.

Natürlich gibt es noch viele andere furchtbare Erscheinungen touristischer Natur und Mischformen, irgendwo zwischen alkoholisierten Gruppen, die in Babysprache die Einwohnys anschreien, weil die ja so schlecht Englisch sprechen, und ekelhaften Personys, die erwarten, dass alle ihre Sprache sprechen und hofiert werden wollen, weil sie innerlich wohl Majestäty der Welt sind und gar keine Lust haben, ihre Kolonialvergangenheit kritisch aufzuarbeiten.

Keine Liebe dafür, ey.

*In diesem Text wird nach Phettberg entgendert, deal with it!

Soundtrack zur Lesebegleitung:


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Über Mina Rabenalt

Mina Rabenalt wurde geboren in Berlin Friedrichshain im Jahre 1993. Aufgewachsen an der Warschauer Brücke und an der Rummelsburger Bucht, war sie schon immer da, bevor es cool wurde und man es sich nicht mehr leisten konnte. Sie arbeitet derzeit als Therapeutin.

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