von Mina Rabenalt • 05.07.2023
Wer einmal in Berlin war, weiss: Wenn man sich auf den Straßen tummelt, ist es ein Kampf von tausenden Einzelkämpfys. Glücklich vereint im Aggressionspotenzial treffen sie sich täglich, um sich gegenseitig den Tag zu versauen. Ich will einfach nur überleben.
Meine älteren Patientys finden es komisch, dass ich eine 4-Tage-Woche habe. Sie wünschen mir jede Woche am Donnerstag ganz pflichtbewusst eine schöne Erholung und fragen mich regelmäßig, ob das Geld für den Monat reicht. Sie fragen mich auch regelmäßig, ob ich eine Fahrerlaubnis besitze, und sind jedes Mal von meinem Verneinen überrascht bis pikiert.
Ich weise dann immer auf meine kurze Karriere als Rennfahrerin bei «Need for Speed Underground» auf der Playstation 2 hin, wo ich mich aus der verkehrstüchtigen Perspektive schon damals als Totalausfall herausstellte. Und ich hatte nie das Geld noch die Ambitionen für den Schein.
Fahrräder waren hingegen immer mit Beinkrämpfen, wenn man versucht aufzusteigen, verbunden. Oder damit, dass ich einmal in der Grundschule verschlafen hatte und somit den Wandertag zur Prüfung für das sichere Fahren eines Gefährts inklusive Regelwerk verpasst hatte. Ich saß einige Stunden mit dem verwegenen Baggyjeans-unter-der-Unterhose-Träger, der alle furchtbaren Aggro-Berlin-Lyriken von sich geben konnte, im leeren Klassenraum. Wartend und peinlich berührt.
Offiziell also nie als verkehrstauglich gesegnet, erhielt ich vor einigen Jahren den Auftrag, auf das Fahrrad eine Freundin aufzupassen.
Vorsichtig näherte ich mich dem blauen Retrochiller und erkannte schnell, dass ich viel Zeit und Nerven darauf sparen kann.
Ich wusste jedoch nicht, dass an so vielen Stellen mit dem Tod zu rechnen ist.
Die Unfälle kamen schnell. Zuerst aus Unwissen bezüglich der Infrastruktur in Form von Straßenbahnschienen, in die ich perfekt hineinglitt, während ich Ausschau hielt, ob aus der Nebenstraße ein Auto auf mich zukommen könnte. Dann aus reiner Machtdemonstration, wo ich eine Brücke herunterfuhr und, nach Blickkontakt, sich die fahrende Person dafür entschied, mich lieber anzufahren. Glück im Unglück war da mein Sport. Im ersten Fall wurde ich direkt mitsamt Gefährt von einer Person vom Asphalt gekratzt und sowohl körperlich sehr gut versorgt als auch technisch wieder startklar gemacht. Im zweiten Fall wurde nur mein Hinterrad angefahren, da ich noch schnell beschleunigte.
Der Mensch stieg aus, nachdem ich durch eine bremsenartige Verkeilung irgendwie ohne Schaden zum Stehen gekommen bin. Er ging ungefragt an das Rad und begann dieses auseinanderzubiegen. Dann wollte er mir 50 € geben und gehen. Auch mit der Polizei wollte die Person diskutieren, aber die befand ihn eindeutig für schuldig. Beim Austausch der Versicherungsdaten wurde mir gesagt, dass das alles ja nicht passiert wäre, wenn ich einen Führerschein gehabt hätte.
Als gäbe es nicht Menschen, die sowohl ihr Leben als laufende, Fahrrad fahrende und Auto fahrende Person bewältigen. Also ich jetzt nicht, weil unfähig. Aber ich schwöre, ich fahre so sozialverträglich wie möglich und will doch nur meine Ruhe. Und trage seit dem Arbeiten auf einer Wachkomastation immer Helm und zeige brav im Straßenverkehr, was ich so gerne machen möchte. Und ich werde trotzdem ständig blöde angekackt. Von allen Gruppierungen von Verkehrsteilnehmenden.
Können wir uns nicht einfach auf ein sinniges Feindbild einigen? Infrastruktur in Berlin sucked doch eh für alle. Dann lieber, wie feine Menschen das halt so tun, Nazis hassen. Ist doch nicht so schwer, Kinders.
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Über Mina Rabenalt
Mina Rabenalt wurde geboren in Berlin Friedrichshain im Jahre 1993. Aufgewachsen an der Warschauer Brücke und an der Rummelsburger Bucht, war sie schon immer da, bevor es cool wurde und man es sich nicht mehr leisten konnte. Sie arbeitet derzeit als Therapeutin.