von Cornelia Hüsser und Michael Bohli • 08.07.2023
Einmal im Jahr entdeckt Zofingen das Nachtleben und feiert vor dem hochheiligen Kinderfest ausgelassen. Wir haben uns ins Getümmel gestürzt und stündlich Eindrücke festgehalten.
Nach dem letztjährigen, sehr nassen Zapfenstreich, versprach 2023 wieder eine schöne Nacht voller Begegnungen und Getränkeunfällen. Im Gegensatz zu vorangegangenen Jahren mit erweitertem Kulturangebot und der Premiere für Phosphor.
Conny: Es ist Donnerstagvormittag. Ich sitze in meinem Büro im Herzen der Zofinger Altstadt. Aus der Kirche röhrt schon einmal der Kinderchor, vorbereitend auf das morgige (und eigentliche) Fest. Rechter Hand wird gerade ein Bierstand installiert, linker Hand parkt ein Asia-Foodtruck. Man ist im Schuss, bunte Fähnchen wehen im lauen Wind.
Gegen Nachmittag steigen die Innen- und Aussentemperaturen parallel zu meinem Bedürfnis, dem Arbeitstag ein Ende zu machen. Zwei Stockwerke weiter unten hat der Soundcheck begonnen. Er verunmöglicht sowieso jedes weitere Telefonat. Ich nutze die Gelegenheit. Zeit, mich ins Getümmel zu stürzen.
Michi: Als gebürtiger Zofinger, Ortsbürger und in gewissen Situation ein bisschen Wutbürger, ist der Zapfenstreich für mich seit Jahren ein Objekt der Hassliebe. Zu gerne spotte ich über das stundenlange Besäufnis in der Altstadt und die mangelnde Kultur, sehr schnell belächle ich die DJs und Aktivitäten.
Aber seien wir ehrlich: Jedes Jahr verspüre in der Kinderfestwoche trotzdem Vorfreude und hoffe dieses Jahr besonders stark auf gutes Wetter. Denn Conny muss die Nacht einmal in voller Länge erleben. Das Angebot ist schliesslich gross genug.
18 Uhr • Bonheur
Wir starten den Zäpfu 2023 beim Bonheur – ein besonderer Ort, da sie vor einigen Jahren am Zapfenstreich eine Bar aufgestellt und ermittelt haben, wie das so ist. Scheint gut zu sein. Unsere Pläne für heute sind: viele Konzerte schauen (Michi) und nicht im Scala landen (Conny). Wir werden sehen, wie es läuft.
19 Uhr • Bonheur, noch stets
Wir stehen seit einer Stunde hier – ein guter Start mit viel Elan. Wir haben herausgefunden, dass es ein paar Meter weiter heimisches Zofinger Bier und grössere Becher gibt. Es kommt zu Becherneid. Wir müssen das beheben.
20 Uhr • Lindenplatz
Der erste Rundgang durch die Stadt ist vollbracht. Fazit: Es gibt viele Bierwägen, bei denen man viel anstehen muss. Michi hat sich beim Winkemann Essen besorgt, wo niemand ansteht. Es wird festgehalten, dass den Wurstweggen-Ständen zu widerstehen ist, weil man Wurstweggen erst am Freitag essen darf.
21 Uhr • Traube-Garten
Wir freuen uns auf Eskry & Friends im Trauben-Garten. Die Location ist super, dürfte man gerne öfters nutzen. Viel Liebe für Andis Projektionen am Taubenschlag, die Tauben dürfen heute auch ein bisschen Disco haben. Zwei traurige Beobachtungen von Michi: (i) eine Person alleine am Pizza essen in der Schützi; (ii) ein Clown, der Ballontiere macht.
22 Uhr • Ochsen
Wir kommen gerade von einem Auftritt lyrisch talentierter Menschen. Es ist komplett eskryliert, dem Prosecco-Nebel konnten wir gerade noch ausweichen. Wir sagen nur eins: schnäui Bröue! Jetzt geht es weiter mit den nächsten Lokalmatadoren, die ausserdem über Gitarren verfügen.
23 Uhr • Ochsen, again
Der Standort ist noch derselbe, die Ohren dröhnen nach Miss Kryptonite ein bisschen mehr. Es wird diskutiert, ob man sich heute wohl vom Hallo einen Döner liefern lassen könnte. Conny zeigt erste Anzeichen von Schwäche infolge Müdigkeit.
00 Uhr • Thutplatz
Wir stehen im Nirgendwo. Conny und T.*, ebenfalls Neuling am Zäpfu, werden gleich zum Havanna geführt – was wohl nach einem verheissungsvollen Ort klingen soll, an dem es mit 24 Dias «richtig abgehen» soll, der uns aber eher abschreckt. Verfassung ansonsten immer noch gut.
* Name der Redaktion bekannt
01 Uhr • Ochsen
Da mittlerweile Freitag ist, konnte Michi endlich einen Gemüseweggen kredenzen. Es wird etwas von Rasieren geredet. Anmachspruch des Abends: «Isch din zweite Vorname Google? Du bisch alles woni je gsuecht ha!». O-Ton, trotzdem: Es ist ein toller Abend mit tollen Menschen!
Conny: Es ist Freitagmittag, das Thermometer geht forschen Schrittes auf die 30°C zu. Das pünktliche Aufwachen in Zofingen wird an diesem Tag gleich durch mehrere Weck-Installationen sichergestellt: Wer die Kanonenschüsse auf dem nahen Hügel noch selig verschläft, wird wahlweise durch Getrommel, Getröte oder Gesang aus den Federn geholt.
Wagt man sich nach draussen, sind die Spuren der vergangenen Nacht bereits restlos beseitigt. Schweizerischer geht es nicht. Was bleibt, sind Erinnerungen (und wohl für viele deren Lücken), das ein oder andere interessante Lichtbild und das unvermeidbare «Morn gömmer id Ferie», das einem die nächsten Tage in den Ohren hängt.
Michi: Bereits ist es wieder einige Stunden her, seit mich die übereifrigen Mitglieder der Stadtmusik geweckt haben. Der Zapfenstreich 2023 ist Geschichte und es war die erwartete Mischung aus euphorisch schönen Momenten und merkwürdigen Situationen.
Toll war die partiell erweiterte Kulturszene, fehlend ein gesamtheitliches Programm, das Überblick ermöglicht hätte. Dass sich die Menge bereits nach Mitternacht lichtete und an vielen Orten die Luft raus war, hätte ich nicht gedacht. Es bleibt zu sagen: Alkoholkonsum und Lokalpatriotismus machen den Zapfenstreich weiterhin zu einem Fest der Provinz.