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Dinge gibt’s, die kann man sich nicht ausdenken

von Mina Rabenalt • 04.12.2024

Kennt ihr diese Momente, wo man sich in eine ganz andere Abteilung der Realität zwangsversetzt fühlt? Ich habe da mal wieder ein Selbstexperiment gewagt.

Ich habe ja vor einiger Zeit mich dazu entschieden, mich von meiner Tante, die meine Mama ist, adoptieren zu lassen. Nach einigen Nachreichungen bei der Notarin kam es an einem wunderschönen Mittwoch dazu, dass wir beide den Antrag für das Familiengericht unterzeichnen durften. Wir waren essen und es fühlte sich so heilsam an. Am Ende des Tages musste ich es noch mit einem Antrag an meinen Partner krönen.

Endlich dort sein, wo ich willkommen bin. Endlich mich zugehörig und sicher fühlen. Doch eine Verkettung von Umständen führte zwei Tage zuvor dazu, dass ich mich in einem billigen Trashfilm wiederfand.

Zwei Tage bevor ich mich final dazu entschied, auch juristisch meine Wurzeln zu verbannen, begegne ich doch tatsächlich meinem Vater. 3 Jahre nach meiner endgültigen Funkstille.

2021, wo ich schwanger wurde, und mein Kind verlor.
2021, wo ich von zahlreichen liebevollen Nachrichten gehalten wurde.
2021, wo meine Eltern mir in einer SMS mitteilten, dass man da ja auch nichts machen könne.
2021, wo ich ihnen einen letzten Brief schrieb und Kopien von adäquaten Nachrichten bei einer Fehlgeburt noch ausgedruckt beifügte.
2021, wo ich für immer mit ihnen brach und es mir seitdem so gut im Leben geht.

Und natürlich fuhr ich abends mit dem Bus nach Hause, den mein Vater lenkte. Und natürlich kam mir diese Stimme bekannt vor, aber ich wollte einfach nur nach Hause, wo mein Partner mit einer Pizza im Ofen wartete.

Und natürlich geschieht auf der Fahrstrecke ein Unfall, so dass der Bus eine Umleitung fahren muss und ich dann gestrandet an einem vollkommen fremden S-Bahnhof von ihm beim Aussteigen wahrgenommen werde.

Und natürlich bleibe ich wie angewurzelt auf dem Gehweg stehen, um meine Route für 20 Minuten Fußweg bereit zu machen.

Und natürlich spricht er mich an.

Voller Freude mit meinem ersten Vornamen, den ich seit Jahren nicht mehr verwende.
Ich korrigiere ihn und er lacht und nennt mich mit beiden Namen in der Verniedlichungsform.
Ich kann ihn nicht angucken. Will einfach nur rennen.

Er redet auf mich ein mit einer guten Laune, als hätten wir uns letzte Woche zum Kaffee getroffen.
Er wiederholt nochmal die Absage aus dem Bus, löchert, wo ich hin möchte, und gibt mir ungefragt Ratschläge.
Ich sage, ich werde laufen.
Er fragt zum 4x Mal, wo ich hin müsse.

Ich antworte nicht, stehe da wie ein ausgesetzter Hund, der so lange wartet, bis er endlich abgeholt wird aus dieser Situation.
Und dann fällt ihm nichts mehr ein.
„Und, geht es dir gut?“
„Ja.“

Und dann rannte ich an dem Unfallort vorbei nach Hause.

Es fühlte sich an, als hätte ich einen Geist gesehen.
Als würde ich noch schlafen.
Erst zwei Tage später spürte ich die Wut.

Wie kannst du es wagen, mich einfach anzusprechen?
Wie vermessen bist du, dass dein Anblick mich erfreuen könnte?
Wer gibt dir das Recht, so zu tun, als wäre alles zwischen uns in Ordnung?
Was ist daran so schwer, jemanden respektvoll und feinfühlig zu begegnen und den richtigen Namen zu verwenden?

Fuck you.
Stirb einsam und traurig.

Raus.
Aus.
Meinem.
Leben.

Soundtrack zur Lesebegleitung:

1. Childish Gambino – Real Love
2. Folterkammer- Anno Domina
3. Poppy – Anything Like Me
4. Zeal & Ardor – The bird, the Lion & the Wildkin
5. Sugababes – In the middle


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Über Mina Rabenalt

Mina Rabenalt wurde geboren in Berlin Friedrichshain im Jahre 1993. Aufgewachsen an der Warschauer Brücke und an der Rummelsburger Bucht, war sie schon immer da, bevor es cool wurde und man es sich nicht mehr leisten konnte. Sie arbeitet derzeit als Therapeutin.

Alle bisherigen Kolumnen findest du hier.

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