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Die Vorteile des halbjährlichen Handyzerstörungswurfs

von Mina Rabenalt • 05.03.2025

Du kannst die Uhr nach Stellen. Nach einem Jahr passiert es. Immer wieder. Eine Unachtsamkeit und das Endresultat ist ein kaputtes Display oder mehr. Mein persönlich offensichtliches Symptom im Leben mit ADHS.

Scham ist ein großes Thema, welches ich im Alltag sehr gerne wegsperre. Zum einen durch Perfektionismus, der in den meisten Fällen ja auch erfolgreich dafür sorgt, dass man nicht kritisiert wird. Und sich demnach nicht mit dem Gefühl des Nichtgenugseins auseinandersetzen muss.

Ich versuche die weltbeste Pädagogik beim 7-jährigen anzuwenden. Ich versuche qualitativ hochwertig und unfehlbar als Therapeutin zu arbeiten. Ich versuche so intensiv und bemüht eine gute Partnerin zu sein und habe für jedes Problem eine Lösung.

Wenn ich trotzdem keine Wertschätzung oder sogar Kritik erfahre, dann rotiert der Strudel an Vorwürfen und Minderwertigkeitsgefühlen aber gewaltig im Kopf herum.

Dasselbe wenn ich es jedes verdammte halbe Jahr schaffe, mein Handy herunter fallen zu lassen. Der Bildschirm vollkommen im Eimer, habe ich mir über die Jahre den Skill angeeignet selbstständig das Display tauschen zu können. Gesagt, getan. Display wieder intakt. Ab da konnte man das Handy nur nicht mehr laden. Ich war enttäuscht und so sauer auf meine nicht besser werdende Dummheit. Ich lerne einfach nicht dazu.

Das alte Tastentelefon wurde wieder herausgekramt, das Handy in die Reparatur eingeschickt und eine neue Hülle mit Band zum Umhängen bestellt. Ich fühlte mich wie ein Kind. Stur, unbändig und nicht lernfähig. Immer wieder dieselben Fehler machend. Sie innere Stimme mich immer wieder tadelnd. Und deswegen gesellte sich über die Jahre neben die Perfektion noch die Vermeidung.

Wenn ich etwas mache, was ich sowieso nicht gut genug mache, dann lasse ich es lieber sofort bleiben. Ansonsten werde ich ja kritisiert.

So erlaubte ich mit über die Jahre eigentlich nur noch passive Aktivitäten und wurde Kellerkind und Filmnerd. Bewerten von Künsten der anderen fühlte sich sicherer an. Die ganze Zeit vor Social Media sitzen und schauen und fühlen und antworten fühlte sich sicherer an.

Die Hürde in mir wuchs zu einer sehr bruchfesten Barriere, die stetig dafür gesorgt hat, dass ich mich nie zu 100 Prozent getraut habe, meine ganze Persönlichkeit und meine gesamte Leidenschaft in etwas zu stecken, was von Außen vielleicht kritisiert oder bewertet wird. Lieber die sichere Route oder nur einen Funken von dem eigentlich Gewitter in mir hineinstecken. Ansonsten fliegt ja auch auf, dass eh alles mehr Schein als Sein ist. Ich alte Hochstaplerin.

Darauf habe ich keinen Bock mehr.

Diese Taktiken waren wichtig. Sie haben mich Jahrzehnte geschützt vor Spott und Hohn. Aber was bringen sie mir jetzt? Nichts. Ich muss mich vor den Menschen, die sich um mich herum freiwillig gesammelt haben, nicht mehr schützen.

So steigerte sich in der Ära des Tastentelefons nicht nur die Lesezeit im öffentlichen Raum und zuhause deutlich, sondern ich begann meiner Umgebung einfach Zeichnungen zu zeigen und kommentieren zu lassen. Immer und immer wieder. Und ich bin nicht davon gestorben. Auch wenn es sich fast jedes Mal dabei so angefühlt hat. Aber es wird immer besser.

Und ich habe einen Pakt mit einer Freundin geschlossen. Wir jubeln uns und unseren Projekten zu. Jede Woche. Und setzen Ziele. Geben Rückmeldung und Ideen rein. Nehmen diese an. Zelebrieren es. Und ich spüre Motivation und Aufregung wie noch nie bezüglich der Dinge, die mir doch eigentlich Spaß machen im Leben.

Da möchte ich weiter hineinspüren.
Sicherheit erfahren.
Das ist der Plan.

Soundtrack zur Lesebegleitung:

  1. Mia Morgan – (spielen mit den grossen) Jungs
  2. Team Scheisse – Lok
  3. Mariybu – lass mich gehen
  4. The Prodigy – Firestarter
  5. Anime Allstars – Ich werde da sein (Digimon)

Wenn ihr Wunschthemen, Anregungen und Pöbeleien habt oder in den Genuss der Superpower des Weltbeste-Mixtapes-Machens kommen wollt, dann sendet eine Nachricht an:

Über Mina Rabenalt

Mina Rabenalt wurde geboren in Berlin Friedrichshain im Jahre 1993. Aufgewachsen an der Warschauer Brücke und an der Rummelsburger Bucht, war sie schon immer da, bevor es cool wurde und man es sich nicht mehr leisten konnte. Sie arbeitet derzeit als Therapeutin.

Alle bisherigen Kolumnen findest du hier.

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