von Mina Rabenalt • 08.10.2025
Wenn man allein auf ein Konzert geht, dann bemerkt man recht schnell, was für eine Biodiversität die Öffentlichkeit zu bieten hat. Schauen wir uns fürs Hirn gut verdaulich die Negativbeispiele an. Macht ja auch am meisten Spaß sich aufzuregen.
Ich habe mich letztens nach einer sehr ereignisreichen Woche mit einem Konzert belohnt. Ich war bei The Horrors und habe gefeiert, dass sie 20-jähriges Bandjubiläum haben. Einige Tage vorher habe ich in der Goldenen-Kompass-Trilogie ein ausgedrucktes Bild von der Band als Lesezeichen gefunden. Damals noch Zahnstocherbeinchen in engen schwarzen Jeans und traurige Gesichter in Kajal gebettet. Was war ich verknallt.
Und da stand ich in Nostalgie gehüllt, hatte nach Eintreffen direkt einen Bondingmoment mit einer Frau, die mir ein Kompliment für meine Haarspangen gemacht hat. Ich war voller Liebe. Und dann kam Jutebeutel-Johannes, der mich zu dieser Reflexion über meine Top 10 of Hate durch seine Präsenz inspirierte. Gehen wir mal rein…
Jutebeutel-Johannes kommt erst nach der Vorband zur Venue und drängelt sich bis zur 3. Reihe vor. Eher seitlich rechts, parkt er sich in noch so kleine Lücken und steht da: Oberlippenbart, Pädophilenbrille, enge Jeans, möglichst Schwarz, Sonic-Youth-Shirt und Jutebeutel vom Undergroundplattenladen (der nischige, nicht der kommerzielle, hippe!) eng an den Körper gepresst. Auf der anderen Seite das Handy griffbereit. Denn dann, wenn die Band beginnt, wird es gezückt. Nicht für Erinnerungsstücke, nein, dann wird Kleinanzeigen geöffnet und fleißig nach antiken Möbeln geschaut. Simultan werden die Lieblingsmöbel mit Freundys geteilt und es beginnt ein lebhafter Austausch unter den Leuten in der Gruppe.
Ich stehe daneben und frage mich in solch Situationen, die ich weder sachlich noch emotional nachvollziehen kann, regelmäßig: WARUM?
Du könntest auch zuhause auf der Couch sitzen mit einem heißen Tee und im Kuschelanzug. Da sehe ich mich auch nach Schätzen bei Kleinanzeigen stöbern. Heutzutage bezahlst du ja teuer Geld für ein Konzertticket. Und auch The Horrors gibt’s für ganze 30 Euro. Und da gehen ja auch Menschen hin, für die bedeutet es die Welt diese Band live sehen zu können.
WIESO MUSST DU DICH NACH VORNE DRÄNGELN UND DIESEN MENSCHEN DIE SICHT MIT DEINEM HANDYDISPLAY UND DEN DAZUGEHÖRIGEN AKTIVITÄT VERSPERREN? Warum Johannes?
Das Paar-Paar liebt es auch sich kurz vor knapp nach vorn zu drängeln. Am liebsten frontal vor der singenden Person, erste Reihe. Während der Wartezeit sind sie meist unauffällig. Es sind Küsse und Streicheleinheiten zu beobachten, aber es wird sich primär zivilisiert unterhalten. Meist sind auch in Gemeinsamkeiten im Outfit ersichtlich, die die Symbiose noch zusätzlich untermauern.
Dann die Wesensveränderung. Die Musik beginnt und der Schalter wird umgelegt. Eine Person dreht den Rücken zur Bühne, sie stehen eng umschlungen gegenüber und es wird versucht eine Sexszene aus einem Hollywoodfilm nachzuspielen. Man spürt wie unwiderstehlich sich beide fühlen, während ihnen Sabber vom Mund tropft und sie die Musiker*innen als Dienstleistungssoundtrack ihrer weltbewegenden Liebesbeziehung sehen. Es wird viel gegrabbelt und unter die Klamotten gefasst und es macht sich bei allen anderen Anwesenden umher ein so tiefes Peinlichkeitsgefühl breit. Klassiker wie „Nehmt euch doch ein Zimmer!“ schießen durchs Gehirn während man versucht beim Blick nach vorn zur Bühne einen blinden Fleck beim Standort des Paar-Paares zu entwickeln.
Betrunkene Frauenkonstellationen strahlen zwar nicht die Gefahr aus wie ihr männliches Pendant, können einem aber auch hervorragend ein Konzert vermiesen. Man steht vor der zweiten Absperrung im Stehbereich. Man tanzt den Körper durch, singt mit und hat sogar einen kleinen Radius an Bewegungsfreiheit, ohne an andere Körper zu kommen. Mitten in der Setlist kommt die Girlsquad und quetscht sich vor dich, während sie dabei lallend fragt, ob das so fein wäre. Die Antwort wird nicht abgewartet. Es wird so ausufernd getanzt, dass man immer weiter in die Masse hinter einen gedrängt wird, die meist nicht besonders nachgiebig ist. Mein persönlicher Killer dann: Integration in die Girlsquad. Sie tanzen mich an, um davon abzulenken, dass ich wie ein Ping Pong ständig von A nach B pralle.
Sie machen ihre ritualisierten Grimassen fürs Foto, ihre Geräusche und Ausrufe und beginnen mich zu berühren oder fordern auf zum Mitmachen. Ich möchte das nicht. Ich habe ganz viele tolle Menschen um mich herum, die mich sehr gerne berühren dürfen und mich jederzeit zum Mitmachen animieren können. Ich brauche dazu keine Girlsquad.
Ich habe gelernt, dass man Frischfleisch ist, wenn man vor einem Konzert in einer Warteschlange verharrt und es ersichtlich ist, dass man als Einzelperson dort verweilt. Während eine Absage einfach ist, wenn (betrunkene) Herren fragen, ob sie sich zu einem gesellen können, weil die Schlange erst da hinten endet, macht das Pick-Me-Girl einen perfideren Move. Sie kommt an und suggeriert Schutz vor weiteren Menschen, die es ausnutzen wollen, dass ich schon so lange brav in der Schlange warte, so dass ich relativ weit vorne verortet bin. Sie verwickelt mich direkt in ein Gespräch, wirkt zugewandt und bietet mir direkt an mich mit zu ihren Freundys, die schon drinnen sind, bekannt zu machen.
Sie fragt nach meiner Arbeit, schaltet aber direkt ab, da Gesundheitswesen nicht so cool ist und erzählt stattdessen begeistert von ihrem beruflichen Start bei einem großen Onlinegeschäft für Kleidung und Schuhe. Wie hart sie es dort hat als FLINTA und mit Migrationshintergrund. Wie sie aber jetzt wenigstens nicht mehr mit den Öffentlichen zur Arbeit fahren muss, da ihre Eltern ihr ein Auto besorgt haben. Nett.
Dann treten wir ein in die Konzertvenue und ohne eine Verabschiedung oder Dank schreitet sie von dannen. Ich beobachtete, wie sie sich in der Garderobenschlag mithilfe ihres Augenaufschlags ganz nach vorn säuselt und danach sich bis in die erste Reihe flirtet, wo dann ihre Freundys warten.
Selten habe ich mich so benutzt gefühlt.
Es ist ja allgemein bekannt, dass vor der Bühne meist die Post abgeht. Im besten Falle sind die Menschen dort Hüpf- und Mosh-Pit-erprobt und haben Lust gewaltfrei und rücksichtsvoll körperlich zu eskalieren. Das ist im besten Fall pure Ekstase. Mich fand man früher, als ich noch jung war, immer dort, jetzt findet man mich häufig dort. Was jedoch magisch mich ansieht, ist der Fels in der Brandung. Ich stehe im Getümmel, habe Bock auf Konzertsport und dann steht er vor mir: Ein Typ, meist groß gewachsen, mit breiten Schultern und verschränkten Armen. Und egal wie sehr alle um ihn herum ausrasten, er bleibt bewegungslos stehen. Er schneidet mich komplett vom Geschehen ab und ich bin für das erste Drittel der Show damit beschäftigt aus dem Schatten des Fels treten zu können, um dahin zu kommen, wo der Mob tobt.
So, und jetzt, wo ihr vor Spannung fast platzt, folgt nun der erste Cliffhanger in der Geschichte des Phosphor Magazins.
Werdet ihr es aushalten nicht zu wissen, wer noch auf Platz 6 bis 10 lauert? Hier endet Teil 1 und ihr dürft jetzt einen Monat hibbelig auf dem Stuhl hin und her rutschen oder die Aufregung mit Spontankäufen oder Emails an mich vertreiben. To be continued.
Wenn ihr Wunschthemen, Anregungen und Pöbeleien habt oder in den Genuss der Superpower des Weltbeste-Mixtapes-Machens kommen wollt, dann sendet eine Nachricht an:
Über Mina Rabenalt
Mina Rabenalt wurde geboren in Berlin Friedrichshain im Jahre 1993. Aufgewachsen an der Warschauer Brücke und an der Rummelsburger Bucht, war sie schon immer da, bevor es cool wurde und man es sich nicht mehr leisten konnte. Sie arbeitet derzeit als Therapeutin.
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